Klärung der Frage vom Wesen der Kirche

Die Klärung der Frage vom Wesen der Kirche

Wenn die abendländische Theologie des Altertums auch Wertvolles zur Entfaltung der trinitarischen und christologischen Wahrheiten beigetragen hat, so ging ihr Hauptanliegen doch früh auf die anthropologischen Fragen, auf die Klärung des Verhältnisses des Menschen zu Gott, auf die Entwicklung der Lehren von Sünde, Gnade, Kirche und Gnadenmitteln. Der Unterschied, der sich in der alten Kirche zwischen dem Römer Tertullian (1) und dem Orientalen Origenes zeigt, und zwar bei beiden zugespitzt, zieht sich durch die gesamte Geschichte der Theologie und beruht weithin auf rassischer Veranlagung. Es ist deshalb nicht Zufall, daß die Ostkirche bei ihrer Trennung von der kirchlichen Einheit spekulative Fragen über das trinitarische Mysterium, besonders die schwierige Frage über den Ausgang des Heiligen Geistes, in den Vordergrund rückte, während der Trennung des Protestantismus von der alten Kirche die Frage „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“, also die Probleme von Sünde und Gnade, Kirche und Rechtfertigung, zugrunde lagen. (2)

Der Theologe, der im Abendland am meisten zur Entwicklung der trinitarischen und christologischen Wahrheiten beitrug, war auch derjenige, der die Fragen von Sünde und Gnade, Rechtfertigung und Kirche, am tiefsten durchforschte, Augustinus, der riesengroß empor ragte über die Zeiten, der die eine Hand über die Väter der alten Kirche hinüber nach Plato reicht und die andere Hand dem auf Aristoteles aufbauenden Thomas von Aquin entgegen streckt, die wissenschaftliche Gründlichkeit des Aristoteles mit dem Geistesflug Platos, die spekulative Kraft des Orientalen mit dem realen Blick und der Gemütstiefe des abendländischen Menschen in sich vereinend.

Im Kampf Augustins gegen die donatistische Irrlehre kam es im 4. und 5. Jahrhundert zur Klärung der Frage vom Wesen der Kirche. Schon im 3. Jahrhundert hatte der gelehrte römische Presbyter Novatian, der sich 251 aus gekränktem Ehrgeiz zum Gegenpapst hatte aufstellen lassen, im Gegensatz zur alten Kirche eine Gruppe von Anhängern geschaffen, die den vom Glauben Abgefallenen (3) und reumütig Zurückkehrenden die Sakramente, selbst die Sterbesakramente, verweigerten und sich wegen ihres ethischen Rigorismus als die Kirche der Reinen und Heiligen ausgab. Ihr sektenhafter Charakter ging so weit,, daß sie selbst die Taufe der alten Kirche als ungültig ansahen und die zu ihnen übertretenden Katholiken wiedertauften. Sie stützten sich dabei auf den falschen, spiritualistischen Sakramentsbegriff Tertullians, den sie in ihrem Sinn anwandten.

Tertullian hatte die Gnadenwirkung der Sakramente von der Gläubigkeit und Würdigkeit des Spenders abhängig gemacht. Sein Einfluss wurde in der Kirche Afrikas ein so großer, daß selbst Cyprian, der spätere Märtyrer und Heilige der Kirche, seit 249 Bischof von Karthago, unter ihn geriet und sich auf der am 1. September 256 zu Karthago abgehaltenen Synode siebenundachtzig afrikanische Bischöfe gemeinsam mit Cyprian für die irrige Lehre Tertullians aussprachen. Den widerspenstigen Novatian und seinen Anhang schloss Papst Cornelius (251 bis 253) auf dem Konzil von Rom im Jahre 251 aus der Kirchen-Gemeinschaft aus. Mit den afrikanischen Bischöfen brach Papst Stephan I. (254 bis 257) den Verkehr ab, weil sie auf ihrer irrigen Ansicht bestanden, obwohl Cyprian aus Liebe zur kirchlichen Einheit sich scharf gegen die Sekten-Bewegung des Novatian wandte und gegen ihn auf Seiten des Papstes stand. Die im Jahr 257 ausbrechende, furchtbar grausame Verfolgung des Kaisers Valerian, die achte große Christenverfolgung, der am 14. September 258 Cyprian selber zum Opfer fiel (4), und die Schrecken der am 14. Februar 303 einsetzenden Verfolgung des Diokletian, der schwersten aller Verfolgungen der alten Kirche, ließen die dogmatischen Auseinandersetzungen ruhen und die afrikanische Kirche in Frieden mit Rom verkehren.

Doch lebte die erwähnte Strömung in der Kirche Afrikas im stillen weiter und brach etliche Jahre nach Schluss der diokletianischen Verfolgung mit erneuter Heftigkeit nach außen hervor. Den äußeren Anlass gab die Wahl des Archidiakons Cäcilian zum Bischof von Karthago im Jahr 311. gegen diese Wahl sprachen sich die Bischöfe Numidiens aus, weil Cäcilian von dem Bischof Felix von Aptunga geweiht war, der in der Verfolgung des Diokletian die Heiligen Schriften auf Drohung ausgeliefert hatte. Cäcilian sei von einem Unwürdigen und deshalb – es machte sich die Irrung Tertullians und Cyprians wieder geltend – ungültig geweiht. Gegen Cävilian arbeitete vor allem die einflussreiche, frömmelnde Witwe Lucilla, die von ihm wegen ihrer überspannten Märtyrer-Schwärmerei getadelt war. Der von den Bischöfen Afrikas zur Regelung der Angelegenheit nach Karthago entsandte Bischof Donatus von Casae Nigrae setzte Cäcilian ab und ernannte den Lektor Majorinus zum Gegenbischof. Im Jahr 312 versammelten sich siebenzig numidische Bischöfe zu Karthago und bestätigten das Vorgehen des Donatus, der nach dem bald darauf erfolgten Tod des Majorinus dessen Nachfolge in Karthago übernahm.

Papst Miltiades (310 bis 314) wie Kaiser Konstantin traten auf Seite des unrechtmäßig abgesetzten Cäcilian, und die Synode von Arles (314) erklärte die von Traditoren gespendete Weihe als gültig. Aber der Fanatismus der Anhänger des Donatus, dem seit 370 Bischof Optatus von Mileve literarisch entgegen trat, zersetzte die afrikanische Kirche immer mehr. In Wiedererweckung des Novatianischen Sektentums erklärten sich die Donatisten als die Kirche der Reinen und traten damit in schärfsten Gegensatz zur Allgemeinheit der wahren Kirche.

Anmerkungen:

(1) Qu. Septimius Florentius Tertullianus war um 160 als Sohn eines im Dienst des Prokonsuls von Afrika stehenden Centurio zu Karthago geboren und seiner rassischen Veranlagung nach Römer.
(2) Daß das kirchliche Lehramt in seinen Entscheidungen über diesen vielfach durch volkhafte Veranlagung bedingten theologischen Interessen und Auseinandersetzungen stand, haben die bisherigen Ausführungen gezeigt und wird sich im Laufe der Darstellung weiter offenbaren. Deshalb kann schließlich auch nur in der Einheit des kirchlichen Lehramtes die Einheit der christlichen Konfessionen gefunden werden.
(3) In der Christenverfolgung des Decius (249 bis 251), der siebenten großen Verfolgung seitens des römischen Staates, waren manche abgefallen (Lapsi), andere hatten sich Opferscheine ausstellen (libellatici) oder in die amtlichen Verzeichnisse eintragen lassen (acta facientes), andere die heiligen Schriften auf Drohung ausgeliefert (traditores); eine weit größere Zahl war grausam gemartert, darunter in Rom Fabian, in Sizilien Agatha.
(4) Die Kirche hat ihn trotz seiner Irrung in der Frage der Wirksamkeit der Sakramente wegen seiner treu katholischen Gesinnung derart geehrt, daß sie seinen Namen sogar in den Kanon der Messe aufnahm. Der Verfolgung des Valerian fiel am 6. August 258 Papst Sixtus II. und wahrscheinlich am 10. August desselben Jahres der Diakon Laurentius zum Opfer. Die Päpste Cornelius und Lucius waren schon 253 und 254 als Märtyrer gestorben. –
aus: Konrad Algermissen, Konfessionskunde, 1939, S. 241 – S. 244

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