Ansprache Pius IX. über die Nöte der Kirche 1861
Ansprache Sr. Heiligkeit des Papstes Pius IX. im geheimen Konsistorium am 18. März 1861 (Iamdudum Cernimus)
Seit Langem gewahren Wir, Ehrwürdige Brüder! durch welchen unseligen Kampf, vorzüglich in der gegenwärtigen überaus beklagenswerten Zeit, die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unruhe und Aufregung versetzt wird — ob des Widerstreites der Grundsätze von Wahrheit und Irrtum, von Tugend und Laster, von Licht und Finsternis. Denn ein Teil vertritt die Ansichten der so genannten heutigen Bildung oder Aufklärung, während der andere Teil für die Forderungen der Gerechtigkeit und unserer heiligen Religion einsteht.
Die Ersten begehren, dass der Papst mit dem „Fortschritt,“ mit dem „Liberalismus,“ wie sie ihn nennen, und mit der „Bildung“ der Neuzeit sich vertrage und versöhne.
Die anderen aber verlangen nach Gebühr, dass die unwandelbaren und unerschütterlichen Grundsätze der ewigen Gerechtigkeit vollständig und unversehrt bewahrt bleiben, und dass die heilbringende Macht unserer göttlichen Religion in ihrer ganzen Stärke erhalten werde, da sie es ist, welche Gottes Ehre erhöht, welche die rechten Heilmittel für all die Übel bietet, von denen das Menschengeschlecht betroffen wird, und welche zugleich die einzige wahre Richtschnur bildet, mittelst deren die Menschenkinder in diesem sterblichen Leben in aller Tugend unterwiesen und in den Hafen einer glückseligen Ewigkeit sicher geleitet werden.
Aber die Vertreter der heutigen „Bildung“ sind mit dieser Scheidung keineswegs einverstanden, da sie sich vielmehr die wahren und aufrichtigen Freunde der Religion nennen. Und Wir möchten ihnen Glauben schenken, wenn nicht die schlimmsten Tatsachen, welche täglich vor Aller Augen sich darstellen, das gerade Gegenteil erweisen würden.
In der Tat — Eine nur ist auf Erden die wahre und heilige Religion, von Christus dem Herrn selbst gegründet und gestiftet: sie ist die fruchtbare Mutter und Nährerin aller Tugenden, die Vertreiberin der Laster, die Befreierin der Seelen, die Wegweiserin zur wahren Glückseligkeit; und sie heißt die katholische, apostolische, römische. Was aber von Denen zu halten sei, welche außerhalb dieser Arche des Heiles leben, das haben Wir schon ein anderes Mal in Unserer Ansprache am 9. Dezember 1854 erklärt (S. Verordn.-Bl. v. J. 1855. Nr. X. S. 6 ff.), und Wir bekräftigen hier dieselbe Lehre.
Nun fragen Wir aber alle Diejenigen, welche Uns zumuten, daß Wir jener heutigen „Bildung“ zum Besten der Religion Unsere Hand reichen sollen, — Wir fragen sie alle: ob die Tatsachen von der Art seien, daß sie den Stellvertreter Jesu Christi auf Erden, der von dem Herrn selbst kraft göttlicher Gewalt gesetzt ist, um die Lauterkeit seiner himmlischen Lehre zu wahren und seine Lämmer und Schafe mit derselben Lehre zu weiden und zu stärken, — ohne die schwerste Verlegung seines Gewissens und ohne das größte Ärgernis für Alle dazu bestimmen könnten, daß er sich jener heutigen „Bildung“ anschließe, durch welche so viele, niemals genug zu beklagende Übel hervorgerufen und so viele verderbliche Irrtümer und Grundsätze verbreitet werden, die insgesamt der katholischen Religion und der heiligen Lehre ganz und gar widerstreiten?
Unter diesen Tatsachen ist Jedermann bekannt, wie sogar die feierlichen, zwischen dem apostolischen Stuhl und den Fürsten rechtskräftig abgeschlossenen Verträge völlig zerrissen werden, — was erst kürzlich zu Neapel geschah. Hierüber erheben Wir in dieser eurer hoch ansehnlichen Versammlung wiederholt und abermals Klage, Ehrwürdige Brüder, und legen die vollste Rechtsverwahrung ein — ganz in derselben Weise, wie Wir gegen ähnliche Angriffe und Rechtsverletzungen früher schon Unsere Verwahrung feierlich ausgesprochen haben.
Diese nämliche heutige „Bildung“ begünstigt jede nicht-katholische Religionsübung, schließt sogar die Ungläubigen von der Verwaltung öffentlicher Ämter nicht aus und öffnet ihren Kindern die katholischen Schulen; dagegen verfolgt sie die kirchlichen Ordensgenossenschaften, verfolgt die Anstalten, welche zur Leitung der katholischen Schulen gegründet sind; verfolgt eine sehr große Zahl von Geistlichen jedes Ranges, selbst Männer, welche die höchsten Würden bekleiden, so daß nicht Wenige von ihnen in der Verbannung oder im Kerker elend schmachten; verfolgt endlich angesehene Laien, welche Uns und diesem heiligen Stuhl ergeben die Sache der Religion und der Gerechtigkeit mit Eifer verteidigen.
Diese „Bildung“ gewährt nicht-katholischen Anstalten und Personen freigebige Unterstützung und Hilfe, beraubt dagegen die katholische Kirche ihrer rechtmäßigsten Besitzungen, und bietet alle Mittel und Wege auf, um die heilbringende Wirksamkeit dieser Kirche zu vermindern.
Diese „Bildung“ gibt allen Reden und Schriften, welche die Kirche und alle ihr treu ergebenen Anhänger bekämpfen, die vollständigste Freiheit: sie ermutigt, nährt und hegt die Zügellosigkeit in dieser Beziehung; dagegen zeigt sie sich zur nämlichen Zeit äußerst schonend und gemäßigt, wenn es sich darum handelt, Gewalttätigkeiten und bisweilen sogar Grausamkeiten zu rügen, welche gegen Mätiner verübt werden, die vortreffliche Schriften herausgeben; glaubt sie aber von diesen die Grenzen der Mäßigung auch nur im Geringsten überschritten, so bringt sie alle Strenge der Strafen in Anwendung.
Und einer solchen „Bildung“ sollte je der Papst freundlich die Rechte reichen, mit ihr ein Bündnis und Einvernehmen aus Herzensgrund schließen können?
Man gebe den Dingen ihren wahren Namen zurück, und dieser heilige Stuhl wird sich stets gleichbleibend erfunden werden!
Beständig war er der Schützer und Beförderer der echten Bildung. Die Denkmäler der Geschichte bezeugen und beweisen es laut und beredt, daß dieser heilige Stuhl zu allen Zeiten bis in die entferntesten und rohesten Länder des Erdkreises die wahre und rechte menschenwürdige Bildung, Gesittung, Zucht und Weisheit getragen habe. Will man aber mit dem Namen „Bildung“ eine Sinnes- und Denkweise bezeichnen, die eigens darauf angelegt ist, die Kirche Jesu Christi zu schwächen und vielleicht auch zu vernichten, so wird allerdings dieser heilige Stuhl und der Papst sich gewiss niemals mit einer derartigen „Bildung“ vereinbaren können. Denn — wie der Apostel voll Weisheit ausruft (II, Korinth. VI, 11. 15.) — „was hat die Gerechtigkeit gemein mit der Ungerechtigkeit? oder was für eine Verbindung besteht zwischen Licht und Finsternis? und wie vertragen sich Christus und Belial?“
Mit welcher Ehrlichkeit erheben demnach die Unruhestifter und die Freunde der Empörung ihre Stimme, um in überschwänglichen Worten die Bemühungen zu schildern, welche sie ohne Erfolg gemacht hätten, um sich mit dem Papst auszugleichen? Denn dieser, der seine ganze Kraft aus den Grundsätzen der ewigen Gerechtigkeit schöpft, — wie könnte er wohl je eben diese Grundsätze aufgeben, damit der heilige Glaube geschwächt und auch Italien in die Gefahr gebracht werde, seinen höchsten Glanz und Ruhm zu verlieren, in welchem es seit neunzehn Jahrhunderten strahlt, weil ihm der Vorzug beschieden ist, den Mittelpunkt und den Sitz der katholischen Wahrheit in sich zu haben.
Es lässt sich auch der Vorwurf nicht erheben, als habe dieser apostolische Stuhl in Sachen der ihm zustehenden weltlichen Herrschaft die Ohren dem Verlangen Derer verschlossen, welche ihre Wünsche nach einer freieren Verwaltung kund gegeben haben. Um ältere Tatsachen zu übergehen, wollen Wir nur von dieser Unserer unseligen Zeit reden. Als Italien von seinen rechtmäßigen Fürsten freiere Verfassungen erhielt, haben auch Wir in väterlicher Gesinnung einen Teil der Söhne Unseres päpstlichen Staates zur weltlichen Verwaltung beigezogen und zeitgemäße Zugeständnisse gemacht, die jedoch nach den Regeln der Klugheit bemessen waren, damit nicht die aus väterlichem Herzen gewährte Gabe durch das Treiben böser Menschen vergiftet werden möge. Was ist aber darauf geschehen? Eine zügellose Frechheit hat sich Unseres unschädlichen Geschenkes bemächtigt; die Schwellen des Saales, in welchem die Staatsminister und die Abgeordneten sich versammelt hatten, wurden mit Blut bespritzt, und die ruchlose Hand wurde mit Gott verachtendem Frevel gegen Den gekehrt, welcher die Wohltat gespendet hatte.
Und wenn Uns in neuester Zeit in Bezug auf die weltliche Landesregierung Ratschläge erteilt wurden, so ist euch wohl bekannt, Ehrwürdige Brüder, daß dieselben von Uns angenommen wurden, — mit Ausnahme und Zurückweisung dessen, was nicht auf die weltliche Landesverwaltung sich bezog, sondern darauf hinauslief, daß Wir dem schon vollzogenen Raub Unsere Zustimmung erteilen sollten.
Indessen ist von der bereitwilligen Annahme solcher Ratschläge und von Unserem aufrichtigen Versprechen, dieselben in Ausführung zu bringen, hier nicht weiter zu reden, da die Leiter der Gewalttaten laut verkündeten, daß sie keine Verbesserungen wollen, sondern daß die vollständige Empörung und der gänzliche Abfall von dem rechtmäßigen Fürsten ihr Ziel sei. Eben diese Urheber und Rädelsführer des Hochverrats waren es auch, welche mit ihrem Geschrei alles erfüllten, keineswegs aber das Volk; so daß von ihnen mit Recht wiederholt werden kann, was der ehrwürdige Beda von den Pharisäern und Schriftgelehrten, den Feinden Jesu Christi sprach (In seiner Auslegung des Xl. Hauptst. des hl. Lukas, Buch 1. Hauptst. 48.): „Diese Verleumdungen brachten nicht Leute aus dem Volk, sondern die Pharisäer und Schriftgelehrten vor, wie die Evangelisten bezeugen.“
Der Kampf wider das Papsttum hat jedoch nicht bloß den Zweck, diesen heiligen Stuhl und den Papst seiner rechtmäßigen weltlichen Herrschaft ganz und gar zu berauben, sondern er strebt auch dahin, die heilbringende Macht der katholischen Religion zu schwächen und, wenn jemals möglich, vollständig zu vernichten. Er greift daher Gottes Werk selbst an, die Frucht der Erlösung, jenen hochheiligen Glauben, der das kostbarste Erbe ist, welches wir aus dem unaussprechlich hehren Opfer, das auf Golgatha vollbracht ward, überkommen haben.
Daß dies wirklich in jenem Kampfe erstrebt wird, beweisen mehr als zur Genüge sowohl die schon erwähnten Tatsachen, als auch die Dinge, welche wir täglich sich ereignen sehen. Denn wie viele Bistümer in Italien sind der gemachten Hindernisse wegen ihrer Bischöfe beraubt, worüber die Träger und Freunde der heutigen „Bildung“ sich freuen, die so viele christliche Gemeinden ohne Hirten schmachten lassen und unterdessen deren Güter in Besitz nehmen, um sie sogar zu schlechten Zwecken zu missbrauchen! Wie viele Oberhirten leben in der Verbannung! Wie groß ist die Zahl der Abtrünnigen (zu Unseres Herzens unglaublichem Schmerz sagen Wir dies), die nicht in Gottes, sondern in des Satans Namen redend und auf die ihnen durch ein unseliges Regierungsverfahren gewährte Straflosigkeit pochend, die Gewissen verwirren, die Schwachen zum Falle bringen, die unglücklichen Gefallenen zu hartnäckigem Verharren in jeder Art der schmählichsten Lehren verleiten und das Kleid Jesu Christi zu zerreißen: suchen, indem sie sich nicht scheuen, sogenannte nationale oder Volks-Kirchen und andere dergleichen Gottlosigkeiten vorzuschlagen und anzupreisen!
Nachdem sie aber in solcher Weise die Religion verhöhnt, welche sie voll der Heuchelei zu einem Bündnis mit der heutigen „Bildung“ einladen, tragen sie auch kein Bedenken, mit derselben Heuchelei Uns zu einer Wiederaussöhnung mit Italien aufzufordern. Das heißt: nachdem Wir, fast Unseres ganzen weltlichen Landesgebietes beraubt, die überschweren Lasten als Papst und Landesfürst nur durch die frommen Gaben zu tragen vermögen, welche die treuen Kinder der katholischen Kirche täglich in liebreichster Weise Uns zukommen lassen: nachdem Wir schuldlos das Ziel des öffentlichen Geifers und Hasses geworden — durch das Treiben eben jener Menschen, welche jetzt von Uns eine Aussöhnung verlangen; so möchten sie Uns jetzt auch noch nötigen, vor aller Welt zu erklären, daß die mit Gewalt Uns entrissenen päpstlichen Landesgebiete freies Eigentum der Räuber geworden seien.
Durch ein so freches und bisher noch nie erhörtes Begehren möchten sie es zweifelsohne dahin bringen, daß von dem heiligen Stuhle selbst, welcher das feste Bollwerk der Wahrheit und Gerechtigkeit allezeit war und sein wird, der Wahn bestätigt würde, als ob der frevelnde Übeltäter ein wider Recht und mit Gewalt geraubtes Gut ganz ruhig und ehrbarer Weise in seinem Besitz behalten könne: sie möchten es dahin bringen, daß so der falsche Grundsatz zur Geltung gebracht würde, daß eine ungerechte Tat, wenn glücklich gelungen, der Heiligkeit des Rechtes keinen Eintrag tue.
Dies ist eine Forderung, die auch mit den feierlichen Worten im Widerspruch steht, die erst jüngst in einer großen und hoch ansehnlichen Ratsversammlung ausgesprochen haben, „daß der Papst der oberste Träger und Vertreter der höchsten sittlichen Macht in der menschlichen Gesellschaft sei.“
Hieraus folgt aber, daß der Papst nie und in keiner Weise mit jener vandalischen Beraubung sich einverstanden erklären könne, ohne die Grundfeste jener heiligen Sittenlehre zu verlegen, als deren höchsten Ausdruck und als deren Verkörperung man ihn betrachtet.
Wer aber immer, sei er von Irrtum befangen oder von Furcht betroffen, Ratschläge erteilen möchte, welche den ungerechten Wünschen der Aufwiegler in der bürgerlichen Gesellschaft nachgeben, der muss, namentlich in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen, es sich durchaus gesagt sein lassen, daß jene Menschen sich niemals zufrieden geben werden, so lange sie nicht jede Lehre von einer höheren Gewalt, jeden Zügel der Religion, jede Regel des Rechtes und der Gerechtigkeit bei Seite geschafft sehen. Leider haben diese Männer des Umsturzes sowohl durch Reden als durch Schriften es zum Verderben der bürgerlichen Gesellschaft bereits dahin gebracht, daß sie die Geister der Menschen verwirrt, das sittliche Gefühl abgestumpft, die Scheu vor dem Unrecht aus der Seele genommen haben; und Alles bieten sie auf, um bei Jedem dem Gedanken Eingang zu verschaffen, das von den ehrlich gesinnten Völkern angerufene Recht sei nichts Anderes, als eine ungerechte Willkür, der man mit Verachtung entgegen treten müsse. Ach, fürwahr „das Land ist in Trauer und Elend und ist schwach geworden; der Erdkreis sieht hin; kraftlos ist geworden das Oberste im Volke des Landes. Und verpestet ist die Erde von ihren Bewohnern; denn sie haben die Gesetze übertreten, das Recht gefälscht, den ewigen Bund zerrissen.“ (Is. 24, 4 u. 5)
In dieser tiefen Nacht der Finsternis, in welche Gott nach seinem unerforschlichem Urteil die Völker versinken lässt, setzen Wir indessen alle Unsere Hoffnung und all Unser Vertrauen ganz auf den unendlich gnädigen Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes, der Uns tröstet in aller Unserer Trübsal. Denn Er ist es, der euch, Ehrwürdige Brüder, den Geist der Eintracht und wechselseitiger Einmütigkeit einflößt und täglich mehren wird, damit ihr, mit Uns auf das Engste und Einträchtigste verbunden, bereit seiet, mit Uns zugleich jenes Schicksal zu tragen, das nach den verborgenen Ratschlüssen seiner göttlichen Vorsehung jedem von uns bestimmt ist. Er ist es, der durch das Band der Liebe unter einander sowohl als mit diesem Mittelpunkt der katholischen Wahrheit und Einheit die geistlichen Oberhirten in der ganzen christlichen Welt verbindet, welche die ihnen anvertrauten Gläubigen in der Lehre der evangelischen Wahrheit unterweisen, und ihnen mitten in dem tiefen Dunkel den sicher zu wandelnden Weg zeigen, indem sie den Völkern in Kraft der Weisheit die heiligsten Lehren verkünden. Er ist es, der über alle katholischen Völker den Geist des Gebetes ausgießt und den nicht-katholischen eine Gesinnung wahrer Billigkeit einflößt, so daß sie über die jetzigen Ereignisse ein richtiges Urteil fällen.
Diese so bewunderungswürdige Gebets-Einmütigkeit in der ganzen katholischen Welt, diese so einstimmigen Kundgebungen der Liebe zu Uns, die auf so vielfache und verschiedene Weise ihren Ausdruck finden (wie man Ähnliches in früherer Zeit nicht leicht wird treffen können), sind aber auch ein ganz offenkundiger Beweis, daß alle recht gesinnten Menschen sich unumgänglich diesem Stuhl des seligen Apostelfürsten Petrus zuwenden müssen, dieser Leuchte des Erdkreises, der als Hort der Wahrheit und Verkünder des Heiles die unwandelbaren Gesetze der ewigen Gerechtigkeit stets gelehrt hat und bis zu der Zeiten Vollendung zu lehren niemals ablassen wird.
Weit entfernt aber, daß die Völker Italiens, von den genannten herrlichen Erweisen der kindlichen Liebe und Ehrerbietung gegen diesen apostolischen Stuhl zurück geblieben wären, so haben vielmehr mehrere Hunderttausende aus ihnen Schreiben voll der Liebe an Uns gesendet, — nicht etwa um die von den Umsturzmännern mit lautem Geschrei angepriesene „Versöhnung“ zu verlangen, sondern um Unsere Drangsale, Leiden und Kümmernisse auf’s Tiefste zu beklagen, um in aller Weise ihre Anhänglichkeit an Uns zu beteuern, und gegen den ruchlosen, an gottgeweihtem Gute sich vergreifenden Raub, der an Uns und an diesem apostolischen Stuhl durch Entreißung Unseres weltlichen Landes -Gebietes verübt wurde, fort und fort ihren Abscheu auszusprechen.
Bei dieser Lage der Dinge nun erklären Wir, bevor Wir diese Ansprache beenden, offen und bestimmt vor Gott und den Menschen, daß durchaus kein Grund vorhanden ist, weshalb Wir mit irgend Jemand Uns aussöhnen sollten. Da Wir aber, obwohl ohne Unser Verdienst, die Stelle dessen hier auf Erden vertreten, der für die Sünder betete und um Verzeihung bat, so sind Wir Uns wohl bewusst, daß Wir denen zu vergeben haben, welche Uns hassen, und daß Wir für sie beten müssen, damit sie mit Hilfe der göttlichen Gnade sich bekehren und so den Segen Dessen verdienen, der das Amt des Statthalters Jesu Christi hier auf Erden übt. Ja, gerne beten Wir für sie, und sind bereit, ihnen zu verzeihen und sie zu segnen, sobald sie sich bekehrt haben werden.
Unterdessen aber können Wir Uns nicht tat- und gefühllos verhalten, gleich als kümmerten Wir Uns nicht um das Unglück der Menschen: Wir können nicht anders als tiefe Betrübnis und herben Schmerz empfinden und wie Uns selbst angetan jene schweren Übel und Leiden betrachten, welche in ruchloser Weise denen zugefügt werden, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden. Während Wir daher im innersten Herzen von Trauer ergriffen sind und zu Gott flehen, erfüllen Wir die schwere Pflicht Unseres obersten apostolischen Amtes, zu sprechen, zu lehren und zu verdammen Alles was Gott und seine Kirche lehrt und verdammt, damit Wir so Unseren Lauf vollenden und den Dienst des Wortes, den Wir von dem Herrn Jesus empfangen haben, um Zeugnis zu geben dem Evangelium der Gnade Gottes. (Apg. 20, 24)
Verlangt man also Ungerechtes von Uns, so können Wir dies nicht tun; begehrt man aber Verzeihung, so werden Wir diese gerne und bereitwillig, wie Wir oben erklärten, gewähren. Damit Wir aber dieses Wort der Verzeihung in einer Weise aussprechen, welche der Heiligkeit Unserer päpstlichen Würde vollkommen geziemt, so beugen Wir Unsere Knie vor Gott, und das Siegeszeichen unserer Erlösung umfassend, flehen Wir in tiefster Demut zu Christus Jesus, daß Er Uns mit seiner eigenen Liebe erfülle, auf daß Wir ganz in derselben Weise verzeihen, wie Er seinen Feinden verzieh, bevor er seinen heiligsten Geist in die Hände seines ewigen Vaters übergab. Und Wir bitten ihn mit der größten Inbrunst: wie Er nach seiner Verzeihung mitten in der dichten Finsternis, womit die ganze Erde bedeckt war, die Herzen seiner Feinde erleuchtete, welche dann voll Reue über ihr entsetzliches Verbrechen und an ihre Brust schlagend heimkehrten; so möge Er auch mitten in dem so tiefen Dunkel unserer Zeit aus dem unerschöpfbaren Schatz seiner unendlichen Barmherzigkeit die Gaben seiner himmlischen und siegreichen Gnade ausgießen, damit alle Irrenden zu seiner Einen und einzigen Herde zurückkehren.
Welche aber auch immer die unerforschlichen Ratschlüsse seiner göttlichen Vorsehung in der Zukunft sein mögen, so bitten Wir den Herrn Jesus Christus im Namen seiner Kirche, daß Er die Sache seines Stellvertreters, welche eben die Sache seiner Kirche ist, richte, sie gegen die Anschläge ihrer Feinde verteidige, und mit glorreichem Sieg umgebe und verherrliche. Wir bitten Ihn auch flehentlich, daß Er der in Unordnung gestürzten Gesellschaft Ordnung und Ruhe wieder gebe und den heiß ersehnten Frieden schenke — zum Sieg der Gerechtigkeit, den Wir von Ihm allein erwarten. Denn bei der so großen Erschütterung Europas und der ganzen Welt, bei dem Bangen Derer, welche das schwierige Amt haben, die Geschicke der Völker zu leiten, ist es Gott allein, der mit Uns und für Uns kämpfen kann. Richte Uns, o Gott! und entscheide Unsere Sache gegen ein unheilig Volk. (Ps. 42, 1) Verleihe Frieden, o Herr! in unseren Tagen, da kein Anderer ist, der für Uns kämpfen könnte, als Du allein Unser Gott. –
aus: Oberhirtliches-Blatt für das Bistum Regensburg, Jahrgang 1861, S. 52 – S.60