Heiligenkalender
14. Juli
Der heilige Bonaventura Kirchenlehrer
„Um Jesu und Maria willen, bitte ich dich, heiliger Vater, rette mein Kind, das ich, wenn es am Leben bleibt, dem Dienste Gottes in deinem Orden weihe“, so flehte eine fromme, beängstigte Mutter den hl. Franz von Assisi an, indem sie ihr vierjähriges, todkrankes Söhnlein vor seine Füße hinlegte. Dieser hob Auge und Hand gen Himmel, betete und – in prophetischem Geiste die künftige Größe des Kindes schauend – rief er aus: „Buona Ventura (glückliches Ereignis)!“ Das Kind war gesund. Dieses Knäblein war im Jahre 1221 zu Bagnarea in Toskana geboren und wurde auf den Namen Johannes getauft, aber in der Folge Bonaventura genannt. Die frommen Eltern erzogen ihn mit bester Sorge: namentlich pflegte die Mutter, eingedenk des Gelübdes, in ihm die zartesten Gefühle der Liebe zu Gott und zu Maria und gewöhnte ihn an Entbehrung, Demut und Gehorsam. Der sehr talentvolle Knabe lohnte ihre Mühe durch stille Bescheidenheit, regen Fleiß im Lernen und Beten.
Als Jüngling von 22 Jahren, von ungewöhnlicher Schönheit, von so majestätischer Haltung, so edlen Gesichtszügen, daß er allgemein bewundert wurde, trat er zu Rom in den Orden des hl. Franziskus. Seine äußere Wohlgestalt war nur ein mattes Abbild seiner geistigen Liebenswürdigkeit; sein Leben war so engelgleich, daß es schien, die Erbsünde habe ihn nicht berührt.
Nach dem Noviziat wurde er nach Paris auf die Universität geschickt, wo er mit Thomas von Aquin zusammen traf, Philosophie und Theologie mit rühmlichster Auszeichnung studierte, aber mit Widerwillen und nur auf bestimmten Befehl des Papstes die Doktorwürde empfing. Seine Art zu studieren war folgende: vor jeder Arbeit rief er den Beistand des heiligen Geistes an; sein wissenschaftliches Forschen gestaltete sich zu betrachtendem Gebet; immer stand das Bild des Gekreuzigten vor ihm auf dem Tisch, und die lichtvolle Erkenntnis seines Geistes vermehrte immer auch die warme Liebe seines Herzens, die sich gar oft durch heiße Tränen verriet. Seine Vorlesungen an der Universität waren sehr besucht und bewundert, und wegen seiner Geist und Gemüt erhebenden Gelehrsamkeit gab man ihm einstimmig den Ehrentitel: „Der seraphische Lehrer“. Aus Demut getraute er sich nicht, seine hungernde Seele öfters mit der heiligen Kommunion zu erquicken, bis Gott durch ein Wunder ihn dazu ermunterte. Denn als er mehrere Tage nicht mehr kommuniziert hatte, und während der heiligen Messe in die Betrachtung des Leidens Jesu vertieft war, legte ihm ein Engel einen Teil von der heiligen Hostie des Priesters auf die Zunge: von da an empfing er oft die Speise der Engel. Mit zitternder Furcht bereitete er sich auf die Priesterweihe vor, und bis zum Tode bestieg er nie den Altar ohne Tränen in den Augen.
Im Alter von erst 35 Jahren wurde er vom ganzen Orden einstimmig zum General erwählt und sogleich vom Papst bestätigt. Die Arbeit in diesem Amt war äußerst heikel und schwierig, weil der abgetretene Ordensgeneral, Johann von Parma, durch unklugen Eifer und übertriebene Strenge die Gemüter entzweit hatte. Bonaventura war der rechte Mann, die aufgewühlten Wogen mit salbungsvoller Beredsamkeit zu bändigen, die verwundeten Herzen mit schonender Liebe zu heilen. Seine Worte bekräftigte er durch seine Werke; er übte die Armut, Brüderlichkeit und Demut in vollkommener Weise, arbeitete im Hause, in der Küche, im Garten, wachte bei den Kranken usw. Als man ihn bat, seine Würde nicht so zu erniedrigen, erwiderte er: „Erniedrigt sich denn ein Bruder, der in Liebe seinen Brüdern dient?“ Rührend war die Innigkeit seiner Liebe zu Maria, deren Schutz er all` sein Tun empfahl, alle Ordenshäuser unterstellte; zu deren Verehrung er wunderbar schöne Bücher schrieb, Bruderschaften stiftete, die Feier ihrer Feste erhöhte und das Läuten des englischen Grußes am Morgen und Abend anordnete.
Es ist kaum erklärlich, wie er bei seiner vielseitigen, angestrengtesten Tätigkeit noch so viele und tief durchdachte Schriften verfassen, und die herrliche Lebensgeschichte des heiligen Ordensstifters so gründlich bearbeiten konnte. Als ihn Papst Klemens IV. zum Erzbischof von York in England ernannte, gelang es seiner Demut, durch fußfälliges Bitten diese Erhebung abzuwehren. Weniger glücklich war er bei Papst Gregor X., der ihn zum Bischof von Albano und zum Kardinal ernannte und bestimmte, daß er auf dem nach Lyon berufenen allgemeinen Konzil als erster Redner auftrete. Die päpstliche Gesandtschaft, welche dem Bonaventura den Purpur nach Florenz brachte, fand den „seraphischen Doktor“ gerade in der Küche mit Spülen der Geschirr beschäftigt.
Das Konzil, welches im Jahre 1273 zu Lyon eröffnet wurde, hatte zum Hauptzweck die Vereinigung der griechischen Kirche mit der lateinischen, und die Befreiung des heiligen Landes von den Gräueln der Sarazenen. Bonaventura hielt vor der großartigen Versammlung die erste, feierliche Rede, setzte die Lehre der römisch-katholischen Kirche mit bewunderungswürdiger Klarheit auseinander, und widerlegte die Irrtümer der Griechen mit so überzeugender Macht und Kraft, daß dieselben sich dem Urteil des Konzils unterwarfen, und am Fest der Apostelfürsten Petrus und Paulus die Glaubens-Einigkeit der Griechen und der Lateiner öffentlich ausgesprochen werden konnte.
Bonaventura blieb die Seele der ganzen Versammlung, führte im Beisein des Papstes Gregor X. den Vorsitz in den Beratungen, leitete den Gang der Arbeiten und übernahm die Fassung der Dekrete; aber die Last der Geschäfte erdrückte ihn. Er erkrankte schwer, der Papst selbst erteilte ihm die letzte Ölung; die schmerzlichste Trauer umgab sein Sterbebett, nur er allein blickte mit himmlischer Ruhe und Heiterkeit auf sein geliebtes Kruzifix und endigte sein unschätzbares Leben allzu früh, am 15. Juli 1274 schon im 53. Altersjahr.
Kaum wurde je ein Sterblicher mit einem so feierlichen Leichenbegängnis geehrt wie dieser große Mann. Der Papst, 500 Bischöfe, über tausend Prälaten, weltliche Fürsten und berühmte Gelehrte begleiteten den Sarg, und unzählige Tränen der trauernden Liebe und Verehrung bezeugten ihre Zustimmung zur Leichenrede, welche der Kardinal-Bischof von Ostia hielt über den Text: „Ich trauere um dich, mein Bruder Jonathan.“ (2. Kön. 1,26) Ungeachtet der vielen Wunder und Zeugnisse seiner Heiligkeit erfolgte seine Heiligsprechung erst nach zweihundert Jahren, und Papst Sixtus V. nahm ihn auf unter die sechs großen lateinischen Kirchenlehrer. Seine Reliquien wurden zu Lyon in einer prachtvollen Kapelle verehrt, im Jahre 1562 aber von den Calvinisten auf öffentlichem Platz verbrannt. Seine berühmten Schriftwerke in acht Foliobänden bleiben sein schönstes Denkmal. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 528 – S. 530
Unter seinen vielen und wichtigen Geschäften unterließ er keine seiner Andachts-Übungen und lag dem Studium ob, so viel als möglich war. Wir haben noch heut zu Tage viele Bücher, voll der größten Gelehrsamkeit, welche der heilige Mann über verschiedene Gegenstände der Gottes-Gelehrsamkeit geschrieben hat. Unter anderen schrieb er wider jene, welche die vom Almosen lebenden Ordensstände lästerten und verfolgten, ein Werk, welches er Schutzrede der Armen betitelte. Er zeigte in diesem nebst anderem auch, wie nützlich solche Ordensstände der menschlichen Gesellschaft sowohl in Bezug auf das Leibliche als Geistliche seien. Zum Lobe der göttlichen Mutter, deren Ehre er allenthalben möglichst zu befördern suchte, und die er selbst von seiner Kindheit an aus allen Kräften verehrt hatte, schrieb der Heilige ebenfalls sehr geistreiche und gelehrte Bücher.
Man hat auch von ihm die Lebensbeschreibung des heiligen Franziskus, des Stifters des seraphischen Ordens. Als er an derselben arbeitete, kam der heilige Thomas von Aquin in das Kloster, um ihn zu besuchen. Sobald aber dieser Heilige vernahm, womit Bonaventura beschäftigt sei, wollte er ihn nicht stören, sondern kehrte sogleich zurück mit den Worten: „Lassen wir den Heiligen für den Heiligen arbeiten.“ So hoch schätzte der heilige Thomas den Bonaventura, daß er kein Bedenken trug, ihn noch bei Lebzeiten einen Heiligen zu nennen. Als der heilige Thomas ihn einmal fragte, wo er seine Bibliothek habe, antwortete Bonaventura, mit dem Finger auf ein Kruzifix zeigend: „Dieses ist meine Bibliothek, woraus ich aller erlernt habe, was ich lehre.“
Ehe er zu studieren anfing, und so oft ihm ein Zweifel oder eine Schwierigkeit im Studium aufstieß, warf er sich vor diesem Bilde auf die Erde und flehte demütig um göttliche Erleuchtung. Er bekannte öfters, daß er durch dieses Mittel mehr Erkenntnis, als durch allen angewandten Fleiß erhalten habe. Dies alles genügte seinem Eifer nicht; es pflegte der für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen begeisterte Mann an allen Orten, die er seines Amtes wegen besuchen musste, durch öffentliche Predigten und Ermahnungen die Sünder zur Buße und die Frommen zu immer eifrigerem Tugendstreben anzuleiten.
Als sich 1562 die Hugenotten oder Calvinisten der Stadt Lyon bemächtigt hatten, verbrannten sie öffentlich die Gebeine des Heiligen und warfen die Asche in den Fluss. Das heilige Haupt aber wurde durch die Sorgfalt eines Priesters ihrer fanatischen Wut noch rechtzeitig entzogen. –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 548 – S. 550