Betrachte, wie schnell die Jahre vergehen
Betrachtung zum 6. Februar
Ecce breves anni transeunt, et semitam, per quam non revertar, ambulo.
„Siehe, die kurzen Jahre gehen vorüber, und ich wandle den Weg, auf dem ich nicht zurückkommen werde.“ (Job 16,23)
1. Betrachte, wie schnell die Jahre vergehen; und um dies recht zu erkennen, blicke nur zurück auf die Zeit, die schon vorüber ist. O wie kurz erscheint sie dir! Und gerade so werden auch jene Jahre dahinschwinden, die dir noch übrig sind. Wie ist es demnach möglich, daß du so wenig Sorge trägst, dir Verdienste für den Himmel zu sammeln? Die kurzen Jahre gehen vorüber, und des ungeachtet schenkst du der Eitelkeit so viel Zeit? Die kurzen Jahre gehen vorüber, und du verwendest so viel davon auf den Schlaf? Die kurzen Jahre gehen vorüber und du gestattest deinen Leidenschaften so viele Freiheit? O welch unerklärliche Torheit! „In der Frühe säe deinen Samen“ (Ekkli. 11,6). Stehe zeitig auf, um zu beten, Gott zu preisen, zu studieren, oder etwas Nützliches für den Nächsten zu tun; denn in der Ewigkeit wirst so viel Gutes einsammeln, als du in der Zeit gesät hast.
2. Aber das Wichtigste dabei ist, daß die Zeit nicht nur kurz, sondern unwiderruflich ist, so daß Alles, was du davon in der Gegenwart verlierst, für immer verloren bleibt; nichts kehrt davon zurück, nichts kann man zurücknehmen gleich – dem Wasser, das einmal sein Rinnsal durchlaufen hat, und nicht mehr zurückkehrt. Und du schätzest diese kostbare Zeit so gering? Im Tode wirst du es erkennen, was es für ein Schmerz sein wird, die Zeit so nutzlos vergeudet zu haben. Dann wirst du nicht bloß über jene Jahre seufzen, die du jetzt verschwendest, sondern über jede Stunde, jede Minute, jeden Augenblick und die kleinsten Zeitteilchen, die du hoch zu achten dich jetzt schämst, um dir nicht den Schein zu geben, als schätzest du nicht bloß die Zeit, sondern geizt mit ihr. Und dennoch , was sagt Gott der Herr hiervon? „Der kleinste Teil einer guten Gabe entkomme dir nicht.“ (Ekkli. 14,14) Nun siehe, ob die Zeit kostbar sei. Du läßt sie verfließen wie Wasser, und Gott befiehlt, du sollst sie hochschätzen wie Gold, du sollst selbst die kleinsten Teile hoch anschlagen. Doch wundere dich nicht darüber; denn jeder Augenblick, der recht verwendet wird, kann dir einen größeren Gewinn eintragen, als das größte Königreich der Welt wert ist.
3. Denke einmal nach, was ein Verdammter täte, wenn er aus besonderer Vergünstigung Gottes auf die Erde zurückkehren und seinen Lebenslauf wieder von vorne anfangen dürfte. Meinst du, er würde auch so träge sein im Gebrauch der Zeit, die ihm Gott gegeben hat? O im Gegenteil, wie würde er arbeiten, sich selbst abmühen und aufs Sorgfältigste bedacht sein, um ja keinen Augenblick für das Heil seiner Seele zu verlieren! Doch diese Gnade wird ihm niemals werden; aber was wird es mit dir werden, wenn auch du die Zeit erst dann zu schätzen anfangen wirst, wenn du sie nicht mehr zurück erlangen kannst? Deshalb sprich oft zu dir selbst mit dem frommen Job: „Ich wandle den Weg, auf den ich nicht zurück kommen werde.“ Dieser Weg ist das menschliche Leben, nur einmal wandelt man darauf; glücklich, wer die gute Gelegenheit, sich zu bereichern und vorwärts zu kommen, zu benützen weiß; aber wer sie vernachlässigt, der kann in Ewigkeit nicht mehr zurückkehren, um seinen Fehler zu verbessern. –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. I, S. 83 – S. 85