Das Sendschreiben nach Sardes

Mahnende Offenbarung über das, was ist, in sieben Sendschreiben

Das Sendschreiben nach Sardes (Offb. Kap. 3 Vers 1-6)

Dem Engel der Gemeinde Sardes schreibe

(1) Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt der, der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat: Ich kenne deine Werke. Du lebst dem Namen nach und bist doch tot. (2) Werde wach und festige den Rest, der daran war zu sterben; denn ich habe deine Werke nicht vollwertig befunden vor meinem Gott. (3) Erinnere dich also, wie du es überkommen hast und vernahmst, halte daran fest und bekehre dich! Wenn du nun nicht wach wirst, so werde ich wie ein Dieb kommen, und du sollst gewiß nicht erfahren, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. (4) Einige wenige Namen jedoch hast du in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben. Die sollen mit mir wandeln in weißen (Gewändern); denn sie sind es wert. (5) Der Sieger wird so in weiße Gewänder gekleidet werden, und ich werde seinen Namen nimmer austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. (6) Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Als Johannes die Botschaft Christi an die Gemeinde von Sardes richtete, hatte diese alte Königsstadt Lydiens längst ihre glorreiche Zeit hinter sich. Die Großmut des Kaisers Tiberius hatte der Stadt nach dem furchtbaren Erdbeben des Jahres 17 n. Chr. Zwar ein neues Aufblühen ermöglicht, ihr aber nicht die ehemalige Herrlichkeit wieder geben können. Ihre Bewohner sonnten sich gern im Glanz der Vergangenheit. Ihr letzter lydischer König war der sprichwörtlich reiche Krösus. Im Kaiserkult suchten sie es vergeblich den Nachbarstädten Ephesus, Pergamon und Smyrna gleich zu tun. Ihr Haupterwerbszweig war die Wollindustrie. Die erste Nachricht vom Christentum in Sardes gibt uns dieses fünfte Sendschreiben der Apokalypse.

Tadelndes Urteil von seltener Schärfe

Schon die Gemeinde von Ephesus hat der Herr daran erinnert, daß er die sieben Sterne, die Symbole der sieben Engel der Gemeinden, in der Hand hält, daß er also ihr Herr und Gebieter, aber auch ihr Schützer und Erhalter ist. Hier schickt er voraus, daß er auch die sieben Geister hat, also entweder die Fülle des Heiligen Geistes, des „Lebendigmachenden“, oder die sieben erhabenen Engelfürsten am Thron Gottes (vgl. 1, 4). Ohne zuerst ein Lob zu erteilen wie bisher, spricht dann der Herr ein tadelndes Urteil von seltener Schärfe über den Zustand der Gemeinde aus. Es geschieht zwar noch manches in Sardes. Bischof und Gemeinde gelten um Umkreis sogar als so aktiv, daß man davon spricht. Aber es ist nur Betrieb, kein echtes religiöses Leben. Reflexbewegung wird für Leben gehalten, Schein für Sein, Fassade für Tiefengehalt. So können Menschen getäuscht werden. Der Herr aber durchschaut das Innere und stellt fest, daß nur äußerliches Namenchristentum in Sardes herrscht: Du lebst dem Namen nach und bist doch tot! Es fehlt dort, was die Bibel das Leben schlechthin nennt, das Leben aus Gott, in Gott und für Gott, das sich einst im „wirklichen Leben“ bei Gott vollendet (1. Tim. 6, 19). Nur der allwissende Gott vermag ein solches Urteil über einen Menschen zu fällen. Es zwingt jeden zur Gewissen-Erforschung, ob nicht trotz aller Betriebsamkeit und alles gewohnheitsmäßigen Vollzugs religiöser Übungen Gleiches von ihm gilt, ob er nicht, um ein derbes Wort Tolstois zu gebrauchen, ein lebendiger Leichnam ist. Auch die Maschine arbeitet und weist Leistungen auf, und doch lebt sie nicht.

Der Bischof von Sardes soll vom Todesschlaf aufwachen

In einem neuen Bild wendet sich der Herr besonders an den Engel der Gemeinde. Er soll endlich aufwachen aus seinem Todesschlaf und den „Rest“, der auch schon im Zustand der Erstarrung dem Tod nahe ist, zu neuem Glaubensleben erwecken. Solches Erwachen aus seelischem Tod ist mit Hilfe der Gnade möglich (Luk. 15, 32). Das ist der Beruf des Bischofs, die anderen zu festigen, damit sie nicht dem Tode verfallen. Was er bisher in seiner Gemeinde tat, war nichts Vollwertiges in Gottes Urteil, mögen die Menschen es auch angestaunt haben. Gott mag nichts Halbes, Unfertiges. Statt der Veräußerlichung muss ein verinnerlichtes Christentum in Sardes gepflegt werden. Einen wachsamen Hirten will der Herr an der Spitze seiner Herde sehen, nicht einen, der dem schlechten Hirten Israels gleicht (Ez. 34, 1ff). „Vor meinem Gott“, sagt Christus, weil kein zweiter im gleichen Verhältnis zu Gott steht wie er, der wesensgleiche Sohn Gottes (2, 18; Joh. 20, 28).

Was der Gesamtkirche zum Verhängnis wird

Dem schläfrig gewordenen Leiter und dem entsprechenden Teil der Gemeinde ruft der Herr die schöne Zeit der „ersten Liebe“ (2, 4) in Erinnerung, den Glaubenseifer und die frohe Wachsamkeit, die sie damals bewiesen, als sie die christliche Lehre angenommen haben und gar nicht genug bekommen konnten von den Worten des Lebens. Zu dieser Haltung müssen sie zurück kehren und unentwegt dabei bleiben, müssen also ihrem ganzen Denken und Wollen wieder die Wende auf Christus hin geben, jeden Augenblick bereit, den kommenden Herrn zu empfangen. Dauert aber die Schläfrigkeit weiter, so wird der Richter sie überraschen wie ein Dieb, der gerade dann kommt, wenn niemand ihn erwartet (Matth. 24, 43; Mark. 13, 35; Luk. 12, 39; 1. Thess. 5, 2f). Für den Einzelmenschen heißt es also, jederzeit auf das Kommen des Herrn zum besonderen Gericht in der Todesstunde gerüstet sein. Der Gesamtkirche aber wird es zum Verhängnis, wenn die Gläubigen sich hienieden behaglich einrichten, als wäre es sicher erwiesen, daß die Parusie Christi noch lange nicht zu erwarten sei. So wenig biblisch es ist, genaue Berechnungen über das Weltende anstellen zu wollen, so unchristlich ist es, die von Christus bewußt unbestimmt gelassenen Vorzeichen gar nicht zu beachten und seine wiederholten Mahnungen zu steter Wachsamkeit nicht ernst zu nehmen. Auch hier betont der Herr mit besonderem Nachdruck ebenso die Plötzlichkeit wie die Unberechenbarkeit seines Kommens. Vielleicht hängt die Wahl des Bildes vom Dieb mit der Geschichte von Sardes zusammen. Schon zweimal hatte die Stadt es schwer büßen müssen, daß sie ihre Akropolis gegen jede feindliche Überraschung gesichert glaubte und deshalb nicht wachsam war. Unter Cyrus und Antiochus dem Großen stiegen nämlich die Feinde auf Leitern unversehens in die Festung und überwältigten sie.

Die Guten und Reinen sind in der Minderheit

Nicht die ganze Gemeinde von Sardes hat sich mit dem Bischof und der Mehrheit zum innerlich erstorbenen Schein-Christentum verleiten lassen. Das Schlimme ist, daß hier die Guten in der Minderheit, die Abständigen in der Überzahl sind. Nur „einige wenige Namen“, das heißt Personen sind es, die das weiße Kleid ihrer Taufe und Unschuld nicht besudelt haben mit dem Schmutz der Sünde. Der Ausdruck läßt vermuten, daß auch in Sardes wie in Pergamon und Thyatira die Sünden der Unzucht eingerissen waren, weil man nichts darin fand oder gar „die Tiefen des Satans“ erforschen wollte.

Die Reinen dürfen zum Lohn mit Christus in den weißen Gewändern der Verklärten in seliger Gemeinschaft wandeln. Dieses Glückes haben sie sich durch ihre Treue würdig gemacht. Ein erschreckendes Bild: Ein Rest der Gemeinde nur lebt noch in der Übernatur und ist besser als ihr „Engel“, als der, dessen Amt es ist, den Seinen das neue Leben zu vermitteln. Aber er selbst ist im Glauben erstorben und hat die Mehrzahl in seinen Seelentod hinein gerissen. Wie ein ausgehöhlter Baum steht er da. Noch treibt er Blätter. Noch hält die Rinde, aber das Mark ist faul. Der nächste Sturm reißt ihn um. Noch legt der Bischof von Sardes äußerlich die weiße Albe an; doch sein Ehrenkleid ist besudelt, während die wenigen Getreuen seiner Gemeinde, denen er Vorbild und Führer sein sollte, es unbefleckt bewahrt haben.

Am Fest der Unschuldigen Kinder wird in den liturgischen Tagzeiten der vierte Vers im sechsten Responsorium der Metten auf die kleinen Blutzeugen von Bethlehem bezogen.

Das weiße Gewand der Verklärung, des Triumphes und der himmlischen Festfreude wird jeden Sieger im christlichen Lebenskampf schmücken. Bei der Taufe wird uns das weiße Gewand überreicht, damit wir es uns verdienen im Leben auf Erden für das eigentliche Leben im Himmel. Der Priester spricht dabei zum Täufling: „Nimm hin das weiße Kleid; bringe es unbefleckt vor den Richterstuhl unserer Herrn Jesus Christus, auf daß du das ewige Leben erlangst.“

Der Name des Siegers ist im Buch des Lebens

Schon ist der Name des Siegers im Buch des Lebens eingetragen. Wie die Stadtgemeinden ihre Listen hatten, in die nur vollberechtigte Bürger aufgenommen wurden, so gibt es, bildhaft gesprochen, ein Buch, worin die Bürger der Gottesstadt, die in der Taufe zum ewigen Leben Wiedergeborenen, die tapferen und treuen Diener Gottes, verzeichnet sind (vgl. 2. Mos. 32, 32; Ps. 69 [68] 29; 139 [138], 16; Is. 4, 3; Dan. 12, 1; Phil. 4, 3; Offb. 13, 8; 20, 12; 21, 27) Daß ihre Namen darin bestehen, soll den Christusjüngern höhere Ehre und reinere Freude bedeuten, als daß ihnen die Geister untertan sind (Luk. 10, 20). In der feierlichen Heiligsprechung vollzieht das Oberhaupt der Kirche einen ähnlichen Akt. Der Papst trägt den Namen des bereits Seliggesprochenen in das Verzeichnis, den Kanon, der Heiligen ein. Damit bekundet er vor der ganzen Welt, daß dieser Name auch in dem himmlischen Buch des Lebens eingeschrieben sei, daß also sein Träger die Seligkeit des Himmels genießt und von der streitenden Kirche als Vorbild auf dem Weg dorthin zu verehren ist.

Der Name kann auch aus dem Buch wieder gestrichen werden

Solange der Mensch auf Erden weilt, kann jedoch sein Name aus dem Lebensbuch wieder gestrichen und ihm dadurch das Bürgerrecht im Himmel aberkannt, der Anteil am Leben in Gott entzogen werden. Die Sieger aber haben ohne Menschenfurcht und Eigennutz ihren Glauben an Christus bekannt. Darum wird auch der Herr ihren Namen vor Gott seinem Vater und seinen Engeln bekennen, sie als die Seinen anerkennen, wenn er zum Gericht erscheint. Ihre Namen bleiben ein für allemal in der himmlischen Bürgerliste stehen. Darauf allein kommt es also an, nicht darauf, vor den Menschen einen mehr oder weniger glanzvollen Namen zu haben, der nur Täuschung ist (vgl. die Erklärung zu Phil. 4, 3: Bd. XV 123f). Joh. Albert Bengel bemerkt gut, gerade die Namen derer seien oft im Buch des Lebens für immer eingetragen, die hienieden zeitlebens auf der „schwarzen Liste“ stehen.

Auf so ernste Botschaft wohl acht zu haben, tut zu allen Zeiten in allen Gemeinden not. „Das Bild von Sardes paßt auf eine jede Kirche, deren inneres Lebens am Ersterben ist… Johannes empfiehlt aber nicht den einigen wenigen, die ihre Kleider nicht befleckt haben, sich von der übrigen Gemeinde abzusondern, wohl aber den Rest zu stärken, der sterben will“ (W. Hadorn 58). –
Herders Bibelkommentar Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/2 Die Apokalypse, 1942, S. 69 – S. 73
weitere Herders Bibelkommentare zur Geheimen Offenbarung siehe: Herders Bibelkommentare zur Apokalypse

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