Das untrügliche Merkmal der wahren Lehre

Das untrügliche Merkmal der göttlichen Lehre

Kann dennoch ein Zweifel darüber stattfinden, wo die wahre Lehre Jesu Christi sei, nun so fragen wir: Welches ist das untrügliche Merkmal der göttlichen Lehre? Ohne Zweifel die Einheit und Unveränderlichkeit. Denn Jesus Christus hat nur eine einzige und immer dieselbe Lehre verkündet; er hat nicht über denselben Punkt bald ja, bald nein gesagt, sondern er war immer in voller Übereinstimmung mit sich selber. „Unsere Rede, die wir bei euch führten“, schreibt der Weltapostel Paulus (2. Kor. 1, 18 u. 19), „ist nicht bald ja, bald nein gewesen; denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, den wir euch gepredigt haben, war nicht ja und nein, sondern ja war in ihm.“ Die wahre Glaubenslehre muss daher stets eine und dieselbe, mit sich übereinstimmend und unveränderlich sein. Fragt ihr nun die protestantischen Religionsparteien nach ihrer übereinstimmenden unveränderlichen Glaubenslehre, so wissen sie euch nicht zu antworten. Ist Jesus Christus wahrer Gott? Ist er im Abendmahl mit Fleisch und Blut gegenwärtig? Ist die Taufe notwendig zur Seligkeit? Sind auch die guten Werke notwendig? Was ist von der Lehre über die Erbsünde zu halten? was von dem Erlösungswerk Jesu Christi? Von der Ewigkeit der Höllenstrafe? Über alle diese und viele andere ebenso wichtige Fragen sind nicht nur die verschiedenen Religionsparteien, sondern selbst die Prediger derselben Religionspartei uneins. Von demselben Lehrstuhl herab hört man nicht selten den einen leugnen, was der andere bejahte. Nur in einem Punkt stimmen sie alle überein, nämlich darin, daß sie nicht katholisch sind. (*)

Nicht einmal die wenigen Glaubens-Wahrheiten, welche die Stifter der unseligen Reformation bei ihrem Scheiden aus der katholischen Kirche mitgenommen haben, wußten sie unversehrt zu erhalten. Darum sagte schon früher ein berühmter Protestant: „Wenn Luther und Calvin wieder auf die Welt kämen, so würden sie nicht weniger darüber staunen, daß sie nicht mehr von der Religion derer seien, die von ihnen den Namen tragen.“ Alle Versuche, die bisher die Protestanten machten, um sich über die Glaubenslehre zu verständigen, sind gescheitert.

Das Übel liegt im Wesen ihrer Religion, in der von ihnen aufgestellten Glaubensregel, daß jeder nach eigener Prüfung glauben soll. Daher müssen sie entweder aufhören, Protestanten zu sein, oder sie müssen uneins bleiben. Deshalb waren sie auch gleich bei ihrer Trennung von der Kirche mit sich selbst und untereinander in Widerspruch. „Es liegt viel daran“, schrieb Calvin an Melanchthon, „daß die Nachwelt unsere Zwistigkeit nicht erfahre; denn es ist über alle Vorstellung lächerlich, daß wir, die wir der ganzen Welt entgegen sind, schon gleich beim Anfang der Reformation unter uns selbst uneins sind.“ Ebenso verdemütigend ist das Geständnis Melanchthons: „Die ganze Elbe kann mir nicht genug Wasser geben, um das Elend der in sich selbst uneinigen Reformation zu beweinen.“ Die Protestanten können ihre Uneinigkeit und den steten Wechsel ihrer Lehre sich selbst nicht mehr verhehlen. Müde, nach der Wahrheit zu forschen, die sie nicht finden, suchen manche ihre Beruhigung in dem Grundsatz: „Auf den Glauben kommt es nicht an, jede Religion ist gut.“ So ist die grundsätzliche Gleichgültigkeit in Glaubenssachen (der religiöse Indifferentismus) entstanden.

Wie kann aber nun eine Lehre, die stets wechselt, sich ändert und sich widerspricht, die evangelische oder die eine, unveränderliche Lehre des Gottmenschen sein? Wie können die Nichtkatholiken behaupten, die Wahrheit zu besitzen, da sie dieselbe noch immer suchen? Wie wollen sie andere den wahren Glauben lehren, da sie selbst darüber uneins sind, was man glauben soll? Also nicht bei ihnen ist der wahre, von Christus gelehrte Glaube; und dennoch nennen sie sich Reformierte, als hätten sie die Religion reformiert, d. h. verbessert!

Wie verhält sich nun aber in der katholischen Kirche? Welch ein unverkennbarer Unterschied ist zwischen ihr und den Sekten! Ist ihre Glaubenslehre nicht überall und allezeit eine und dieselbe? Oder lehrt sie etwa anders in Spanien als in Deutschland, anders in Frankreich als in Rom? Man gehe hin und forsche nach, wenn man etwa an der Einheit ihrer Lehre zweifelt. Hat sodann die katholische Kirche ihre Glaubenslehre je geändert? Wo? Wann? Durch wen? Lehrt sie heute vielleicht das Gegenteil von dem, was vor dreihundert Jahren das Konzil von Trient lehrte, oder lehrte dieses nicht ebenso wie die früheren Konzilien? Konnte man sie je eines Widerspruches überweisen? Und hat sie nicht zu allen Zeiten den Bannfluch über alle Neuerer ausgesprochen? Hat sie ihnen nicht stets zugerufen: Nein, keine Neuerung, nie, nie? So hat sie stets mit der gewissenhaftesten Treue beobachtet, was der hl. Paulus dem Bischof Timotheus, und in seiner Person der ganzen Kirche gebot: „Bewahre die (reine) Lehre, welche dir anvertraut ist, hüte dich vor unheiligen Neuerungen.“ (**) –

Diese Einheit, diese Unveränderlichkeit in der katholischen Kirche ist eine historische Tatsache, deren Gewissheit unerschütterlich ist. Ihre Gegner selbst bekräftigen dieselbe,, während sie gegen die Kirche auftreten, sie beschimpfen und verfolgen. Denn warum hassen sie eine Kirche, die nur Segnungen und Wohltaten spendet? Eben deshalb, weil sie keine Neuerungen duldet und alle Neuerer aus ihrem Schoß ausschließt. Das ist der eigentliche Grund ihres Grolles; deswegen schmähen sie die Kirche, daß sie unduldsam sei, dem freien Geist Fesseln anlege, nicht im Einklang mit der Aufklärung und den Fortschritten des Jahrhunderts stehe; sie sei veraltet, ihre Zeit sei vorüber. Es ließen sich hier die Worte Christi anwenden (Matth. 11, 16 u. 17): „Mit wem soll ich dieses Geschlecht vergleichen? Es ist den Kindern gleich, die auf dem Markt sitzen und ihren Gespielen zurufen und sagen: Wir haben euch vorgepfiffen, und ihr habt nicht getanzt.“ Die katholische Kirche hält unerschütterlich fest an der Lehre ihres göttlichen Meisters. Sie horcht nicht auf das Lied, welches die Kinder dieser Welt ihr vorsingen, huldigt nicht ihren Grundsätzen, richtet sich nicht nach ihrem Geist. Das ist diesen nicht recht, deshalb wird sie von ihnen geschmäht, aber diese Schmach ist ihr Ruhm.

Nur die Lehre der katholischen Kirche ist also immer dieselbe, immer unveränderlich geblieben, mithin ist sie allein die wahre, unverfälschte Lehre Jesu Christi. Wenn es demnach heißt, der Glaube sei notwendig zur Seligkeit, so ist dieses nur vom katholischen Glauben zu verstehen, da dieser allein der wahre, von Christus gelehrte Glaube ist.

(*) Ein eifriger Protestant, der Bischof von St. David, konnte keine bessere Definition vom Protestantismus finden, als: „Er ist Abschwörung des Papsttums.“ Bei Nicolas, Studien über das Christentum, Bd. 3, Kap. 13.

(**) Nichts ist ungereimter als die Beschuldigung, das Vatikanische Konzil habe durch seine Entscheidung inbetreff der Unfehlbarkeit des Papstes eine neue Glaubenslehre aufgestellt. Nein, das Konzil hat nichts Neues zu glauben befohlen, im Gegenteil verhütet, daß die alte, von Gott geoffenbarte, in der Schrift und Überlieferung begründete Lehre nicht durch eine vom Evangelium sowohl als von der Aussprüchen der hl. Väter und der Konzilien abweichende Irrlehre verdrängt wurde; zur Bewahrung der alten katholischen Lehre hat das Konzil das Dekret über die päpstliche Unfehlbarkeit erlassen. –
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 1; 1911, S. 76 – S. 78

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