Was das Kreuz den Heiligen Gottes gepredigt hat
Es wird erzählt, ein junger Mensch habe im Leichtsinn seines Alters nicht länger mehr bei seinen Eltern zu Hause bleiben wollen. Er sei also gegen ihren Willen in die Fremde fortgezogen. Dort nun habe er ein böses Leben geführt. Als die Eltern davon hörten, seien sie vor Kummer und Herzleid gestorben. Nach mehreren Jahren wäre dann der Sohn wieder in die Heimat zurück gekommen, und wie er gehört, daß die Eltern seinetwegen gestorben seien, wäre er zu ihrem Grab gegangen. Das Grab hätte ihn dann erinnert an die Liebe und das viele Gute, das ihm die Eltern erwiesen; und da sei ihm sein Undank und sein böses Leben so zu herzen gegangen, daß er angefangen habe laut zu weinen und den Eltern ins Grab nach abzubitten. Dies habe er oft getan, und dann habe er sich gebessert und sei ein braver Mensch geworden.
So hat der Anblick des Grabes dem Sohn gleichsam eine Predigt gehalten zu seiner Besserung.
Am ersten Karfreitag ist unser Herr und Gott am heiligen Kreuz gestorben; er ist gestorben wegen unserer Sünden, um uns von den Strafen derselben loszukaufen.
Fromme Christen machen es daher wie dieser Sohn da oben; sie gehen vor das Kreuzbild, welches ihnen das Leiden und Sterben und den Tod Christi darstellt, und dabei machen sie ihre frommen Betrachtungen; das ist alsdann, wie wenn das Kreuzbild sie etwas lehrte und ihnen eine Predigt hielte. Es soll da kurz erzählt werden, was das Kreuz den Heiligen Gottes gepredigt hat.
Liebe und Armut
Die hl. Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, schaute in schmerzlichem Mitleid, wie der Gottmensch an seinem Sterbetag grenzenlose Armut getragen, wie der ärmste Bettler sie nicht zu erleiden hat; wie Christus im Angesicht des ganzen Volkes von allen Kleidern entblößt war, nichts hatte, den grimmigen Durst zu löschen, und wie sein Sterbebett nur ein Stück rohes Holz war, auf welchem er an eisernen Nägeln hing. Darum wollte sich Elisabeth, die treue Magd des Herrn, an diesem Tage in keiner Weise als Fürstin zeigen, auch nicht im Almosengeben; sie sprach zu ihren Kammerjungfrauen: „Heute ist ein Tag der Verdemütigung.“ In dem Kleid eines Bettelweibes und barfuß mischte sie sich ungekannt unter die Volksmenge, so daß sie gedrückt und gestoßen wurde; in ihrer Schürze trug sie die geringen Opfergaben, wie sie damals von armen Leuten als Almosen zur Kirche gebracht wurden, kleine Bündel Leinwand, Weihrauch und Wachskerzen. Auf diese Weise besuchte sie die verschiedenen Kirchen, kniete vor dem Altar nieder und legte ihre Gabe darauf. Wenn sie solches zuvor in Liebe zur Armut geopfert hatte, dann ging sie erst zu den Armen in die Häuser; dort im stillen gab sie wieder reichliches Almosen.
Sanftmut
Der hl. Eleazar war ein Graf aus Frankreich; er ist gestorben im Jahr 1323. Er wurde wegen seines frommen Lebens von vielen geschmäht, verleumdet und verfolgt. Seine Gemahlin, die hl. Delphina, fragte ihn einmal, wie es ihm denn möglich sei, so viele Unbilden gelassen zu ertragen. Lächelnd antwortete der Graf: „Was würde mir auch das Zürnen nützen? Ich mache dadurch weder meine Feinde noch mich selber besser. Darum habe ich mir ein eigenes Mittel ersonnen. So oft mich nämlich jemand beschimpft oder mir eine üble Unbill zufügt, stelle ich mir sogleich den göttlichen Heiland vor, wie er vor Pilatus steht, von falschen Zeugen angeklagt, von seinen Feinden verleumdet, von den Soldaten misshandelt und von dem Judenvolk, dem er so viel Gutes getan, zum Tode verlangt. Dann denke ich mir: Was ist die winzige Schmach, die ich leide, gegen die Misshandlungen, welche mein Herr und Gott für mich erduldet hat? Sogleich wird dann mein herz wieder ruhig und kühl.“
Trost und Hoffnung
Der heilige Kirchenlehrer Augustin sagt von sich selbst: „Allemal, wenn ich in eine Versuchung komme, fliehe ich zu dem Gekreuzigten; ich fliehe zu seinen Wunden und zu seinem Herzen, das von Erbarmung überfließt. Jesus ist für mich gestorben. – Dieser Gedanke wird mir zum größten Trost in allen Peinen; sein Tod ist ja mein Verdienst und mein Heil. Ich will leben und sterben in den Armen meines Heilandes.“
Verachtung der Eitelkeit
Eleonore Magdalena, Tochter des Kurfürsten und Pfalzgrafen am Rhein Philipp Wilhelm, erblickte einst als Kind in einer Kirche das Bildnis des Heilandes, der voll Wunden am Kreuz hing. Da fing sie an bitterlich zu weinen; als man sie fragte, was sie denn habe, daß sie so reiche Zähren vergieße, sagte sie: „Wie sollte ich nicht weinen? Ich bin so schön gekleidet, und mein Heiland hängt entblößt in Wunden in Blut am Kreuz.“
Geduld
Karl Clarentin, ein frommer Jüngling, lebte in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich und starb in jungen Jahren. Wenn seine Mitschüler die Kälte zu streng fanden und darum ihre Arbeiten unterlassen wollten, sagte er zu ihnen: „Ach, sollten wir denn gar nichts leiden wollen aus Liebe zu Christus?“ Als er krank geworden war, ließ er sich gegenüber ein Kreuz aufstellen. Wie er nun im Fieber und in heftigem Seitenstechen dalag, besuchte ihn sein Beichtvater und sagte zu ihm: „Du leidest wohl sehr, mein Kind, nicht wahr?“ – „Ein kleines Martyrium“, antwortete Karl, „aber das ist kein Unglück für mich.“ – Darauf fragte ihn der Priester wieder: „Bist du denn auch zufrieden damit, dieses Übel aus Liebe zu gott zu leiden?“ – „O ja, und noch mehr, wenn Gott will“, sagte der Kranke. Dann zeigte der Geistliche auf das Kreuz und ermahnte ihn, er solle es oft anschauen, und der Anblick werde seine Schmerzen mindern. „Ach ja“, sagte Karl, „deshalb habe ich mir auch den Gekreuzigten vor Augen stellen lassen. Ich sehe recht wohl, daß er unendlich mehr als ich gelitten hat; aber zwischen mir und ihm ist der Unterschied, daß er unschuldig war und ich ein Sünder bin.“
Als man ihm einmal, da er besonders starke Schmerzen litt, das Kreuz darreichte, erfaßte er es innig mit den Worten: „O, nichts ist schöner, nichts ist schöner!“ Dann küßte er es und sagte: „Meine Liebe ist gekreuzigt, und ach, ich lebe noch.“ Dann durchdachte er die sieben Worte des Herrn am Kreuz. Beim ersten Wort: „Vater, vergib ihnen“, bat Karl alle, die um ihn waren, und die er meinet jemals beleidigt zu haben, um Verzeihung, und so tat er bei jedem Wort des Herrn wieder etwas anderes. Am Ende seines Lebens umfing er nochmals das heilige Kreuz mit Andacht und sagte dann ergeben und ruhig: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.“
Reue und Buße
Der heilige Ordensstifter Dominikus betete einst beim Kreuz und weinte vor demselben gar bitter. Da kam ein Ordensbruder daher und fragte ihn, warum er denn so weine.
Dominikus gab ihm zu Antwort: „O sollte ich denn nicht weinen? Das Kreuz ist ja mein Schuldbuch, und ich lese da, was ich ausgegeben und eingenommen habe. Ausgegeben habe ich gar viele Sünden, die mein Herr so schmerzlich hat bezahlen müssen. Eingenommen habe ich gar viele Gnaden, für welche ich nicht genug dankbar bin. Sollte ich also nicht weinen beim Kreuz?“
Dankbarkeit
Die hl. Mechthildis fragte einmal Christus den Herrn, welches denn sein größter Schmerz gewesen sei. Da ließ er sie der Herr in ihrer Seele die Antwort vernehmen:
„Der größte Schmerz war, daß ich am Kreuz so ausgespannt war, daß man alle meine Gebeine zählen konnte. Wer mir für diesen Schmerz dankt, der erweist mir gleichsam einen solchen Dienst, als wenn er in alle meine Wunden Öl gegossen hätte. – Und wer mir dankt für den Durst, den ich am Kreuz gelitten habe, dessen Dank nehme ich an, als ob er selbst mir frischen Trank gereicht hätte. Und wenn jemand mir dankt, daß ich um seinetwillen mit Nägeln ans Kreuz geheftet war, so ist mir dieses so angenehm, als wenn er mich von den Nägeln abgelöst hätte.“
Gegenliebe
Der heilige Kirchenlehrer Bonaventura schaute einst andächtig auf das heilige Kreuz, und da war ihm, als spräche Christus am Kreuz die Worte, welche er beim letzten Abendmahl gesagt hatte: „Ich bin der Weinstock, ihr die Rebzweige.“ Darüber stellte der Heilige nun seine Betrachtung an und schrieb sie nieder. Sie ist uns noch erhalten. Darin sagt er unter anderem auch folgendes: „Wie süß die Traube ist, kann man erst wissen, wenn man den Saft aus der Traube preßt und trinkt. So ist auch die Liebe des Herzens Jesu erst ganz offenbar geworden, als das bittere Leiden dem Herrn sein Blut aus vielen Wunden gepreßt hat. Jeder Blutstropfen verkündet laut seine Liebe, und die Größe seiner Leiden offenbart die Größe seine rLiebe, und das Herz hat er sich verwunden lassen, damit man an dieser Wunde dessen Liebe erkenne. Wer sollte ein so verwundetes Herz nicht lieben? Wer sollte den, der so geliebt hat, nicht wieder lieben?“ –
aus: Franz Hattler SJ, Katholischer Kindergarten oder Legende für Kinder, 1911, S. 190 – S. 194
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