IV. Ausbreitung der freimaurerischen Humanität
Wir verwahren uns dagegen, eine Geschichte der Freimaurerei geben zu wollen; eine solche Unternehmung würde zu weit von unserem Ziel wegführen. Nur einige wenige Züge wollen wir liefern, um zu zeigen, wie reißend schnell die neue Fundamental-Irrlehre sich in der Welt verbreitete zu einer Zeit, als die katholischen Fürsten einzig daran dachten, ihren Absolutismus auch gegen Rom zu befestigen, als bei den Protestanten der Glaube selbst wankte, und von England und Frankreich her die Schlammfluten der religiösen Gleichgültigkeit, der Frivolität und Sittenverderbnis die höheren und sogar die mittleren Schichten der Völker beschmutzten.
Die Stiftung von 1717 breitete sich schnell nicht nur in England, sondern über ganz Europa aus, Dank der Reiselust der Söhne Albions, welche die neue Mode-Einrichtung überallhin trugen. (1) Zu Paris beim Restaurant Hurre gründeten englische Edelleute 1725 die erste französische Loge. Aber schon nach zwölf Jahren erklärte Ludwig XV. „das hartnäckige Geheimtun der Maurer als einer sträflichen Absicht verdächtig“ und verbot „allen getreuen Untertanen den Umgang mit ihnen“. (2) Übrigens reizte gerade dieses Verbot nur desto mehr die Neugierde und führte dem stillen Bund täglich neue Mitglieder zu, allerdings nicht immer die Berufensten, weil die Tafelgenüsse stark vorherrschten, und man auf möglichst zahlreiche Eintritts- und Jahresbeiträge von Seiten der Brüder angewiesen war. Unter solchen Umständen spielten die Speisewirte gewöhnlich die Hauptrolle als Logenmeister und Bürgen gegen die spürnasige Polizei, im Grunde als eigennützige Veranstalter luxuriöser Tafellogen, so daß die Versammlungen zu „Tummelplätzen der niedrigsten Ausschweifungen herabsanken. —
Engländer errichteten 1730 die erste Loge zu Dublin, deren erster Großmeister Viscount Ringston wurde, welcher vorher das gleiche Amt in England bekleidet hatte. Der Herzog von Middlesex, Earl Saville, stiftete 1733 die erste „Werkstätte“ zu Florenz; Henry Price im nämlichen Jahre die erste zu Boston; bis 1737 erglänzte das maurerische Licht bereits in Holland, Schweden, Schottland, Polen und Genf. Ja im Haag war der „Bruder Lothringen“, der nachmalige Gatte der edleren Maria Theresia, schon 1731 mit dem Schurzfell bekleidet worden und versäumte später als Kaiser Franz I. nicht, durch seinen holländischen „Mitbruder“ van Swieten nebst Genossen das österreichische Schulwesen um den katholischen Charakter zu bringen und zu humanisieren.
(1) J. Anderson, Konstitutionenbuch der Freimaurer. 1. Th. Frankf. a. M. 1783, S. 516. — Scheeben, Period. Bl., 1873, S. 14.
(2) Findel, Gesch. d. Freim. S. 222.
Die erste blaue Loge auf deutschem Grund
Die erste blaue Loge auf deutschem Grund stand zu Hamburg 1737, und hieß seit 1741 „Absalom“. Deputierte derselben nahmen in der Nacht vom 14./15. Aug. 1738 den Kronprinzen, nachherigen König Friedrich II. von Preußen in den Geheimbund auf, und zwar in einem Wirtshaus zu Braunschweig, wohin sie die nötigen Geräte mitgebracht hatten; das Gewissen des Zollwächters am Stadttor wurde durch einen Dukaten beschwichtigt, so daß der große Pack als unverfängliches Reisegut passierte. Als Friedrich II. im Jahre 1740 den Thron bestieg, wurde alsbald auf seinen Antrieb die Berliner Loge „zu den drei Weltkugeln“ gestiftet, und viele deutsche Fürsten durch ein so hohes Beispiel zu gleichem Tun veranlaßt, während „Bruder Lothringen“ als Kaiser Franz I. dem Unwesen die Tore im Donaureich öffnete, obgleich er nach Findel (S. 268) „wenig Sinn für die schlichte, einfach erhabene Maurerei hatte, sondern vielmehr an alchymistischen Torheiten hing.“
Aber gerade diese Torheiten lagen einem Bund ohne positives Bekenntnis, welcher den Kampf gegen den christlichen Glauben und der das absolute Menschentum auf seine Fahne geschrieben hatte, nur allzu nahe. Muss doch Findel selbst von einem „deutschen Maurertum in seiner tiefsten Erniedrigung“ sprechen und (S. 281 f.) geradezu gestehen: „Man vertiefte sich in alte Manuskripte, Scharteken und Inschriften; und da fand denn auch alsbald jeder auf seine Weise, was er gerade suchte: der Alchymist fand den vollkommenen Prozess und das große Universale; die Geisterseher, Kabbalisten und Theosophen fanden den dreifachen Höllenbann, die Entschleierung des Universums, Prophetie und Erklärung der Apokalypse; die Geschichtsgrübler eine Fortsetzung der alten heidnischen Mysterien, der Gnostiker, der Tempelherrn und des Rosenkreuzer-Ordens (1).
Schlaue Betrüger machten sich diese Wissbegier und diese krankhafte Sucht nach geheimer Weisheit zu Nutze, fabrizierten Stufe auf Stufe Systeme für alle Bedürfnisse und Richtungen und machten ihre Ware bei den leichtgläubigen Franzosen und den guten Deutschen, später auch in Schweden, England und Amerika zu Geld.“ Soviel ist sicher, daß manches Erzeugnis des plumpsten Aberglaubens dem Schoße der Freimaurerei entsproßte und später auf Rechnung der katholischen Kirche gesetzt wurde, obgleich diese immer am tatkräftigsten gegen die schwarzen Künste auftrat.
Einer der Hauptvertreter dieser apokalyptischen Richtung war der berüchtigte maurerische Großmeister und Betrüger Cagliostro, eigentlich Joseph Balsamo, welcher von den starken Geistern der neuen Humanität, von den Gelehrten und den Höfen zu London, Berlin, Paris, zu Genf und wo er sich zeigte, für ein Weltwunder galt, bis er im päpstlichen Rom entschleiert, dann in’s Gefängnis geworfen wurde, und als Selbstmörder endete.
(1) Wäre Findel nicht in manchen Stücken so oberflächlich, und mitunter im Aussprechen der vollen Wahrheit befangen, so hätte er diese Stelle nicht in der angegebenen Weise geschrieben. Es kostet eben auch einen Johannesmaurer so große Mühe, den Hochgraden einen früheren Ursprung zuerkennen zu müssen; und obendrein wäre bei so manchem hohen Schirmherrn alles zu befürchten, wenn die profane Welt und die düpierten Brüder zuviel wüßten.
Kaum waren seit der Stiftung des Humanitäts-Bundes zwei Menschenalter verstrichen, so zeigte sich in den englischen Kolonien Nordamerika’s der ungeheure Einfluss der neuen Lehre von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit; nicht der kleinste Faktor beim Unabhängigkeits-Krieg der Vereinigten Staaten war der Freimaurer-Orden, welchem die Hauptführer, z. B. Benjamin Franklin, George Washington und der aus Frankreich herbeigeeilte Lafayette angehörten, und die Unabhängigkeits-Erklärung von 1776, deren Eingang wir bereits mitgeteilt haben, bewegt sich ganz im Ideenkreis des deistischen Logen-Humanismus. —
In ungleich schauerlicherer Weise brachen die politischen Folgen des berückenden Phantoms 1789 in Frankreich los, und fanden in der Erklärung der Menschenrechte und der nach vier Jahren gefolgten Schreckenszeit ihre theoretische und praktische Anwendung. Die Haupthelden der Aktion aber gehörten fast ausnahmslos dem Freimaurer-Orden an. (1)
(1) S. „Der stille Krieg“, S. 49 ff., 110 ff., 131 f. —
A. Neut, attentats de la Franc-Maçonnerie, Gand, 1868, p. 57 et suiv. —
A. Neut, la Franc-Maçonnerie soumise au grand jour etc., Gand, 1866, vol. 1, p. 311 et suivv. ‚
Während die englische Freimaurerei vorherrschend auf den Nutzen und die tätige Menschenliebe, die französische auf die Politik, die italienische auf die Aktion zur Einheit und Entchristlichung der Halbinsel abzielte, ist die deutsche Loge jene der Idee. Und wirklich haben die „Brüder“ auf dem Gebiet der Literatur für die humanistische Idee und ihre weite Verbreitung Ungewöhnliches geleistet, mehr als drei Vierteile unseres belletristischen Schriftentums ist davon angesteckt; von unserer Philosophie haben wir bereits gesprochen. (siehe den Beitrag: Die moderne Philosophie Kant und Hegel)
Wer sollte sich darüber wundern, wenn er bedenkt, daß eine große Anzahl unserer gelesensten Klassiker dem Freimaurer-Orden angehörte? So in Österreich, um nur Einige anzuführen: J. M. C. Denis, Alxinger, der unsittliche Blumauer, Born, Ethel, Sonnenfels, Feßler, der später nach Preußen und dann nach Russland übersiedelte (+ 1840); in Deutschland: Herder, Gleim, Lessing, Wieland, Goethe, (Schiller (2)), Jean Paul Richter, der elende Bahrdt (aufgenommen 1777), der Historiker Heeren, Knigge, Karl Theod. von Dalberg, G. A. Bürger, Claudius, Hofrat von Eckartshausen, die Philosophen J. G. Fichte, und K. Christian Friedrich Krause, ferner Reinhold und Börne; in der Schweiz Lavater und Zschokke (3), So ist ausreichend dafür gesorgt, daß still und unbemerkt das Gift des souveränen Menschentums sich in arglose Gemüter einschleiche, und das falsche Prinzip noch mehr Anhänger außer als in der Loge hat, der stille Bund der Nacht aber auch in Deutschland eine geistige Macht entfaltet, von welcher oberflächliche Beobachter der Zeit keine Ahnung haben. Was wir in unserem Vaterland an kirchlichem Leben, an christlichem Charakter des Staates, der Gemeinde, des Schulwesens, der Familie verloren haben — und es ist dessen sehr viel —, das muss auf Rechnung dieser maurerischen Humanität gesetzt werden.
(2) Schiller war, obgleich kein wirkliches Mitglied der Loge, doch tatsächlich der emsigste und wirksamste Verbreiter der freimaurerischen Ideen. Sein Lied „An die Freude“, sein „Don Carlos“, „Spaziergang“, die „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ u. s. w. bewegen sich ganz und gar innerhalb der Logen-Humanität. S. die Abhandlung „Was de dichter Schiller Vrijmetselaar ?“ von Br… Dr. Buddhingh im „Maconniek Weekblad,“ 1872, N. 53. — Um auch neuere Schriftsteller zu berücksichtigen, führen wir noch als Freimaurer an: Ferd. Freiligrath (aufgenommen zu Worms 14. Mai 1842), Herwegh, Hoffmann von Fallersleben, Theod. Mundt, Gust. Kühne, Prutz, Franz Dingelstedt, Berth. Auerbach, Ernst Willkomm, Karl Gutzow, Heinr. Laube, Hofr. Dr. Klun (Zirkel, N. 2, 15. Jan. 1874), Feodor Löwe.
(3) Das „Allgemeine Handbuch der Freimaurerei“ spricht daher voll Stolzes „Friedrich der Einzige (II. von Preußen) fand in der Freimaurerei ein großes Nichts. In späterer Zeit aber sieht man sie in einer solchen Blüte, daß die berühmtesten Männer Englands, Frankreichs, der Vereinigten Staaten, wie z. B. Washington, Franklin, Voltaire, Guizot, unter ihrem Banner stehen; daß Lessing, Wieland, Herder, Blumauer, fast alle geistigen Höhen Deutschlands ihre Mitglieder sind; daß der tiefe Denker Fichte und der hochbegabte Schiller bei ihr das Licht und die Begeisterung suchen. Die Fichte’sche „Wissenschaftslehre“, welche das menschliche Ich oder die Persönlichkeit so hoch stellt, hauptsächlich aber das Fichte’sche „System der Sittenlehre“, worin die Selbstgesetzgebung und die Selbstbestimmung, die Würde und das Ziel des Menschen eine so große Rolle spielen, sind wahrlich nichts anderes, als der maurerische, wissenschaftlich bearbeitete Sankt-Johannismus. Der Schiller’sche Marquis von Posa im „Don Carlos“ ist ein meisterhaft geschildertes Bild eines echten Freimaurers. Die Schiller’sche „Glocke“ ist für unseren Bund geschrieben, und das Lied: „Freude, schöner Götterfunken“ wurde bei einem maurerischen Gastmahl improvisiert.“ —
Wenn jedoch die Loge sich der früheren großen Mitglieder rühmt, so muss man wohl bedenken, daß dieselben, was sie Solides wußten und konnten, aus der „profanen Welt“ geholt und in den „Tempel“ mitgebracht hatten. –
aus: Georg Michael Pachtler SJ, Der Götze der Humanität, 1875, S. 134 – S. 139
siehe auch die Beiträge von P. Cahill SJ über Freimaurerei und anti-christliche Bewegung