P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
Die Folgen der Todsünde
Welches sind die Folgen der Todsünde?
1. Die Todsünde raubt uns die heiligmachende Gnade und mit ihr die Liebe und Freundschaft Gottes.
Durch die heiligmachende Gnade, die wir in der Taufe empfangen, werden wir armselige Menschenkinder mit Gott, dem Allerhöchsten, auf das innigste vereint, treten zu ihm in ein übernatürliches Verhältnis der Liebe und Freundschaft, mit dem selbst die zartesten Bande natürlicher Freundschaft nicht verglichen werden können. Solange wir im Besitz dieser Gnade sind, bleiben wir seine Freunde, die Vertrauten seines göttlichen Herzens, der Gegenstand seines besonderen Wohlwollens und seiner übergroßen Liebe. Wie ein Freund im Hause seines Freundes, so nimmt auch Gott Wohnung in unserem Herzen (Joh. 14,23), wandelt dasselbe um in einen heiligen Tempel, macht es zu seinem Lieblings-Aufenthalt, so daß er selbst beteuert: „Meine Lust ist es, bei den Menschenkindern zu sein.“ (Spr. 8,31) –
Welch noch so beredte Zunge vermöchte die Vorteile zu schildern, welche uns aus dieser geheimnisvollen Freundschaft mit Gott erwachsen? Schätze von Silber und Gold, alle Ehren und Würden dieser Erde, die Gunst und Freundschaft irdischer Fürsten, die Fülle aller Lebensfreuden ist ein bloßes Nichts im Vergleich mit dem Reichtum der Gnaden, mit der Ehre und Würde, mit der Fülle des Segens und der Süßigkeit des Trostes, die der Seele aus der Freundschaft mit Gott wie aus einer unversiegbaren Quelle zufließen. Der Freund Gottes spricht mit Zuversicht zu Gott: „Du bist mein und ich bin dein.“ „All das Deinige gehört mir, und all das Meinige gehört dir.“ So ist er reich vom Reichtum Gottes selbst, geehrt und geadelt durch die unendliche Majestät Gottes selbst, gesegnet und geschützt durch die Hand des Allerhöchsten, getröstet und beseligt durch den vertraulichen Verkehr mit Gott, dem Urquell alles Trostes und aller Seligkeit. –
Durch die Todsünde nun geht die heiligmachende Gnade und mit ihr die göttliche Freundschaft verloren. Der Sünder zerreißt mit eigener Hand die zarten, heiligen Bande, die ihn an Gott und Gott an ihn fesselten; er wendet sich von seinem allerhöchsten Gönner ab und verachtet ihn. Dieser aber verläßt in gerechtem Unwillen das treulose Herz des Sünders, entzieht ihm seine besondere Huld und Gnade, seinen außergewöhnlichen Schutz, seine überaus liebliche Tröstung und überläßt denselben der Sklaverei des Satans, die der Unglückselige der beglückenden Liebe und Freundschaft Gottes vorgezogen. Und was das heißen will, ein Sklave des Satans zu sein, mag folgendes Beispiel in etwa veranschaulichen. Der römische Kaiser Valerian, welcher Herr der halben Welt war, geriet in einem Kriege mit dem Perserkönig Sapor in dessen Gewalt. Sapor machte ihn zu seinem Sklaven. Überallhin musste nun Valerian seinem Herrn folgen und ihm die niedrigsten Dienste leisten. So oft z. B. der übermütige Perserkönig zu Pferde stieg, zwang er den ehemaligen Kaiser, sich nieder zu knien und ihm seinen Nacken als Fußschemel darzubieten. Welch eine Erniedrigung für einen Kaiser! Möchte man da ausrufen. Aber was muss man erst von dem Christen sagen, der ein Kind Gottes war und sich zum Sklaven des Satans herab gewürdigt hat?
2. Die Todsünde raubt uns auch alle Verdienste und das Anrecht auf den Himmel.
Wie die heiligmachende Gnade ein Band der innigsten Freundschaft schlingt zwischen Gott und unserer Seele, so treten wir durch sie auch in eine dauernde Lebensgemeinschaft mit dem menschgewordenen Sohn Gottes, werden lebendige Glieder seines geheimnisvollen Leibes; durch sie nehmen wir teil an den Verdiensten unseres göttlichen Hauptes und werden befähigt, auch selbst für das Himmelreich verdienstliche Werke zu verrichten. Indem nun die Todsünde uns der heiligmachenden Gnade beraubt, zerreißt sie jene segensvolle Lebens-Vereinigung mit Christus, trennt den Rebzweig vom Weinstock, und der abgeschnittene Zweig verdorrt und ist zu nichts mehr nütze als zum Verbrennen. (Joh. 15,6 u. Ezech. 15,4) Der Sünder verliert nämlich durch seine Trennung von Christus nicht nur die Fähigkeit, weitere verdienstliche Werke zu verrichten, er geht auch all jener guten Werke verlustig, die er vorher als lebendiges Glied des geheimnisvollen Leibes Christi verrichtet hat. Mag er auch noch so glänzende Tugenden geübt, noch so viele Arbeiten für Gott unternommen, noch so große Mühsale und Leiden zu dessen Ehre ausgestanden haben: vom Augenblick an, wo er eine schwere Sünde begeht, ist er jeglichen Verdienstes vor Gott beraubt. Hätte er alle seine Güter unter die Armen verteilt, die Bußwerke aller Heiligen allein verrichtet, die Leiden aller Märtyrer allein getragen, wäre er ein Apostel des Herrn gewesen, und hätte er sich den erhabensten Thron im Himmel verdient: vom Augenblick der Sünde an ist er so arm an Verdiensten wie Judas, der Verräter. Denn so spricht Gott durch den Propheten Ezechiel (18,24): „Wenn der Gerechte sich abwendet von seiner Gerechtigkeit und Böses tut… so wird all seiner Gerechtigkeit, die er geübt, nicht mehr gedacht werden.“ –
Zugleich mit seinen Verdiensten verliert der Sünder auch jegliches Anrecht auf den Himmel; denn der Himmel ist nur da für die Freunde und Kinder Gottes, durch die Todsünde aber ist der Mensch zu einem Feinde Gottes und einem Sklaven des Satans geworden. Damit hat jeder Anspruch auf den Himmel aufgehört.
3. Die Todsünde zieht uns Gottes Strafgerichte und zuletzt die ewige Verdammnis zu.
Hätte die Todsünde auch keine andere Folgen, als daß der Mensch dadurch die Liebe und Kindschaft Gottes und damit das Anrecht auf die ewigen Freuden des Himmels verliert, wahrlich, sie müsste schon allein deswegen als ein entsetzliches Unglück bezeichnet werden. Nun aber kommen zu diesem Verlust noch überaus schwere Strafen hinzu. Nicht selten treffen solche Strafen den Sünder schon während dieses Lebens, wie das bei Kain, Cham, Nabuchodonosor, Antiochus und unzähligen andern der Fall war. Das Hauptstrafgericht bricht aber erst im andern Leben über den unbußfertigen Sünder herein. Es besteht in jenen unbeschreiblichen Qualen, welche die Verdammten die ganze Ewigkeit hindurch zu erdulden haben: in jenem schrecklichen Feuer, in dem sie immer brennen und nie verbrennen; in jener finstern Trostlosigkeit und Verzweiflung, die kein noch so schwacher Schimmer irgend einer Hoffnung mildert; in jenem nagenden Wurm des bösen Gewissens, der in Ewigkeit nicht stirbt; in einem so unerträglichen Gefühl der Schmach und Schande, daß es ihnen den unwillkürlichen Ausruf erpreßt: „Ihr Berge, fallet über uns, ihr Hügel, bedecket uns!“ (Luk. 23,30); in der ebenso häßlichen als peinvollen Gesellschaft der bösen Geister, welche in ihrer Schadenfreude die Verdammten ob ihrer Qual noch verhöhnen und mit erbarmungsloser Grausamkeit deren Leiden zu vermehren suchen.
Wer all diese Folgen der Todsünde recht erwägt, der wird gewiß dem frommen Tobias beistimmen, wenn er sagt: „Alle, die Sünde und Unrecht tun, sind Feinde ihrer Seele.“ (Tob. 12,10)
Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 339-341