Die Syllabus Enzyklika Papst Pius IX.

Die Syllabus-Enzyklika Papst Pius IX.

Am nächsten Tag (Anm.: nach der Heiligsprechungs-Feier vom 8. Juni 1862) versammelte der heilige Vater die Bischöfe auf´s neue um sich, und hielt nun an dieselben die berühmte Allokution des 9. Juni 1862, in welcher er nach seinem eigenen Ausdruck zunächst „über die Haupt-Irrlehren unseres unglücklichen Jahrhunderts eine schmerzliche Rundschau“ hielt, namentlich über den Unglauben, die Leugnung des göttlichen Ursprungs der Kirche, die beanspruchte Staats-Omnipotenz, den Pantheismus und Rationalismus. Darauf beklagte er, daß die Bischöfe Italiens und Portugals durch ihre Regierungen verhindert seien, an der gegenwärtigen Versammlung der Bischöfe teilzunehmen. Dann gedachte er der „gottlosen Verschwörung, der strafbaren und hinterlistigen Kunstgriffe, womit die Bösgesinnten die weltliche Herrschaft des apostolischen Stuhles umzustürzen drohen.“ Dieser Bosheit gegenüber gewähre es ihm indes vielen Trost, daß die Bischöfe einstimmig seien in der Lehre von der Notwendigkeit der weltlichen Herrschaft zur freien Ausübung der geistlichen Hirtenpflichten des Statthalters Christi.
Und eben so berühmt ist die Adresse, welche der versammelte Episkopat noch an demselben Tage an den heiligen Vater richtete. Darin hieß es:

Mögest Du lange leben, heiliger Vater, und die katholische Kirche segensreich regieren! Mögest Du auch fernerhin durch Deine Kraft sie schützen, durch Deine Weisheit sie lenken, durch Deine Tugenden sie schmücken. Wie der gute Hirt geh` uns voran, weide die Lämmer und die Schafe der himmlischen Weide und erfrische sie durch das Wasser der himmlischen Weisheit. Du bist für uns der Bewahrer der wahren Lehre, der Mittelpunkt der Einheit, das den Völkern von der göttlichen Weisheit bereitete unwandelbare Licht. Du bist der Fels der Kirche selbst, gegen den die Pforten der Hölle nichts vermögen.
Wenn du sprichst, so ist es Petrus, den wir vernehmen; wenn du befiehlst, so ist es Jesus Christus, dem wir gehorchen. Wir bewundern Dich, wie Du in Erfüllung Deines heiligen Amtes da stehst mit heiterer Stirne, mit unerschütterlichem Mute, unbesiegbar und aufrecht inmitten so vieler Prüfungen und Stürme…
Wir verdammen die von Dir verdammten Irrtümer; wir verwerfen und verabscheuen die neuen und fremden Lehren, welche allerwärts zum Nachteil der Kirche Jesu Christi verbreitet werden; wir verdammen und tadeln die Heiligtums-Schändungen, die Beraubungen, die Verletzungen der geistlichen Immunität und alle übrigen gegen die Kirche und den Stuhl Petri verübten Freveltaten…

Niemals war das Recht des päpstlichen Stuhles auf die weltliche Herrschaft und die aus den Zeitverhältnissen sich ergebende Notwendigkeit dieser Herrschaft so feierlich ausgesprochen worden: der ganze Episkopat hatte, was jeder Bischof bisher für sich in Hirtenbriefen und Adressen getan, jetzt im Verein ganz einmütig betont, und das Echo des feierlichen Wortes der versammelten Oberhirten drang von Rom zu allen Herden der Gläubigen, und klang von diesen Gläubigen aus allen Weltteilen in Reden und Predigten, in Zeitschriften und Büchern, in Resolutionen und Adressen zurück nach dem Mittelpunkt der Christenheit, nach Rom, zurück zu dem Oberhaupt der christlichen Welt, zu Pius dem Neunten. Das war kein geringer Trost für das Herz des schwer bedrängten, Schmerz erfüllten Geistes.

Aber die versammelten Bischöfe hatten auch gesagt: „Heiliger Vater! Weide die Lämmer und die Schafe der himmlischen Weide, und erfrische sie durch das Wasser der himmlischen Weisheit! … Wenn Du sprichst, so ist es Petrus, den wir vernehmen.“ Wie oft schon hatte Pius während seines Pontifikates sich als Nachfolger des Apostelfürsten und als Hirt der Lämmer und der Schafe auch dadurch bewährt, daß er dem Erdkreis die Lehren der Wahrheit predigte und den Irrtum feierlich verdammte! Wir hörten schon von vielen Allokutionen, Breven, Bullen und Rundschreiben, in denen er dieses seines höchsten Lehr- und Richteramtes waltete; außer den von uns erwähnten waren noch andere apostolische Schreiben erfolgt, die zwar zunächst an Einzelne gerichtet waren und an bestimmte Vorgänge anknüpften, durch ihren Inhalt aber eine weit über die nächste Bestimmung hinaus gehende, ganz allgemeine Bedeutung in Anspruch nehmen konnten. Dahin gehört namentlich die Bulle vom 22. August 1851, durch welche zwei kirchenrechtliche Werke des Turiner Professors Nuytz verurteilt werden; ferner das Breve vom 15. Juni 1857, gerichtet gegen das Lehrsystem des deutschen Philosophen Günther; zwei weitere Breven aus den Jahren 1862 und 1863 in Betreff anderer in Deutschland aufgetauchter Lehren und Tendenzen; endlich – um von vielem Anderen zu schweigen – die Verurteilung des französischen Traditionalismus und des belgischen Ontologismus.

Die große Enzyklika „Quanta cura“

Jetzt aber faßte Pius den Entschluss, einmal mit ganz besonderem Nachdruck als Lehrer der Wahrheit und Hüter des Rechtes in dieser, allem Irrtum und Unrecht preisgegebenen Zeit aufzutreten, und so erließ er an dem denkwürdigen Tage des 8. Dezember 1864 – genau zehn Jahre nach der Dogmatisation der unbefleckten Empfängnis Mariä – das berühmteste unter allen seinen inhaltreichen Rundschreiben an die Oberhirten der Kirche. Das ist die große Enzyklika „Quanta cura“, die sogenannte Syllabus-Enzyklika. In dem Sendschreiben selbst erhebt der heilige Vater wiederholt in feierlicher Weise seine Stimme, gegen die wichtigsten aus jenen falschen Grundsätzen, gegen die er während seines Pontifikates schon so oft in Rede, Schrift und Tat hatte einschreiten müssen.

Aber gleichzeitig mit dieser Enzyklika sandte der Staatssekretär den Oberhirten einen „Syllabus“ (siehe Beitrag: Kirchenlexikon Stichwort Syllabus), d. h. ein systematisch geordnetes Verzeichnis fast aller jener Irrtümer zu, welche Pius in seinen früheren Allokutionen, Breven und Rundschreiben dem modernen Zeitgeist gegenüber mißbilligt und verurteilt hatte. Die Auslese und Zusammenstellung hatte der junge, durch Frömmigkeit, Geist und und Gelehrsamkeit in gleich hohem Grade ausgezeichnete Barnabiten-Pater Ludwig Bilio, jetzt Kardinal der heiligen Kirche, besorgt; aber sie war, wie der Staatssekretär ausdrücklich beifügte, auf den persönlichen Befehl des heiligen Vaters erfolgt. Denn es sei immerhin möglich, daß nicht alle die päpstlichen Kundgebungen zur Kenntnis sämtlicher Oberhirten gelangt seien, und der heilige Vater wünsche doch, daß ihnen dieselben stets vor Augen seien.

80 Irrtümer finden sich im Syllabus unter ebenso vielen Nummern verzeichnet. Die 18 ersten betreffen den Pantheismus, Naturalismus, Rationalismus und Indifferentismus, also den Unglauben; 20 andere richten sich gegen die Kirche und ihre Rechte; 17 weitere behaupten Falsches in Betreff der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Verhältnisses zur Kirche; 9 fernere verfehlen sich gegen das natürliche und christliche Sittengesetz; 10 folgende verstoßen gegen die Kirchenlehre über das Sakrament der Ehe; 2 irren in Betreff der weltlichen Herrschaft des Papstes; die 14 letzten betreffen den modernen Liberalismus. Außerdem wird noch an die verschiedenen Aktenstücke erinnert, in denen Pius sich gegen den Sozialismus und Kommunismus, gegen die Geheimbünde, die Bibelgesellschaften und die liberalen Kleriker-Vereine ausgesprochen hatte; doch sind hierfür die einschlägigen Stellen nicht ausgehoben.

Das war ein Sündenspiegel für die „moderne Welt“; und der wahrhaft infernale Ingrimm, womit diese Welt den päpstlichen Erlaß aufnahm, bewies zur Genüge, wie treu der Spiegel war. Pius aber stand nach dem Erscheinen dieser Enzyklika und durch dieselbe größer und hehrer da als je zuvor: niemals hatte ein so umfassendes, so entschiedenes, so tiefgreifendes und durchschlagendes „Non possumus“ gesprochen. Bis dahin hatte er sich stets nur gegen einzelne Zumutungen und Irrtümer gewendet. Jetzt nahm er die Gesamtheit derselben vor; er stellte sich Allem, was die moderne Zeit Irriges behauptet und betätigt hatte, wie ein Fels gegenüber; er bewährte sich in einer Zeit, wo Alles Kompromisse schließt und nur vom Nachgeben das Heil erhofft, als die unerschütterliche Säule und Grundveste der Wahrheit, welche dem Sturme trotzt, und in ruhiger Majestät die Wogen anprallen und wieder abprallen läßt: fest überzeugt, daß sie den Felsen nicht erschüttern werden, und felsenfest auch da auf Gott noch bauend und an Gottes Wort festhaltend, wo Alles rings umher in die brausenden wogen der Zeit versinkt.

Die Unerschrockenheit, womit der Papst – man darf wohl sagen – seiner ganzen Zeit den Fehde-Handschuh hinwarf, war um so staunenswürdiger, als kaum drei Monate zuvor zwischen dem angeblichen Beschützer und dem offenen Feinde seiner weltlichen Herrschaft jene berüchtigte Konvention vom 15. September 1864 abgeschlossen war, durch welche sich Frankreich unter Anderem verpflichtete, innerhalb zweier Jahre seine Truppen aus dem Kirchenstaat zurück zu ziehen… Aber trotz aller dieser bösen Aussichten und schlimmen Befürchtungen, oder vielmehr gerade deshalb, sprach Pius nachdrücklicher und feierlicher als jemals sein „Non possumus“, und trat den Feinden der Kirche und des Papsttums kräftiger als jemals gegenüber. Das war eine große, des Oberhauptes des Kirche würdige Tat, es war die unvergleichlichste Hoheit, Majestät und Stärke mitten in der größten äußeren Ohnmacht; es war Petrus, der Fels, welcher sich den anstürmenden Wogen unerschütterlich entgegen stemmte und auch den für die Zukunft drohenden Stürmen mit Unerschrockenheit entgegen blickte.

Aber Pius hatte den Sündenspiegel nicht bloß zur Bewährung seines Mutes aufgestellt und ihn der Welt nicht zum bloßen Anschauen vorgehalten. Er sollte zugleich ein Beichtspiegel sein und als wirksames Mittel zur Umkehr und Besserung dienen. Deshalb forderte der Oberhirt der Christenheit seine Herde in der nämlichen Enzyklika zu inständigem Gebet auf, und zur kräftigen Förderung dieser Gebete bewilligte der oberste Hüter der in der Kirche hinterlegten Gnadenschätze einen neuen Jubiläums-Ablass. –
aus: Piusbuch, Papst Pius IX. in seinem Leben und Wirken, 1873, S. 248 – S. 252

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