Das Fasten an den Fasttagen
Pfarrer:
… wurde im Jahre 1091 in der Kirchenversammlung zu Benevent befohlen, daß die Austeilung der Asche an Alle insgesamt stattfinden solle, damit Alle aus dieser eindringlichen Mahnung an den Tod gebührenden Nutzen ziehen mögen.
Thomas:
Es ist nicht zu leugnen, dieses Sinnbild ist ergreifend und schön; was indessen das Fasten begrifft, so weiß ich in der Tat nicht, wozu dasselbe dienen soll. Ich meine, wer mäßig lebt, fastet immer, und hat nicht nötig, sich noch durch Beobachtung besonderer Fasttage abzuquälen?
Pfarrer:
Freund Thomas, du bist wieder etwas schnell und vorlaut in deinem Urteil. Zur Mäßigkeit ist allerdings, auch ohne das Fastengebot, ein jeder Christ verpflichtet; damit ist jedoch die weitere Pflicht, zu Zeiten eine größere Entbehrung zu üben, nicht aufgehoben. Fragst du aber nach den Ursachen, warum wir, bei einem sonst mäßigen Leben, dennoch zu jeweiligen Übungen des Fastens verbunden sind, so habe ich allerdings solche anzuführen, die höchst wichtig und dringend sind.
Erstens nämlich fasten wir, um uns für unsere Sünden zu bestrafen. Überlegen wir es recht, wie oft wir Gott beleidigt haben, wie vieles der Heiland uns zu Lieb getan und gelitten hat, um uns mit seinem himmlischen Vater zu versöhnen und uns zu guten und heiligen Menschen zu machen, und wie undankbar wir sind, indem wir immer wieder fort gesündigt haben, so müssen wir gewiß böse werden gegen uns selbst, und gerade wie wir uns dafür schlagen möchten, wenn wir irgend eine Ungeschicklichkeit begangen haben, so fühlen wir auch die Lust, uns für unser schlechtes Betragen gegen Gott eine Strafe zu bestimmen. Das ist der rechte Beweis, daß wir eine wirkliche Reue haben, und daß es uns Ernst ist mit unserer künftigen Besserung. Auch ist es keineswegs überflüßig und gleichgültig, daß wir uns eine solche Strafe auflegen. Leiden sind nun einmal die Folgen einer jeden Sünde, und legen wir uns diese Leiden nicht selber auf, so muss Gott sie uns auflegen; sei es Unglück, Krankheit u. dgl. in diesem Leben, oder seien es die Fegefeuer-Strafen in der anderen Welt.
Zweitens dient das Fasten aber auch, um uns zu bessern. Viele Sünden haben ihren Ursprung daher, daß es uns zu wohl wird, und daß unser Körper zu üppig ist. Wir überlegen viele Sachen ganz anders, beurteilen manches ganz verschieden, wenn wir einmal ein paar Tage lang unserem gewöhnlichen Wohlleben entsagt, und durch Entbehrungen eine ruhige, abgekühlte Besinnung in uns gewonnen haben. Durch das Fasten wird unser Körper ein wenig gezähmt, so daß er sich nicht mehr herausnehmen darf, seine Gelüste der Seele als Gesetz vorzuschreiben. Bei allem diesem setze ich nun von selbst voraus, daß auch außer der Zeit des Fastens Niemand ein unmäßiges Leben führe: aber das wirst du wohl einsehen, daß ein mäßiges Leben ein wirkliches Fastenleben sein müsste, wenn wir die genannten Zwecke damit erreichen wollten.
Thomas:
Aber Christus selbst tadelt doch die Pharisäer so streng wegen des Fastens, und sagt, nicht was in den Mund gehe, sondern was aus demselben komme, verunreinige den Menschen. Damit scheint er besonders den Unterschied zwischen Fleisch- und Fasten-Speisen gar nicht zu billigen.
Pfarrer:
Vorerst muss ich dir bemerken, daß das Fasten keineswegs in der Enthaltung von Speisen allein besteht; Alles, was unserem Körper und unseren Sinnen, oder auch nur unseren Launen schmeichelt, ist uns ein Genuss, den wir oft höher als Speise und Trank anschlagen. In allem diesem können und sollen wir uns daher auch ein fasten, eine Enthaltsamkeit auferlegen. Was nun die Enthaltung von Speise und Trank betrifft, so tadelt Christus die Pharisäer allerdings deshalb, gerade wie er sie wegen ihrer Zeremonien tadelte; weil sie nämlich nur Ruhm vor den Menschen damit suchten, und sich einbildeten, mit dem Fasten ohne Sinnesänderung und Buße müßten sie Gott schon sehr wohlgefällig sein. Darum befiehlt er, daß wir unsere Fasten-Übungen nicht zur Schau tragen, während derselben nicht mit trauriger Miene umher gehen sollen, um etwa von anderen wegen unserer strengen Lebensweise belobt und angestaunt zu werden. Und darum wirft er ihnen vor, daß sie zwar gewissenhaft fasten, aber dabei alle Pflichten der Nächstenliebe verletzen. Das Fasten bei einem Sündenleben hat allerdings keinen Wert. Der hl. Papst Leo erinnert uns in einer Rede: „Nicht in der bloßen Enthaltung von Speisen besteht die Erfüllung des Fastens; ohne Frucht entzieht man dem Körper seine Nahrung, wenn nicht auch die Seele von der Bosheit abgezogen wird.“ –
Daß dasjenige den Menschen nicht verunreinige, was in den Mund eingeht, hat Christus wirklich gesagt, und alle Christen sagen es ihm nach; denn nicht die Speise, wodurch wir das Fasten brechen, verunreinigt uns; diese ist am Fasttage eben so rein und unschuldig, wie an jedem anderen Tage; was uns verunreinigt, ist der böse Sinn und Willen, wodurch wir dem Gebot der Kirche untreu werden und uns des Ungehorsams schuldig machen; sei es nun, daß wir durch die Menge der Nahrung, oder durch die Fleischspeisen, welche wir genießen, ihrem Befehl entgegen handeln. Wäre es anders, so könnten wir uns ja sogar der Unmäßigkeit ergeben ohne Sünde. Auch die Sünde unserer Stammeltern bestand nur im Genuss einer verbotenen Speise; aber gerade daß diese Speise eine verbotene war und daß sie durch das Essen derselben Gott den Gehorsam aufkündigten, das machte ihre Sünde aus. –
aus: Gregorius Rippel, Die Schönheit der katholischen Kirche dargestellt in ihren äußeren Gebräuchen in und außer dem Gottesdienst für das Christenvolk, 1901, S. 25 – S. 27
siehe auch den Beitrag: Gründe für Fasten und Abtötung