P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
Wann die göttlichen Tugenden erwecken
Wann sollen wir die göttlichen Tugenden erwecken?
Öfters im Leben, vorzüglich 1. in schweren Versuchungen gegen diese Tugend, 2. beim Empfang der hl. Sakramente, 3. in Lebensgefahr und auf dem Todesbett.
Die göttlichen Tugenden sind für uns nicht nur eine notwendige Bedingung, um unser ewiger Ziel zu erreichen, sondern auch ein überaus wirksames Mittel, um eine echt christliches Leben zu führen und fortzuschreiten auf der Bahn der christlichen Vollkommenheit. Der Glaube gießt himmlisches Licht aus über unsern irdischen Pilgerpfad, lüftet den Schleier des geheimnisvollen Jenseits, zeigt uns den Thron der zukünftigen Herrlichkeit und „das unvergängliches, unbefleckte, unverwelkliche Erbe, das uns im Himmel aufbewahrt ist.“ (1. Petr. 1, 4) Die Hoffnung jener ewig dauernden Glückseligkeit spornt unsern Willen an, auf der vom Glauben uns vorgezeichneten Bahn des Heiles zu wandeln. Die Liebe beflügelt unsere Schritte, hebt uns über alle Hindernisse hinweg, die sich uns entgegen stellen, und treibt uns nicht nur mächtig an, nach der Vereinigung mit Gott im Jenseits zu streben, sondern vereinigt uns schon hienieden mit ihm, dem unendlich Liebenswürdigen. Es ist demnach unerläßliche Pflicht eines jeden Christen, diese ihm bei der hl. Taufe eingegossenen Tugenden treu bis zum Lebensende zu bewahren. Ein vorzügliches Mittel hierzu ist die öftere Erweckung derselben. Deshalb gilt es heilsbeflissenen Christen als Lebensregel, jeden Morgen oder Abend die Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu erwecken. (siehe die Beiträge: Morgengebet und Abendgebet) Aber nicht bloß ratsam ist es, nein, es ist strenge Pflicht, wenn auch nicht täglich, so doch wenigstens von Zeit zu Zeit dies zu tun; denn nicht umsonst hat Gott der Herr diese kostbaren Gaben in unser Herz gelegt, er will, daß wir Gebrauch davon machen ihm zur Ehre und uns zum Heil. Die entgegen gesetzte Meinung ist von der Kirche ausdrücklich verworfen. (Prop. 1. ab Alexandro VII. damnata; prop. 17. et 55. damnat. ab Innocentio XI.)
Wie oft der Christ gehalten sei, Glauben, Hoffnung und Liebe zu erwecken, und wann diese Verpflichtung ihren Anfang nehme, läßt sich nicht genau bestimmen. Ist ein Kind zum Verständnis dessen gelangt, was ein Christ notwendig glauben, hoffen und lieben muss, um selig zu werden, so tritt für dasselbe ohne Zweifel die besagte Verbindlichkeit ein. Um jedoch der strengen Pflicht, die drei göttlichen Tugenden zu erwecken, Genüge zu leisten, reicht es im allgemeinen hin, solche religiöse Handlungen zu verrichten, welche einen Akt des Glaubens, der Hoffnung oder Liebe einschlußweise enthalten. So kann man z. B. den Glauben erwecken, indem man mit Ehrfurcht und Bedachtsamkeit das hl. Kreuzzeichen macht; die Hoffnung, indem man andächtig das Vaterunser betet. Die vollkommene Reue über unsere Sünden schließt nicht nur einen Akt der Liebe, sondern zugleich einen Akt des Glaubens und der Hoffnung in sich.
Besonders tritt die Pflichte, die göttlichen Tugenden zu erwecken, an uns heran in schweren Versuchungen gegen dieselben. Tauchen Zweifel und Einwürfe gegen die Religion in unserm Geist auf, so gibt es nichts Heilsameres als bei sich selbst zu sagen: „Mein Gott, ich glaube alles, was du geoffenbart hast, und was deine hl. Kirche zu glauben vorstellt.“ Will Kleinmut oder Verzweiflung unser Herz beschleichen, so brauchen wir nur von Herzen zu sprechen: „Auf dich, o Herr, hoffe ich, in Ewigkeit werde ich nicht zuschanden werden“, und die Gewalt der Versuchung ist gebrochen. Empört sich in Leiden und Widerwärtigkeiten unser Inneres gegen Gott, möchten wir in Murren und Klagen wider ihn ausbrechen, oder drängen sich uns sogar Gedanken der Gotteslästerung auf: das sicherste Mittel, einen solchen Aufruhr unserer bösen Natur zu dämpfen, ist ein Akt der Liebe zu Gott. Sprechen wir mit kindlicher Einfalt: „Mein Gott, ich liebe dich von ganzem Herzen und über alles, weil du unendlich gut und liebenswürdig bist“, dann wird der Sturm der Versuchung schadlos vorüber brausen. Hat man bei Versuchungen gegen die göttlichen Tugenden kein anderes Mittel zur Überwindung derselben an der Hand, so ist man streng verpflichtet, die entsprechenden Tugendakte zu erwecken.
Sehr ratsam ist es auch, beim Empfang der hl. Sakramente Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu erwecken, um so mit größerer Andacht und reicherem Nutzen diese unschätzbaren Gnadenmittel zu gebrauchen. Eine besondere Pflicht hierzu besteht jedoch nicht, außer insofern die besprochenen Akte in der notwendigen Vorbereitung zum würdigen Empfang irgend eines Sakramentes enthalten sind. So schließt z. B. die Reue, die zum würdigen Empfang des Bußsakramentes notwendig ist, Glauben und Hoffnung in sich.
Auch in drohender Lebensgefahr und auf dem Sterbebett soll man wo möglich die göttlichen Tugenden erwecken. Es ist dies schon deshalb wichtig, weil der böse Feind im letzten, entscheidenden Kampf mit Vorliebe seinen Angriff gegen die eine oder andere dieser Tugenden richtet. Dann aber ziemt es sich auch, daß der Mensch, wenn er im Begriff steht, vor Gott zu erscheinen, sich durch Erweckung der göttlichen Tugenden besonders darauf vorbereite. Sie sind es ja vor allem, die uns in das rechte Verhältnis zu Gott setzen. (1)
Man kann die göttlichen Tugenden auf folgende Weise erwecken:
„O mein Gott, ich glaube alles, was du geoffenbart hast und durch die heilige katholische Kirche zu glauben vorstellst. Ich glaube es fest und unerschütterlich, weil du die Wahrheit selber bist und weder irren noch lügen kannst. In diesem Glauben will ich leben und sterben. Vermehre, o Gott meinen Glauben!“
„O mein Gott und Herr, ich hoffe von dir die Verzeihung meiner Sünden, deine Gnade und die ewige Seligkeit. Ich hoffe dies mit aller Zuversicht, weil du, allmächtiger, barmherziger und getreuer Gott, solches um der Verdienste Christi willen versprochen hast. In dieser Hoffnung will ich leben und sterben. Stärke, o Gott, meine Hoffnung!“
„O mein Gott und Herr, ich liebe dich von ganzem Herzen und über alles. Ich liebe dich darum, weil du mein liebreichster Vater und größter Wohltäter bist; ganz besonders aber liebe ich dich, weil du in dir selbst unendlich gut und liebenswürdig bist. Um deinetwillen liebe ich meinen Nächsten, Freund und Feind. In dieser Liebe will ich leben und sterben. Entzünde, o Gott, meine Liebe!“
Ist es nun auch keineswegs, die Akte der göttlichen Tugenden nach einer bestimmten Formel zu erwecken, so scheint dies doch, zumal für weniger Unterrichtete, sehr nützlich und ratsam. Dabei soll man sich aber vor dem nur allzu häufigen Mißbrauch hüten, diese Formeln gedankenlos abzulesen oder herzusagen.
Um die oftmalige Erweckung der drei göttlichen Tugenden zu befördern, hat Papst Benedikt XIV. (Dekret vom 28. Jan. 1756) denjenigen, welche diese Akte mit Herz und Mund andächtig beten, jedesmal einen Ablass von 7 Jahren und 7 Quadragenen, und denjenigen, die es in der Todesstunde tun, einen vollkommenen Ablass verliehen wofern sie dieselben in ihrem Leben öfters gebetet haben. Laut desselben Dekretes können auch alle jene, welche die genannten Akte täglich erwecken, an einem Tage des Monats, wo sie nach würdiger Beichte und Kommunion in der Meinung des Hl. Vaters beten, einen vollkommenen Ablass gewinnen. Die Wahl der Formel ist einem jeden anheim gestellt; jedoch müssen in derselben die Beweggründe der betreffenden Tugenden ausgesprochen sein.
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Ein Hilfsbuch für die Christenlehre und katechetische Predigt, 2. Band Lehre von den Geboten, 1912, S. 376-379