Die Päpste werden unabhängige Fürsten
Papst Hadrian I. und Kaiser Karl der Große
Schon am ersten Tag nach der Erhebung auf den päpstlichen Thron benahm sich Hadrian als Papst und König. Beim Hinscheiden des Papstes Stephan hatte es in Rom einige Unordnungen gegeben, weswegen mehrere Teilnehmer verbannt oder ins Gefängnis geworfen wurden. Es hatten sich nämlich zwei Parteien gebildet, die fränkische und die langobardische, die sich gegenseitig blutig bekämpften. Papst Hadrian (siehe den Beitrag: Das Pontifikat von Papst Hadrian I.) stand auf Seiten der Frankenfreunde, bemühte sich aber mit großem Erfolg, die Streitenden zu versöhnen, öffnete großmütig die Kerker und rief die Verbannten in die Heimat zurück.
Gleich am Anfang seiner Regierung kam eine Gesandtschaft des Langobarden-Königs Desiderius aus Pavia mit neuen Freundschafts-Versicherungen. Aus der Antwort des Papstes musste aber der schlaue Desiderius erkennen, daß der neue Papst sich nicht täuschen lasse. Nun versuchte er ein Bündnis gegen Karl den Großen zwischen den Langobarden und dem Papst herbei zu führen, indem der den Papst einlud, die beiden Söhne Karlmanns zu salben. Der Langobarden-König versuchte so alles, um den neuen Papst zu umgarnen und in seine Netze zu locken. Karlmann war ein unfähiger Bruder Karls des Großen. Er hinterließ eine Witwe mit zwei Kindern, die bei Desiderius Hilfe suchten. Frankreich war kein erbliches Königreich, weshalb die Großen nach Karlmanns Tode jenen Teil des Reiches, den er eben beherrschte, auf Karl den Großen übertragen hatten. So war Karl mit allem Recht König der Länder, die sein Vater Pippin besessen hatte. Es wäre nun die größte Unklugheit für den Papst gewesen, die Freundschaft des mächtigen Frankenkönigs aufzugeben und sich dafür die zweifelhafte Zuneigung des Langobarden-Fürsten einzutauschen…
Karl der Große hatte eben die Sachsen besiegt und war nun imstande, den Ereignissen in Italien wieder seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er schrieb an Desiderius, er solle ohne Zögern dem Papst alle dem heiligen Petrus gehörigen Güter zurückgeben. Der Langobarde versprach, was er nicht zu halten im Sinne hatte. Da versammelte Karl sein Heer, zog über die Alpen in Oberitalien ein und belagerte den Langobarden-König sechs Monate lang in der Stadt Pavia. Mit großem Gefolge trat dann der Frankenkönig über das schon großenteils eroberte Tuskien seine Reise nach Rom an. Es war am Karsamstag, den 2. April des Jahres 774 als sich Karl der ewigen Stadt näherte. Der Empfang, den ihm sein Freund auf dem Heiligen Stuhl bereitete, war großartig. Das römische Volk rief: „Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Vor den Toren der Stadt erwartete das Militär den römischen Schutzherrn. Sobald Karl die Kreuze und Fahnen erblickte, die ihm entgegen getragen wurden, stieg er vom Pferd und ging zu Fuß in den Vatikan. An der Stiege, die zur Peterskirche hinauf führt, blieb er stehen, küßte die erste Stufe und schritt dann bis zur Kirchentür, wo Papst Hadrian ihn empfing. Papst und König umarmten sich und gingen Hand in Hand in die Kirche zum Grabe des heiligen Petrus. Die Geschichtsschreiber bemerken ausdrücklich, daß der Papst dem Kaiser die rechte Seite einräumte, um dadurch anzuzeigen, wir hoch man in Rom einen guten Fürsten ehrt.
Noch am nämlichen Tage besuchten diese zwei größten Männer des Jahrhunderts die Laterankirche, wo Karl so lange verweilte, bis der Papst die Tauf-Feierlichkeiten vollendet hatte. Bald gewannen sich beide gegenseitig so lieb, daß sie sich ewige Freundschaft gelobten. Wie gut war es, daß die göttliche Vorsehung in Papst Hadrian einen Mann gewählt hatte, der alle glänzenden Eigenschaften besaß, um einen so großen christlichen Fürsten für seine heilige Aufgabe zu begeistern. Der König muss aus Rom die besten Eindrücke mitgenommen haben, denn er kam noch zweimal dahin, um seinen Freund zu sehen. Bei seinem ersten Besuch im Jahre 774 verweilte er die ganze Osterzeit in der ewigen Stadt und wohnte täglich mit Andacht und zur größten Freude der Römer dem Gottesdienst bei.
Nachdem Papst und König die ersten vier Tage den kirchlichen Angelegenheiten geweiht hatten, schritten sie am Mittwoch nach Ostern zur Besorgung der weltlichen Geschäfte. Karl bestätigte nicht bloß alles von seinem Vater dem Heiligen Stuhl zurück erstattete Gut, sondern vermehrte noch die Schenkung. Die Akten unterschrieb er mit eigener Hand und ließ sie gleichzeitig von allen Bischöfen, Äbten Herzögen und Grafen seiner Umgebung unterzeichnen. Nach dieser ernsten und feierlichen Handlung legte Karl der Große die Urkunde auf den Altar und dann auf das Grab des heiligen Petrus und schwur, die dem Heiligen Stuhl zurück gegebenen Länder ihm für alle Zeit zu erhalten und zu beschützen. Damit war der päpstliche Besitz begründet. Der heilige Vater ordnete für den König im römischen Gottesdienst feierliche Gebete an und bewies ihm auf diese Weise seine Gunst und Dankbarkeit.
Noch im Jahre 774 eroberte König Karl Pavia, die Hauptstadt der Langobarden, nahm den König Desiderius gefangen und machte so dem Langobarden-Reich ein Ende. Den Papst aber befreite er damit von seinem größten und gefährlichsten Gegner.
Um alle noch vorhandene Unordnung zu beseitigen und den Frieden vollständig herzustellen, kam König Karl zu Ostern des Jahres 781 zum zweiten Male nach Rom, wo er seinen Sohn Karlmann zum König der Lombardei, seinen Sohn Ludwig zum König von Aquitanien krönen ließ und dem Papst mehrere Besitzungen in Italien schenkte. Dasselbe geschah wiederum bei der dritten Romreise Karls des Großen im Jahre 787, als er den Herzog von Benevent unterwarf. So war es Papst Hadrian durch unermüdliche Tätigkeit und Wachsamkeit und mit Hilfe des Frankenkönigs gelungen, den neuen päpstlichen Besitz zu festigen. Von da an verschwindet die Herrschaft des oströmischen Kaisers über Italien auch dem Namen nach. An dessen Stelle war König Karl getreten als „König des Langobarden-Reiches und Schutzherr der Römer“…
Der Papst setzte im Jahre 780 eine eigene Kommission ein, welche die Aufgabe hatte, zu untersuchen, ob die vorhandenen Reliquien, die er an König Karl schicken wollte, echt seien. Gegen die Überschätzung der Wallfahrten eiferte besonders der gelehrte Ratgeber Karl des Großen, Alkuin, der aber auch die aus wahrer Andacht veranstalteten Wallfahrten stets als gottgefällige Werke anerkannte. Diese dienten oft als Buße für schwere Sünden und wurden zur Erbauung des Volkes gern abgehalten…
In Spanien wurde vom Papst eine Irrlehre glänzend widerlegt. Dort hatten nämlich der Erzbischof Elipandus von Toledo und Bischof Felix von Urgellis eine falsche Lehre über den Sohn Gottes verbreitet. Karl der Große versammelte die Bischöfe seines Landes im Jahre 792 zu einer Beratung, in welcher die Lehre der beiden Bischöfe als falsch erwiesen wurde; die Beschlüsse der Versammlung wurden nach Rom geschickt, dort geprüft und vom Papst bestätigt…
Papst Hadrian war ganz besonders für die Zeit Karls des Großen geschaffen; denn so innig das Verhältnis der beiden großen Männer auch sein mochte, so wußte der Papst doch dem König gegenüber alle jene Rechte zu wahren, die nur dem Kirchenoberhaupt zustehen. Wenn einige Schriftsteller erzählen, daß Hadrian dem König verschiedene geistliche Rechte eingeräumt habe, so ist das reine Erfindung eines Geschichtsschreibers späterer Zeit. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 263 – S. 268