Heiligenkalender
10. November
Der heilige Andreas Avellinus, Theatiner
Lancelot (Ladislaus) Avellinus, 1521 im Neapolitanischen geboren, war schon als Kind sehr fromm. Bevor er sprechen konnte, machte er sehr oft und andächtig das heilige Kreuzzeichen über Stirne und Brust, wie es ihn die fromme Mutter gelehrt hatte. Kaum fähig die heiligen Worte auszusprechen, betete er schon täglich den Rosenkranz zur Ehre Mariä, die er mit der zärtlichsten Innigkeit als seine und Beschützerin liebte.
Zum Jüngling aufgewachsen, war er fast ein Wunder der Schönheit. Seine schlanke Wohlgestalt, seine feinen Gesichtszüge voll Liebreiz, seine großen feurigen Augen, die Anmut seiner Haltung erregte die allgemeine Aufmerksamkeit. Lancelot aber verachtete alle Schmeicheleien und bändigte sein eigenes Fleisch durch strenge Zucht, eifriges Gebet und oftmaligen Empfang der heiligen Sakramente.
Nach Vollendung der gewöhnlichen Studien empfing er die niederen Weihen und entfaltete einen glühenden Eifer für die Rettung der unsterblichen Seelen, indem er sich der ohne Schule und Unterricht aufwachsenden Jugend annahm. Er sammelte früh Morgens die Kinder um sich, erklärte ihnen die Glaubens- und Sittenlehren, begleitete sie in die Kirche zur heiligen Messe und entließ dann wieder zur Arbeit. Abends setzte er den Unterricht fort und betete mit ihnen die Mutter-Gottes-Litanei. Am Sonntag hielt er ihnen eine eigene Predigt, führte sie – auf dem Wege betend und singend – in verschiedene Kirchen und beschenkte sie oft mit Medaillen, Bildern und Rosenkränzen. Herrlich blühten die guten Früchte in den Kinderherzen auf, und viele Erwachsene wurden angelockt, diesen Unterricht zu genießen. Aber der Teufel konnte dies Ausbreitung der Ehre Gottes nicht ertragen und streute durch schlechte Personen die abscheulichsten Verleumdungen wider den wohltätigen Lancelot aus.
Diese befolgte den Rat seiner teuren Mutter, setzte in Neapel das Studium des bürgerlichen und kirchlichen Rechtes fort, und erhielt den Doktorgrad und die Priesterweihe. In den unzähligen Versuchungen, durch welche man seine Keuschheit zum Fall bringen wollte, siegte er heldenmütig. Treu löste er sein Gelöbnis: alle Kräfte seines Geistes anzustrengen, alle Pflichten seines Standes pünktlich zu erfüllen, alle Beschwerden mannhaft zu ertragen, nach gründlicher Wissenschaft und Tugend zu ringen. In dieses edle Streben mischte ihm der rastlose Versucher die unlautere Begierde nach Ehre, Ansehen und Wohlstand, wozu ihm die Stelle eines Advokaten beim geistlichen Gericht der gefahrloseste Weg zu schien. Da geschah es eines Tages, daß er im Eifer der Verteidigung eines lieben Freundes eine Unwahrheit sagte. Am Abend las er, wie gewohnt, in der heiligen Schrift und kam dabei im Buch der Weisheit auf die stelle: „Ein Mund, welcher lügt, tötet die Seele.“ Diese heiligen Worte tönten wie die Posaune des Gerichtes in sein Herz hinein; angstvoll seufzte er: „Ach, ich wagte es, um einem Freund zu gefallen, Gott zu mißfallen! Dies tat ich ohne Lohn, was werde ich erst des Gewinnes wegen tun! O wie gefährlich ist die Freundschaft der Welt, wodurch man so leicht ein Feind Gottes wird!“ Bitter beweinte er seine Sünde die ganze Nacht und eilte in der Frühe zu seinem Beichtvater, um Verzeihung und die sakramentale Absolution zu empfangen. Sogleich legte er sein Amt nieder und tat strenge Buße.
Der Erzbischof von Neapel übertrug ihm die Leitung eines Frauenklosters, das in seinem verwahrlosten Zustand viele Ärgernisse gab. Lancelot ging mutig ans Werk, beseitigte die Ursachen des Verderbens, verbesserte die Hausordnung, verschönerte auf eigene Kosten die Kirche und die Feier des Gottesdienstes und betete Tag und Nacht um den Beistand und Segen Gottes. Aber bei den Verkommensten dieser Nonnen blieb sein Eifer ganz fruchtlos; sie trotzten seinen Anordnungen, verschrien ihn als einen herzlosen Tyrannen und planten seinen Tod. Und wirklich wußte eine Nonne zwei Meuchelmörder zu finden, welche dem Heiligen in der Kirche auflauerten, die Wange durchschnitten und die Nase spalteten. In seiner Not flüchtete er sich in das Haus der Theatiner, die ihn liebevollst pflegten und seine Wunden so glücklich heilten, daß kaum eine Spur davon zurückblieb.
In diesem Kloster entzückte ihn der süße Friede, die heilige Stille, der himmlische Wohlgeruch der evangelischen Tugenden so sehr, daß er – dreißig Jahre alt – demütig um Aufnahme bat. Seine Bitte wurde ihm gewährt.
Drei Jahre nach Ablegung der Ordensgelübde, wobei ihm der Name Andreas gegeben worden war, übertrug ihm der Obere schon das Amt des Novizenmeisters, in dem er eine ebenso tiefe Menschenkenntnis als erbauliche Frömmigkeit zeigte. Immer war er tätig und treu dem Grundsatz: „Drei Dinge mißfallen Gott am meisten: die Lauigkeit des Herzens, die Zerstreutheit des Geistes und die Trägheit des Körpers.“ Täglich widmete er sechs Stunden dem Gebet und der Betrachtung; im Beichtstuhl, der von den Büßenden mit besonderem Zutrauen aufgesucht wurde, arbeitete er ganze Tage am Heil der Seelen von der Frühe bis zum Abend, ohne eine speise oder Erholung zu genießen. Den Kranken und Sterbenden den Trost der heiligen Kirche zu bringen, war er stets bereit und eilte ebenso gerne zu einem Bettler, als zu vornehmen Herren. Ein bedeutender Leibschaden machte ihm das Gehen sehr schmerzhaft, aber dennoch war seinem Eifer für die Ehre Gottes und für die unsterblichen Seelen kein Weg zu weit oder zu beschwerlich.
Zu wiederholten Malen wurde er gezwungen, das Amt des Ordensobern zu verwalten, und seine weise Umsicht ward so sichtbar von Gott gesegnet, daß unter seiner Obsorge der Orden sich weithin über Italien ausbreitete und in nie gesehener Frische aufblühte; war er doch allen Mitbrüdern in jeglicher Tugend der evangelischen Vollkommenheit ein liebliches und anziehendes Vorbild.
Der hl. Karl Borromäus schätzte ihn sehr hoch, schenkte ihm in Mailand ein großes Haus zur Gründung eines Klosters und spendete demselben monatlich ein Almosen von fünfundzwanzig Dukaten. Andreas lohnte diese großmütige Freigebigkeit mit den ersprießlichsten Dienstleistungen und mit solcher Uneigennützigkeit, daß er, wenn andere Wohltäter für die augenblicklichen Bedürfnisse gesorgt hatten, dem hl. Karl das gespendete Almosen dankend zurück gab mit der schönen Erklärung: „Für jetzt habe ich das Notwendige; die Sorge für die Zukunft geht nicht mich an, sondern unsern Gott und Herrn.“
Während seiner ruhelosen Tätigkeit begnadigte ihn Gott mit fast beständigen Leiden. Unter denselben war das bitterste die heftige Versuchung zum Kleinmut; ihm däuchte, alle seine Arbeit und Mühe für andere sei umsonst, weil er, ein so großer Sünder, wenn er sich schon für andere opfern wolle, keine Erhörung erlangen könne, indem ja das Opfer selbst vor den Augen Gottes unrein und verwerflich sei. Unbeschreiblich litt seine Seele in diesen Qualen des Geistes; aber keine Klage entschlüpfte seinem Munde und diejenigen, die ihn bemitleideten, belehrte er: „Leiden haben alle Menschen; ein Unterschied besteht nur darin, ob Jemand geduldig oder ungeduldig ist, ob er als guter oder böser Schächer zur Rechten oder zur Linken mit Jesus gekreuzigt werden will.“
Gott ehrte ihn mit der Gabe, die Herzen, der Menschen zu durchschauen und Zukünftiges vorher zu sagen, was für sein Priesteramt und seinen Orden zum Segen war. Von der Arbeit erschöpft und vom Alter entkräftet sank Andreas an seinem Todestage in die Arme des Ministranten, als er die heilige Messe anfing. Dreimal wiederholte er die Worte: „Ich will hintreten zum Altare Gottes“, konnte aber nicht fortfahren. In die Zelle zurück gebracht empfing er die heiligen Sterbe-Sakramente und entschlief voll des göttlichen Friedens gegen Abend des heutigen Tages im 88. Lebensjahr. Papst Klemens XI. schrieb ihn 1712 in das Verzeichnis der Heiligen.-
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 838 – S. 839