Die heiligen Schutzengel Begleiter im Sterben
Von manchen Heiligen wird berichtet, daß die hl. Schutzengel ihnen im Todeskampfe sichtbar zur Seite standen, sie trösteten, gegen die verdoppelten Anfechtungen der Hölle stärkten, ihnen die Stunde der Auflösung ankündigten und die Versicherung gaben, daß sie Erben des Himmelreiches sein würden. Nicht wenige wurden von jubelnden Engeln in den Schoß Gottes, ins himmlische Paradies getragen.
Vom hl. Dominikus wird erzählt, er habe bei heran nahendem Tode seinen guten Engel gesehen, der ihm freundlich winkte und liebreich zurief: „Komm, Lieber, komm, komm zur Freude.“ – Auf ähnliche Weise wurde ein frommer Mönch, Johannes mit Namen, von seinem Schutzengel zur ewigen Seligkeit eingeladen. Als derselbe eines Tages mit seinen Ordensbrüdern und dem Abt im Klostergarten saß, trat ein Engel im schneeweißen Gewand zu ihm hin und sprach: „Wohlan, guter und getreuer Knecht, komm, geh ein in die Freude deines Herrn!“ Wenige Tage später schied der Diener Gottes voll Zuversicht und himmlischer Tröstung aus diesem Leben.
Den hl. Nikolaus von Tolentino luden die Engel vor seinem Hinscheiden sechs Monate hindurch mit nächtlichem Gesang zu den Freuden des Paradieses ein und erweckten in der Seele des Heiligen eine so große Sehnsucht nach dem Himmel, daß er unaufhörlich die Worte wiederholte: „Ich verlange aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein!“ –
Beim Tode des hl. Gerhardus, Bischofs von Toulon, begab sich folgendes. Ein Ordensmann namens Falkuin lag zu gleicher Zeit mit dem hl. Bischof am Sterben. Seine Ordensbrüder hielten ihn bereits für tot, als er auf einmal wieder Atem schöpfte und die Verwunderten folgendermaßen anredete: „Wisset, meine Brüder, mein Hintritt ist noch verschoben; allein über einen andern ist jetzt im Himmel unbeschreiblicher Jubel. Ich habe gesehen, wie frohlockende Engelscharen der von hinnen scheidenden Seele entgegen eilten und sie huldvoll tröstend vor das Angesicht des ewigen Richters brachten.“ Gleich darauf erfuhr man den zu eben dieser Zeit erfolgten Tod des hl. Bischofs und erkannte, daß es die hingeschiedene Seele desselben gewesen sei, die Falkuin in seiner Verzückung gesehen hatte. –
Einen ähnlichen Zug liefert die Lebensbeschreibung des hl. Stephan von Grammont. Nachdem dieser Heilige im Kloster von Murat verschieden war, kamen die Bewohner des Dorfes scharenweise zur Klosterpforte, um die Leiche des Verblichenen zu sehen. Als der Pförtner den Tod des Heiligen verheimlichen wollte, sagten sie zu ihm: Wir wissen wohl, daß er gestorben ist. In unserm Dorf lag nämlich ein Knabe schon drei Tage lang in Todesnöten, seit vorgestern sprachlos. Heute brach er auf einmal in die Worte aus: „Mutter, ich sehe eine glänzende Leiter, die mit dem einen Ende an den Himmel reicht, mit dem andern dort auf dem Kloster steht. Eine ganze Schar Engel steigen auf derselben herab, um die Gott wohlgefällige Seele des Abtes Stephan abzuholen. Mutter, jetzt sterb` ich auch und werde mit dem hl. Vater Stephan in den Himmel aufsteigen.“ Im selben Augenblick hauchte der Knabe die Seele aus. So offenbarte Gott durch den Mund eines Kindes, wie die Seele seines Dieners von den Engeln in die Glorie des Himmels empor getragen wurde. – Im frommen und festen Glauben, daß die hl. Engel die Seelen der im Herrn entschlafenen Christgläubigen zum Himmel geleiten, fleht die hl. Kirche in den Gebeten, welche sie für die Sterbenden verrichtet, zu wiederholten Malen um diese Gnade. Sie bittet voll mütterlicher Inbrunst. „Der hl. Erzengel Michael, der Fürst der himmlischen Heerscharen, möge die scheidende Seele aufnehmen, der strahlende Chor der Engel Gottes möge ihr entgegen eilen und sie einführen in das himmlische Jerusalem.“
Die hl. Magdalena de Pazzi sah einstens im Zustande der Entzückung, wie eine ihrer Ordensschwestern vom Schutzengel aus dem Fegefeuer in den Himmel getragen wurde. Diese und ähnliche Visionen oder Offenbarungen, die wir in der Lebensgeschichte der Heiligen lesen, bestätigen die fromme Meinung, daß die Liebe und Sorgfalt der Schutzengel für die Seelen ihrer Pflegebefohlenen sich auch auf das jenseitige Leben im Fegefeuer erstrecke. –
Besonders tröstlich ist auch das Gesicht, womit einst die hl. Franziska Romana begnadigt wurde nach dem Bericht ihres geistlichen Vaters, den sie aus Gehorsam davon in Kenntnis setzte und der es aufgezeichnet hat. Diese große Dienerin Gottes sah eines Tages, daß der hl. Schutzengel die ihm anvertraute, noch nicht völlig geläuterte Seele in das Fegefeuer führte und außerhalb desselben weilte, um die Gebete und guten Werke, welche für dieselbe von wem immer verrichtet wurden, der göttlichen Majestät darzubringen, und wenn sie in Gnaden angenommen waren, der leidenden Seele die entsprechende Linderung zu verschaffen. –
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 1, 1911, S. 639 – S. 641