Vision der hl. Perpetua: Der Weg zum Himmel
Lehrreich ist die Vision (Entzückung), welche Perpetua (siehe den Beitrag: Heilige Perpetua und Felicitas Märtyrerinnen) bald nach der Abführung in das Gefängnis hatte und selbst so aufgeschrieben hat: „Mein Bruder sagte zu mir: Ich weiß, liebe Schwester, daß du viel bei Gott vermagst: bitte Ihn, daß Er dir in einem Gesicht zeige, ob wir Leiden oder Befreiung hoffen dürfen.“ (Solche Gebete waren nach dem Zeugnis des hl. Cyprian nichts Ungewöhnliches und fanden sehr oft Erhörung.)
„Ich antwortete zuversichtlich: Komme Morgen wieder, und du wirst hören, was geschehen wird. Ich betete zu Gott und erhielt dieses Gesicht: Ich sah eine goldene Leiter von schwindelnder Höhe, hinaufreichend von der Erde bis zum Himmel und so schmal, daß nur je Einer hinauf steigen konnte. An der Seite waren verschiedene Arten schneidiger Instrumente – Schwerter, Lanzen, Hacken, Messer – eingefügt und – wenn Jemand unachtsam, den Blick nicht aufwärts gerichtet empor stieg, schnitt er sich, und sein Fleisch blieb an dem Eisen hängen. Unter der Leiter lag ein ungeheurer Drache, welcher auf Jeden, der die Leiter bestieg, loszustürzen drohte. Den Satur sah ich zuerst hinauf steigen; zu oberst angelangt rief er mir zu: Perpetua, ich erwarte dich; aber gib acht, daß der Drache dich nicht beiße.“
„Ich antwortete: Im Namen des Herrn Jesu Christi wird er mir nichts zu leide tun. – Und als hätten diese Worte den Drachen erschreckt, erhob er ein wenig seinen Kopf und diente mir im Hinaufsteigen als erste Sprosse. Als ich oben war, trat ich in einen Garten von unermeßlicher Ausdehnung, in dessen Mitte ein Mann von hohem Wuchs, mit Silberlocken und im Gewand eines Hirten saß und Schafe molk (das damals gewöhnliche Bild Christi). Um Ihn her standen unzählige Verklärte in weißen Gewändern. – Er grüßte mich freundlich: Willkommen, meine Tochter, winkte mir und gab mir einen Bissen von dem Käse, den Er aus dieser Milch bereitet hatte. Ich nahm ihn mit gefalteten Händen, aß und alle Umstehenden sagten: Amen. (In dieser Weise wurde damals die heilige Kommunion empfangen.)
Beim Schall dieser Worte erwachte ich, fühlte etwas wunderbar Süßes in meinem Mund; ich konnte aber nicht sagen was und genoß es. Alsbald erzählte ich dieses Gesicht meinem Bruder, und die Bedeutung davon war uns ganz klar, daß wir den Martyrtod zu erdulden haben.“
In diesem Gesicht ist deutlich der Weg bezeichnet, welcher allein in das ewige, schöne Vaterland führt. Die Leiter ist von Gold, weil es ja keinen lieblicheren und teueren Weg gibt, als den in die himmlische Herrlichkeit; allein er ist schmal und steil, links und rechts beschlagen mit Stich- und Schneid-Instrumenten, an denen der unvorsichtige Wanderer gar schwer und schmerzlich sich verwunden kann; und der furchtbare Höllendrache am Fuß der Leiter wehrt mit List und Trug, mit Drohung und Schrecken vom Besteigen ab. Doch oben steht die große Menge der glücklich Angekommenen, die Heiligen, welche mit Sehnsucht auf die nach unten Stehenden warten, sie herzlich zu munterer Anstrengung aneifern und durch ihre Fürbitte, wie durch ihr Beispiel unterstützen; und dort oben ist der große Herr und gute Hirt – Jesus Christus, welcher dem frommenPilger die süße und stärkende Speise des ewigen Lebens – das heiligste Altarsakrament – darreicht als Wegzehrung.
Seit den Tagen der heiligen Perpetua und Felicitas sind Millionen christlicher Brüder und Schwestern über diese goldene Leiter, mit dem gleichen Himmelsbrot genährt und erfreut, empor gestiegen in den Garten Gottes: die katholische Kirche kennt heute noch – auch für dich – keinen anderen Weg und keine andere Wegzehrung. Wohlan, frisch vorwärts; aber gib Acht auf den Drachen und die Messer! –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 169