Vigil des hochheiligen Weihnachtsfestes

Zur Vigil des hochheiligen Weihnachtsfestes

Von diesen drei Schwestern (siehe Beitrag: Die heiligen Tharsilla und Aemiliana) wende nun mit besonderer Aufmerksamkeit gerade heute den Blick auf dich selbst: eingedenk der Mahnung des göttlichen Heilandes: „Eure Lenden sollen gegürtet, und in euern Händen brennende Lampen sein: und seid ähnlich Menschen, welche den Herrn erwarten!“ (Luk. 12) Du hast während der heiligen Adventszeit dein Gemüt beschäftigt mit der dreifachen Ankunft des Herrn. (siehe Beitrag: Was der heilige Advent ist) Die erste Ankunft ist bereits vorüber: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat Wohnung genommen unter uns.“ (Joh. 1) Die Zeit der zweiten Ankunft ist jetzt: Sie geschieht im Geheimnis, und deine angelegentlichste Sorge soll es sein, dich in einen solchen Zustand zu versetzen, daß Er zu dir kommen kann. Denn Er hat die Bedingung aufgestellt: „Wenn Mich Jemand liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben: Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ (Joh. 14) Diese zweite Ankunft ist für dich noch nicht ganz gewiß; denn Niemand weiß, ob er der Liebe oder des Hasses würdig ist. Dagegen die dritte Ankunft zum Gericht ist über allen Zweifel gewiß; nur der Tag und die Stunde hat dir die göttliche Barmherzigkeit und Fürsorge verborgen. Entzünde daher in deinem Herzen:

1. Das sehnsüchtige Verlangen nach Jesus für dich und deinen Nächsten, gleichsam seufzend mit dem heiligen Paulus: „O meine Kindlein, für die ich abermals Geburtsschmerzen habe, bis daß Christus in euch gestaltet ist.“ (Gal. 4) Denn der Zustand der Seelen bei der heiligen Vigil der gnadenreichen Geburt Jesu ist ein dreifacher: Die Einen – und das ist die kleinste Zahl – leben ganz schon in Jesus Christus und fühlen fast Tag für Tag, wie Er in ihnen mehr und mehr wächst, sich ausgestaltet, größer und mächtiger wird; die Andern – und ihre Zahl ist größer – sind zwar durch die Gegenwart Christi lebendig, aber sie kränkeln, leiden an Unlust und Trägheit; es fehlt ihnen das tätige Verlangen, tiefer und tiefer einzudringen in dieses göttliche Leben und sich von demselben durchdringen zu lassen, weil sie die erste Liebe verloren haben; die Übrigen – wer kennt ihre Menge? – sind nicht einmal Glieder am lebendigen Leibe Christi, sie sind darum im Tode, weil nur Christus allein das Leben ist. Gerade jetzt sucht Maria mit ihrem Kinde eine Herberge, gerade jetzt klopft Jesus an die Türen aller dieser Seelen, bald mit starker Hand, bald nur leise; gerade jetzt fragt Er bittend, ob sie ein Plätzchen für Ihn haben, wo Er in ihnen geboren werden könne. Obwohl das Haus, nach dem Er verlangt, sein eigen ist, weil Er es gebaut hat und erhält, dennoch bittet Er um Aufnahme in sein Eigentum und lockt zur Erhörung an durch den Hinweis auf das herrlichste Wunder: „Allen noch, die Mich aufgenommen haben, gab Ich die Macht, Kinder Gottes zu werden, welche nicht aus dem Geblüte, nicht aus dem Willen des Fleisches geboren sind.“ (Joh. 1) Möge die Liebe, die Milde dieser geheimnisvollen Ankunft des göttlichen Lehrmeisters, des himmlischen Arztes, des guten, das Leben für seine Schäflein hingebenden Hirten deine Seele rühren, dein Herz begeistern, daß du dich aufmachest und eilest in die Arme deines Bräutigams und so zuvorkommest dem Tage des Schreckens und des Zornes, wann Jesus wiederum kommen wird in großer Macht und Herrlichkeit zu richten die Lebendigen und die Toten! Flehe mit der ganzen katholischen Kirche: „O Friedenskönig, Du vor den Jahrhunderten Geborener! Gehe hervor aus der goldenen Pforte, suche deine Erlösten heim und rufe sie zu der Höhe zurück, von welcher sie durch ihre Schuld herab gestürzt sind!“

2. Belebe den tatkräftigen Eifer, Jesus würdig aufzunehmen. Höre hierüber den heiligen Petrus Damian: „Heiligt euch, ihr Kinder Israels, seid bereit; denn morgen wird der Herr herab steigen… Ich denke, meine Brüder, daß ihr wahre Kinder Israels seid, gereinigt von allem schmutze des Fleisches und es Geistes, vorbereitet auf die Geheimnisse des kommenden Tages, voll Eifer, eure Ehrfurcht zu bezeugen. Sollten dennoch einige Tropfen der Sterblichkeit an euch haften, so eilet, eilet heute noch, sie abzuschütteln oder weg zu waschen mit den weißen Linnen der Buße. Ich kann es euch bei der Barmherzigkeit des Kindes, das geboren wird, versprechen: Wer seine Sünden reuig bekennt, in dem wird das Licht der Welt aufleuchten, die trügerischen Finsternisse verscheuchen und den wahren Glanz wieder herstellen. Denn wie könnte den Unglücklichen Barmherzigkeit in dieser Nacht verweigert werden, in welcher der barmherzige Herr zur Welt kommt! Weg denn mit der Hoffart eurer Blicke, weg mit der Grausamkeit eurer Hände, weg mit der Sinnenlust eures Fleisches: ziehet eure Füße vom Wege der Qual zurück und dann kommt und klagt den Herrn an, wenn Er in dieser Nacht nicht den Himmel öffnet, wenn Er nicht zu euch herab steigt, wenn Er nicht alle eure Sünden bis auf den Grund des Meeres versenkt.“ Ja sprich zu deinen Neigungen, Leidenschaften und Versuchungen: „Fort, fort, macht Platz, Jesus kommt!“ –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 959 – S. 960

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