Über die christliche Selbstbestrafung
Nach einer alten Überlieferung hat der hl. Damian die in und außer den Klöstern vielfach geübte Disziplin, d.h. freiwillige Geißelung, vorzüglich an den Freitagen, eingeführt. Er schreibt hierüber: „Der große Völkerlehrer Paulus bekennt: „Ich trage die Wunden Jesu an meinem Leibe.“ (Gal. 6) Um auch uns zur beharrlichen Leibeszüchtigung aufzumuntern, ruft er uns zu: „Immer tragen wir die Abtötung Jesu an unserem Körper umher, damit auch das Leben Jesu an unserem Körper offenbar werde.“ (2. Kor. 4) Derjenige trägt die Abtötung Jesu an seinem Leib, welcher keinen Teil für sich behält, welcher nicht sich, sondern in Allem nur Christo lebt, welcher jeglichen Eigenwillen in sich kreuzigt. Diese Abtötung wird auf preiswürdige Weise durch die Geißelung vollzogen. Oder wurde unser Erlöser nicht gegeißelt? Hat nicht Paulus fünfmal je 39 Streiche und dreimal die Geißelung empfangen? Haben nicht die heiligen Märtyrer Streiche und Schläge erhalten? Hat nicht Moses befohlen, die Schuldigen mit Schlägen zu züchtigen? Wurde nicht der hl. Hieronymus und viele Andere auf Befehl Gottes gegeißelt? – Wie sollte nun der allmächtige Gott die Buße, die Er von Einigen wider ihren Willen forderte, nicht gerne von denjenigen annehmen, die Ihm dieselbe freiwillig leisten?
„Aber“, wird man einwenden: „da die Heiligen nicht von sich selbst, sondern von Anderen sind gegeißelt worden, so dürfen auch wir nicht mit eigener Hand uns selbst züchtigen.“ Auf diesen Einwurf ist die Antwort leicht. Wenn wir das Kreuz des Herrn durch keine anderweitige Abtötung tragen können als dadurch, daß wir nach seinem Beispiel von unseren Verfolgern ans Kreuzesholz angenagelt werden, dann ist der Befehl des Kreuztragens eitel zu der Zeit, wo die Verfolgung ruht, und keine Kreuziger vorhanden sind. Diese Behauptung wäre eben so wahnsinnig und abgeschmackt wie die, daß der Herr jene Art der Buße durch Selbstzüchtigung mißbillige, welche Er zu unserem Heil an sich zu dulden sich würdigte. Es ist daher ganz vernünftig, daß der Mensch, um seine Sünden zu büßen, die Strafrute wider sich in die Hand nehme und, um dem Gericht Gottes zu entgehen, über sich selbst zu Gericht sitze, nach dem Ausspruch des Apostels: „Wenn wir uns selbst richten, werden wir nicht gerichtet werden.“ (1. Kor. 11) Und so wenig derjenige der Vermessenheit beschuldigt werden darf, welcher nicht bloß auf Befehl des Beichtvaters, sondern auch aus eigenem Antrieb fastet: ebenso derjenige, welcher sich nicht durch fremde, sondern mit der eigenen Hand in der Zucht hält. Auf die beste Weise tut der Buße, welcher, indem er sein Fleisch durch Schläge abtötet, den Schaden, den er durch die Wollust des Fleisches erlitten, durch die Schmerzen desselben ersetzt. Es liegt nichts daran, welche Strafe der Büßende dem Fleisch antut, wenn er nur den im Körper aufgeregten Lustreiz durch eine schmerzhafte Einwirkung zurück drängt. Wenn nun dem Weichling die Anwendung der Geißel als eine tadelnswerte Neuerung erscheint, verdient etwa das Leben der heiligen Väter Tadel, weil die Einen in Dornhecken sich wälzten, die Anderen in Höhlen sich begruben und für ihre Fehler büßten? Ist die Buße der Niniviten zu verabscheuen, welche sogar ihrem Vieh drei Tage kein Futter gaben? Mögen daher diejenigen ihren Lästermund schließen und einmal aufhören, mit beißender Zunge die Gerechtigkeit Anderer zu begeifern, welche ihre eigene Ungerechtigkeit nicht zu verbessern verstehen: mögen diejenigen, welche nicht den Mut haben, mit den Geistesmenschen zu leben, doch sich schämen, in pharisäischer Scheinheiligkeit mit den Fleisches-Menschen sie zu verleumden und zu verspotten! –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 139 – S. 140