Gewissensbisse des Verdammten

Stufen zum Himmel oder zur Hölle

Achte Predigt des heiligen Alphons Maria von Liguori

Für den dritten Sonntag nach dem Fest der heiligen drei Könige

Gewissensbisse des Verdammten in der Hölle

Die Kinder des Reiches aber werden in die äußerste Finsternis hinausgeworfen werden, da wird Heulen und Zähneknirschen sein. Matth. 8, 12.

Im heutigen Evangelium wird erzählt, dass, als Jesus in Kapharnaum angekommen war, ein Hauptmann Ihn aufsuchte, und den Herrn bat, Er wolle doch einem seiner Diener, der zu Hause an der Gicht darnieder liege, die Gesundheit wiederum erteilen.

– Ich werde kommen und ihn heilen, sprach der Herr! – Nein! antwortete der Hauptmann, ich bin nicht würdig, dass Du in mein Haus eintretest; es ist genug, dass Du ihn heilen willst, und mein Knecht wird gesund sein. Als der Heiland den Glauben dieses Mannes sah, da tröstete Er ihn, indem Er seinen Knecht also gleich wiederum gesund machte, worauf Er sich zu Seinen Jüngern wandte und sprach: Viele werden vom Aufgang und Niedergang kommen, und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tische sitzen; die Kinder des Reiches aber werden in die äußerste Finsternis hinausgeworfen werden, wo Heulen und Zähneknirschen sein wird.

Dadurch wollte der Herr uns zu erkennen geben, dass viele, die unter Ungläubigen geboren worden, mit den Heiligen zur Seligkeit gelangen, indes viele, die im Schoß der Kirche auferzogen sind, dennoch in die Hölle gestürzt werden, wo der Wurm ihres Gewissens ihnen die ganze Ewigkeit hindurch durch seine Bisse die heftigsten Tränen auspressen wird. –

Sehen wir jetzt, welche Gewissensbisse ein verdammter Christ in der Hölle zu erdulden hat:

I. Der erste Gewissensbiss entspringt daraus, dass er nur so wenig hätte tun müssen, um selig zu werden.

II. Der zweite Gewissensbiss, dass er sich um ein so Geringes in’s Verderben gestürzt hat.

III. Der dritte Gewissensbiss, das er ein so großes Gut durch eigene Schuld verloren hat.

Der erste Gewissensbiss,

daß der Verdammte nur so wenig hätte tun müssen, um selig zu werden.

1. Eines Tages erschien ein Verdammter dem heiligen Humbertus, und sagte, das seine grausamsten Henker in der Hölle zwei Gewissensbisse seien, welche ihm der Gedanke verursache, dass er so wenig hier auf Erden hätte tun müssen, um selig zu werden, und dass er sich um eines so geringen Gutes willen ins ewige Verderben gestürzt habe.

Dasselbe lehrt uns der heilige Thomas: Vor allem wird es sie schmerzen, dass sie um eines Nichts willen verdammt sind, und dass sie so leicht das ewige Leben hätten erlangen können.

Betrachten wir jetzt den ersten Gewissensbiss, der die Verdammten peinigt, nämlich wie gering und wie kurz die Lust gewesen, um derentwillen jeder Verdammte sich ins ewige Verderben gestürzt hat. Der Unglückliche wird ausrufen: Hätte ich mich dieser Lust enthalten, hätte ich diese Menschenfurcht besiegt, hätte ich diese Gelegenheit geflohen, diese böse Gesellschaft gemieden, so wäre ich jetzt nicht auf ewig verdammt. Hätte ich die Versammlungen der Bruderschaft fleißig besucht, hätte ich wöchentlich gebeichtet, hätte ich mich eifrig Gott anempfohlen, so wäre ich nicht von Neuem in die Sünde gefallen.

Ich habe mir so oft vorgenommen, es zu tun, und habe es doch nicht getan; manchmal fing ich damit an, dann habe ich es aber wiederum unterlassen, und so bin ich denn endlich verloren gegangen.

2. Die Pein, welche dieser Gewissensbiss den Verdammten bereitet, wird nur noch zunehmen, wenn er der guten Beispiele eingedenk ist, die ihm seine jungen Freunde gegeben, welche mitten in der Welt ein frommes und keusches Leben geführt haben. Ja, sein Schmerz wird noch viel mehr wachsen, wenn er all’ der Gaben eingedenk ist, die der Herr ihm hat zukommen lassen, damit er durch dieselben und durch seine Mitwirkung die ewige Seligkeit erlange, all’ der natürlichen Gaben, der Gesundheit, des Vermögens, der guten Herkunft, etc., lauter Gaben, die Gott ihm erteilt, nicht etwa damit er in irdischen Freuden dahinlebe oder seine Mitmenschen misshandle, nein, damit er sie zum Wohl seiner Seele, und zu seiner Heiligung benütze.

Ach, seine Pein wird immer noch zunehmen, wenn er hierauf so vieler Gnadengaben eingedenk ist, so vieler göttlichen Erleuchtungen, so vieler Einsprechungen, so vieler liebevoller Einladungen, und wenn er zugleich sich an die vielen Lebensjahre erinnert, die Gott ihm verliehen, damit er alles Böse wiederum gut mache. Aber ach, er wird den Engel des Herrn vernehmen, der ihm verkündigt, daß für ihn die Zeit des Heiles vorüber sei: Und der Engel, den ich stehen sah, schwur bei Dem, der da lebt in Ewigkeit: dass hinfort keine Zeit mehr sein werde. Offenb. 10, 5 u. 6.

3. Ach, welch schmerzhafte Schwerter werden all’ diese empfangenen Wohltaten für das Herz des Unglückseligen sein, nachdem er eingegangen ist in dies höllische Gefängnis, und nachdem er erkannt, daß keine Zeit mehr ist, um seinem ewigen Verderben abzuhelfen. Vor Verzweiflung weinend wird er mit seinen Unglücksgefährten ausrufen: Die Ernte ist vorüber, der Sommer ist zu Ende, und wir sind nicht erlöst. Jerem. 8, 20. Vorüber ist die Zeit, Früchte für die Ewigkeit zu sammeln; die Zeit, in der wir uns retten konnten, ist vergangen, und wir haben uns nicht gerettet. Der Winter ist da, aber ein ewiger Winter, in welchem wir unglückselig und voll Verzweiflung die ganze Ewigkeit hindurch fortleben werden, so lange Gott Gott sein wird.

4. Dann wird der Elende auch noch ausrufen: Ach, welch ein Tor bin ich doch gewesen; wenn ich für Gott jene Beschwerden erlitten, die ich erduldet, um meine Launen zu befriedigen; wenn ich die Mühseligkeiten, die ich es mich habe kosten lassen, um mich ins Verderben zu stürzen, angewandt hätte, um dadurch selig zu werden, o wie zufrieden würde ich alsdann jetzt sein, und ach, was habe ich jetzt anderes durch meine Sünden erlangt, als Qualen und Gewissensbisse, die mich die ganze Ewigkeit hindurch peinigen werden.

Ach, wird der Verdammte endlich noch ausrufen, ich konnte auf ewig glückselig sein, und jetzt muss ich die ganze Ewigkeit hindurch im Unglück dahinleben. Ach, solch ein Gedanke wird den Verdammten mehr quälen, als das furchtbare Feuer und als alle übrigen Peinen der Hölle.

Der zweite Gewissensbiss,

daß er um ein so Geringes sich ins Verderben gestürzt hat.

5. Als der König Saul im Felde stand, verbot er eines Tages, dass niemand unter Todesstrafe die geringste Speise zu sich nehme. Da geschah es, daß sein Sohn Jonathas, der noch ein Jüngling war, da ihn heftig hungerte, ein wenig Honig genoss. Als der Vater dies erfuhr, da wollte er, dass sein Befehl vollzogen und dass sein Sohn hingerichtet werde. Als nun der arme Jüngling sich zum Tode verurteilt sah, so sprach er weinend: Ich kostete ein wenig Honig, und siehe! ich soll sterben. 1. Kön. 14, 43. Da wurde alles Volk beim Anblick des Jonathas von Mitleid bewegt, verwendete sich für ihn bei dem Vater und befreite ihn vom Tode.

Aber ach, für den unglücklichen Verdammten gibt es nicht und wird es nie jemanden geben, der Mitleid mit ihm habe, und der sich bei Gott verwende, um ihn vom ewigen Tod in der Hölle zu befreien. Nein, alle werden sich vielmehr über seine gerechte Bestrafung freuen, da er nämlich um einer so kurzen Lust willen seinen Gott und den Himmel auf ewig hat verlieren wollen.

6. In der heiligen Schrift heißt es, dass, nachdem Esau das Linsengericht gegessen, für welches er seine Erstgeburt verkauft, derselbe vor Schmerz und Gewissenspein über den gemachten Verlust angefangen habe, zu heulen: Er heulte mit großem Geschrei. Gen. 27, 34. Aber ach, wie ganz anders wird der Verdammte schreien und heulen, wenn er bedenkt, wie er, um weniger vorübergehender und vergifteter Freuden willen, das Himmelreich verloren, wie er deshalb auf ewig zu einem Tode ohne Ende verurteilt ist. (Siehe auch den Beitrag: Das Verhalten der Verworfenen gegen Maria)

Der Unglückliche wird in der Hölle unausgesetzt die unselige Ursache seiner Verdammnis vor Augen haben. Uns, die wir hier auf Erden leben, erscheint unser vergangenes Leben nur wie ein Augenblick, wie ein Traum. Aber ach, wie werden dem Verdammten die fünfzig oder sechzig Jahre erscheinen, die er in der Welt verlebt hat, wenn er sich im tiefsten Abgrund der Ewigkeit befindet, und hundert und tausend Millionen Strafjahre an ihm vorübergegangen sein werden, und er erkennen wird, dass seine unglückselige Ewigkeit erst für ihn beginnt.

Aber wie, waren etwa jene fünfzig Jahre eine durchaus glückliche Zeit? Fand der Sünder, als er in der Ungnade Gottes dahinlebte, fortwährend Genuss in seinen Sünden? Wie lange währte wohl die Lust der Sünde? Ach sie währte nur einen Augenblick; und die ganze übrige Zeit, die der Sünder fern von Gott zubrachte, war eine Zeit voll Angst und Leiden; o wie kurz werden aber erst dann dem armen Verdammten jene Augenblicke der Lust vorkommen, wenn er sich in diesem feurigen Abgrund begraben erblickt ?

7. Was half uns der Stolz? was nützte uns des Reichtums Prahlerei? Alles das ging vorüber wie ein Schatten. Weish. 5, 8 u. 9. Ach ich Ärmster! wird der Verdammte ausrufen, ich folgte auf Erden meinen bösen Begierden, ich erlaubte mir alle Genüsse; aber wozu hat mir das Alles geholfen! Der Genuss hat einen Augenblick gedauert, ja schon damals habe ich ein unruhiges und bitteres Leben geführt, und ach, jetzt ist mir das schreckliche Los anheimgefallen, in diesem Feuerschlund, verlassen von allen, die ganze Ewigkeit hindurch in furchtbarer Verzweiflung zuzubringen.

Der dritte Gewissensbiss,

daß der Sünder ein so großes Gut durch seine eigene Schuld verloren hat.

8. Die unglückliche Königin Elisabeth von England, welche von Herrschsucht verblendet ward, sagte eines Tages: Gott verleihe mir noch vierzig Jahre der Herrschaft, und ich trete Ihm den Genuss des Himmels ab. Ihr Wunsch ward erfüllt, sie regierte vierzig Jahre lang; aber jetzt, nachdem sie in der anderen Welt angelangt ist, wird sie jetzt auch wohl mit ihrer Entsagung zufrieden sein? Ach, wie betrübt wird sie jetzt sein, wenn sie bedenkt, dass sie, für eine vierzigjährige Herrschaft, die sie meist unter Besorgnissen, Widerwärtigkeiten und Ängsten besessen, die ewige Herrschaft im Himmel verloren hat. –

Der Gedanke, sagt der heilige Johannes Chrysostomus, dass er freiwillig den Himmel verloren, wird dem Verdammten mehr Qual bereiten, als die Hölle selbst.

9. Der grässlichste Schmerz in der Hölle ist der Schmerz über den Verlust Gottes, jenes höchsten Gutes, welches eigentlich den Himmel ausmacht. Möchten immerhin Qualen auf Qualen gehäuft werden, sagt der heilige Bruno, wenn die Unglückseligen nur nicht ihres Gottes beraubt wären. Gern würden die Verdammten es ertragen, wenn auch tausend Höllen der Hölle hinzugefügt würden, im Falle sie nur nicht ihres Gottes beraubt wären; aber gerade das wird ihre Hölle sein, dass sie sich auf ewig, durch eigene Schuld, ihres Gottes beraubt sehen. –

Verliert jemand, sagt die heilige Theresia, aus Nachlässigkeit auch nur eine Kleinigkeit, ein Stück Geld, einen Ring von unbedeutendem Wert, so wird er ganz betrübt und unruhig, wenn er bedenkt, dass er durch seine Nachlässigkeit diesen Verlust sich zugezogen hat; aber ach, wie groß wird wohl die Pein des Verdammten sein, wenn derselbe bedenkt, dass er ein unendliches Gut, daß er seinen Gott durch eigene Schuld verloren hat.

10. Alsdann wird er einsehen, dass Gott ihn selig machen wollte, und dass Er in seine Hand die Wahl zwischen dem ewigen Leben und dem ewigen Tod gelegt hatte, wie dies der weise Mann uns lehrt, da er sagt (Eccl. 15, 18): Der Mensch hat vor sich Leben und Tod, was er will, wird ihm gegeben werden. Er wird es einsehen, dass es von ihm abhing, ewig glückselig zu werden, und dass er selbst seine Verdammnis vorgezogen hat.

Am Tage des Gerichts wird er viele seiner Gefährten hier auf Erden erblicken, die selig geworden sind, aber er, weil er mit der Sünde kein Ende machen wollte, endigt jetzt in der Hölle. Wir haben uns also geirrt, wird er zu seinen unglückseligen Genossen in der Hölle sprechen; wir haben uns also geirrt und wir haben durch eigene Schuld den Himmel und unsern Gott verloren, und ach, wir können jetzt diesem Irrtum nicht mehr abhelfen. In seinem großen Schmerz wird der Ärmste ausrufen: Kein Frieden ist in meinen Gebeinen vor dem Angesicht meiner Sünden. Ps. 49, 21.

Seine Pein wird eine innere Qual sein, die bis ins Mark der Knochen dringt, und die ihn bis in alle Ewigkeit keinen Augenblick Ruhe finden lässt, weil er immer deutlicher erkennt, dass er selbst an seinem Verderben Schuld ist. – Deshalb wird er denn auch vor nichts größeren Abscheu haben, als vor sich selbst, und er wird die Wirkung jener schrecklichen Drohung Gottes empfinden: Ich stelle dich wider dein Angesicht. Ps. 79, 20.

12. O mein Christ, wenn auch du bis jetzt so töricht gewesen, deinen Gott um einer elenden Lust willen verlieren zu wollen, so fahre doch nicht fort, in deiner Torheit zu verharren, trage Sorge, jetzt, da noch Zeit ist, das Heilsmittel dagegen anzuwenden. Zittere indes, denn wer weiß, ob Gott dich nicht noch heute verlassen werde, wenn du dich nicht ernstlich entschließest, ein anderes Leben anzufangen, worauf du für die ganze Ewigkeit verloren wärest. –

Und wenn der Teufel dich versucht , so denke an die Hölle; der Gedanke an die Hölle wird dich vor der Hölle befreien. Denke also an die Hölle, und nimm zu Jesus, nimm zu Maria deine Zuflucht um Hilfe, damit sie dich alsdann von der Sünde befreien, welche die Pforte zur Hölle öffnet. –
aus: Alphons Maria von Liguori, Predigtskizzen über die sonntäglichen Evangelien, 1842, S. 83 – S. 90

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