Die Gnade ist eine Hilfe von Gott
Gnade! O süßes, liebliches, inhaltvolles Wort! …
In Bewunderung der hl. Blandina denke nach über das Wesen und die Ursache der göttlichen Gnade.
1. Die göttliche Gnade ist eine innere übernatürliche Mitteilung Gottes an uns Menschen, welche unsere Vernunft durch Erleuchtung befähigt, Gott als das einzige, ewige Gut, die Sünde als das einzige, ewige Übel gläubig zu erkennen; welche zugleich unsern Willen stärkt, das erkannte Böse siegreich abzuwehren und nur das zu lieben, zu verlangen, was der übernatürlichen Welt angehört, was keine Auge gesehen, kein Ohr gehört und keines Menschen Herz hienieden je empfunden hat. „Sie ist“, sagt der große Bischof Wilhelm von Paris, „eine göttliche Hilfe, um zu tun, was gut, Gott wohlgefällig und der ewigen Seligkeit würdig ist: eine göttliche Hilfe, um gegen sich selbst und Alle streiten und alle Hindernisse des Heils bewältigen zu können: eine göttliche Hilfe, um uns mitten unter Pfeilen, Schwertern und Waffen, die uns von allen Seiten angreifen und den sicheren Tod drohen, zu schützen: eine göttliche Hilfe, damit wir in den Flammen des Augenlust, der Fleischeslust und der Hoffart des Lebens nicht bloß ohne Brandwunden, sondern auch ohne erhitzende Aufregung bleiben.“ –
O Gott, wie erhaben und kostbar ist doch deine Gnade, die ein Ausfluss deines liebenden Herzens ist und darum nicht nach den Schätzen der Welt taxiert, nicht mit den Vollkommenheiten der Engel verglichen werden kann!
2. Die Ursache aber, warum der liebe Gott mit unbegrenzter Freigebigkeit seine kostbaren Gnaden uns mitteilt, ist das Kreuzesopfer unseres erstgeborenen Bruders Jesu Christi. Denn die Sünde hatte den Himmel verschlossen, und weder die Heiligkeit noch die Gerechtigkeit des Allerhöchsten konnte oder durfte mit dem sündbefleckten Menschen in Berührung treten, um ihm seine übernatürliche Liebe, d. h. göttliche Gnade mitzuteilen; indem aber Jesus, geboren aus der reinsten Jungfrau Maria, durch seinen freiwilligen Tod des Gehorsams für unsere Missetaten genuggetan, schmerzlich genuggetan hat, ist der Himmel wieder geöffnet, d. h. sind wir mit Gott ausgesöhnt, durch die Wiedergeburt in der heiligen Taufe seine Kinder und somit seiner Gottesliebe würdig und teilhaftig geworden, fließen uns die göttlichen Gnaden reichlichst zu. Daher sagt Jesus mit ewiger Wahrheit: „Ohne Mich könnt ihr Nichts tun.“ (Joh. 15) Der hl. Paulus aber frohlockt: „Alles vermag ich in dem, der mich stärkt“ (Phil. 4); und die hl. Blandina zeigt in wundervoller Wirklichkeit, daß sie mit und durch die göttliche Gnade mehr Leiden zu ertragen vermag, als menschliche Bosheit ihr anzutun im Stande war.
O schätze die göttliche Gnade über Alles hoch und beherzige tief in deiner Seele die schönen Worte des frommen Bischofs Konrad Martin von Paderborn: „Alle göttlichen Ganden sind der Preis des Leidens und Sterbens Jesu Christi und an jeder Gnade, die wir empfangen, hängt gleichsam ein Tropfen seines kostbaren Blutes.“ –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 423-424