Gedächtnis für die armen Seelen Allerseelen

Ablassgebet für die Abgestorbenen: Das Kruzifix über den Seelen im Fegefeuer

Gedächtnis für die armen Seelen – Allerseelen

Die katholische Kirche erweist sich als die von Christus beglaubigte Lehrerin und Hüterin der göttlichen Wahrheit und Gnade auch dadurch, daß sie allein das Geheimnis besitzt, den Menschen in seinen edelsten Gefühlen zu ergreifen, zu erheben und schon hienieden mit dem Jenseits vertraut zu machen. Wie sie von jeher ihre Heiligen, ihre Tugendhelden in jährlich wiederkehrenden Festlichkeiten ehrt, so wendet sie auch von jeher ihre rührende Muttersorge den hingeschiedenen Kindern zu, über deren Urteil beim Gericht Gottes sie noch nicht gewiss ist.

Sie gedenkt ihrer in treuer Liebe nicht bloß wenige Wochen nach ihrem Hinscheiden, sondern auch am Jahrestag ihres Todes, und empfiehlt alle Abgestorbenen insgesamt in die göttlichen Erbarmungen. Sie hat deshalb das herzlichste Mitleiden, welches den hl. Odilo, Benediktiner-Abt von Cluny im Jahre 998 bewog, zu verordnen, daß in seinem Kloster und in allen von ihm abhängigen Ordenshäusern am 2. November die Gedächtnisfeier aller Abgestorbenen begangen werde, sehr gebilligt und ebenfalls den 2. November als den Allerseelentag für den ganzen katholischen Erdkreis festgesetzt.

Das war die Veranlassung zur Einführung der heutigen Gedächtnisfeier, die mit dem Glauben der Christenheit und den Gefühlen des Menschenherzens ebenso innig verbunden ist, wie mit dem gestrigen Fest aller Heiligen und mit der Jahreszeit, die so lebhaft an den Tod und das Jenseits mahnt. Wen ergreift nicht mächtig die Wahrnehmung, wie die heilige Kirche, die gestern in freudigen Lobgesängen mit ihren Seligen jubelte, heute im Trauergewand ihrer leidenden Kinder gedenkt, und in erschütternden Klagetönen ihr Mitleid bezeugt? Wer empfindet heute nicht besonders tief seine Bestimmung für ein ewiges Leben, wenn er die Gläubigen an den sterbenden Wiesen und über die abfallenden Baumblätter hinwandeln sieht und selbst mitgeht zu den Gräbern der Teuern, um dieselben mit den letzten Blumen zu bekränzen?

Während die tausendfältige Schar der Trauernden mit den rührendsten Tränen, die das ganze Jahr geweint werden, den Gottesacker benetzt: während die Kinder knien vor dem Grabstein ihres teuren Vaters, der für sie im Schweiße des Angesichtes gearbeitet und gesorgt; während die Waislein wimmern vor dem Kreuz der unvergesslichen Mutter, die sie an ihrem süßen Herzen getragen und mit ihrem Lebensblut gepflegt hat; während der Mann, stumm vor schmerz, trauert am Grabe der geliebten Gattin, die in treuer Hingebung Freud und Leid mit ihm geteilt hat; während Vater und Mutter leise Gebete seufzen vor dem Erdhügel der einzigen Tochter, die einst der Schatz ihres Trostes war und jetzt das Ziel ihrer Sehnsucht ist; während dort Groß und Klein mit nassen Augen und dankendem Herzen den Rosenstrauch umgeben, unter dem der opferwillige Seelsorger und gute Hirte ausruht: wollen wir hinab steigen in das unermeßliche Reich des Fegefeuers, welches die sinnreiche Liebe der göttlichen Erbarmung gegründet hat, um die Zahl der Geretteten zu vermehren und zu verhindern, daß ihre feige Liebe und ihre selbstsüchtige Bußscheu nicht ihr gänzliches Verderben werde.

Das Fegefeuer ist von furchtbarer Schönheit, indem seine Flammen uns beleuchten Gottes wunderbare Heiligkeit und strenge Gerechtigkeit, die bis auf den letzten Heller für verziehene Vergehen und läßliche Sünden bezahlt sein will von Seelen, die Er so innig liebt und in den Himmel aufzunehmen so sehnlich wünscht. Die Zahl seiner Bewohner ist zum Erstaunen groß, und das Übermaß ihrer Leiden vermag keine Vorstellung und kein Gedanke zu erreichen.

Alle Heiligen und Kirchenlehrer stimmen überein in der Ansicht, daß alle Schmerzen, die je in diesem Jammertal gelitten worden sind und noch werden gelitten werden, nur ein Schatten sind im Vergleich zu den Schmerzen, welche die Seelen im Fegefeuer zu erdulden, lange, sehr lange zu erdulden haben. Und doch entsetzt sich unser Gemüt, wenn wir an die Summe und Verschiedenheit der Foltern und Qualen denken, welche nur die dämonische Grausamkeit der zehn Kaiser des heidnischen Rom und ihrer Henkersknechte ausgesonnen hat, um die Christen zum Abfall von ihrem heiligen Glauben und zur Anbetung der falschen Götter zu zwingen. Man erinnere sich nur an den hl. Laurentius, an den hl. Sebastian, an die hl. Agatha und Martina…

Die heiligen Lehrer vergleichen die empfindlichen Schmerzen, welche die Seelen im Fegefeuer leiden müssen, mit der Läuterung des Goldes im Schmelztiegel. Das Gold wird um so reiner und glänzender, je mehr man es schmilzt; man schmilzt es, bis jede Unvollkommenheit an ihm vernichtet ist. Wenn das Gold zu 24 Karat gereinigt ist, dann verflüchtigt sich nichts mehr von ihm, so viel Feuer man auch noch anwenden mag, weil in Wirklichkeit nichts verzehrt wird als die Unvollkommenheit. Gerda so wirkt das göttliche Feuer auf die Seele, bis jede Unvollkommenheit verzehrt ist; dann ist sie ganz schön, Gott ist ihr Leben; sie ist keines Leidens mehr fähig, und kein Feuer kann ihr mehr irgend welchen Schmerz verursachen.

Bei Betrachtung dieses jenseitigen Feuers zur Läuterung der aus dem Leibe geschiedenen Seelen machen sentimentale Leute gerne die Einwendung: „Es ist nicht möglich, daß Gott, der die Liebe selbst und reich an Erbarmen ist, eine Seele, die mit der heiligmachenden Gnade geschmückt ist, so furchtbar peinigen könne!“ Wer je eine Stunde bei Jesus in Gethsemane in Andacht gewacht, die blutigen Schweißtropfen in seinem heiligsten Angesicht gesehen und die Größe seiner Seelenleiden beherzigt hat, der findet obige Einwendung sehr ungeziemend.

Denn wenn die Heiligkeit und Gerechtigkeit des himmlischen Vaters dem Ihm wesensgleichen, viel geliebten Sohn nach einem so vollkommenen Lebenswandel noch einen so bitteren Leidenskelch zu trinken darreicht: soll dieselbe Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes gnädig und milde behandeln den Adoptivsohn, der leichtfertig und sündhaft gelebt und in freiwilliger Sorglosigkeit die zeit der Gnade hat vorbei gehen lassen, während welcher er mit geringer Mühe durch Gebet, Fasten, Almosen und Gewinnung kirchlicher Ablässe sich von allen läßlichen Sünden und von allen zeitlichen Strafen hätte reinigen können?

Jetzt im Fegefeuer sind die nach der göttlichen Gerechtigkeit verschuldeten Seelen ganz hilflos, ganz arm. Sie haben keine Zeit mehr, sich Verdienste zu erwerben, keinen Leib mehr, um zu fasten, keine Gelegenheit mehr, um zu beichten, zu kommunizieren, heilige Messen zu hören und Ablässe zu gewinnen: und das Geld haben sie ihren Erben zurück gelassen; wovon sollten sie noch Almosen geben? Ach, sie sind arme, arme Seelen!

Aber sie wissen und auch wir wissen es, daß wir ihre Befreier sein können, daß Gott die Linderung ihrer Schmerzen, ja ihre Begnadigung in unsere Hände gelegt hat. Denn schon die zweite allgemeine Kirchenversammlung zu Lyon 1274 hat diese Glaubenslehre mit den Worten ausgesprochen: „Die heilige, römische Kirche erklärt, daß ihnen (den nicht völlig gereinigten Seelen) zur Linderung der Strafen im Reinigungsort die Fürbitten der lebenden Gläubigen nützen, namentlich die Messopfer, Gebete, Almosen und andere Werke der Frömmigkeit, welche von den Gläubigen für andere Gläubige nach dem Gebrauch der Kirche verrichtet zu werden pflegen.“ Im gleichen Sinne hat sich auch das Konzil von Florenz und das von Trient ausgesprochen.

O daß wir dieses kostbare Privilegium, den armen, hilflosen, leidenden Seelen Erlösung und Beseligung bringen zu können, recht hochschätzen und von diesem erhabenen Vorrecht einen fleißigen Gebrauch machen möchten! –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 816 – S. 818

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