Du kannst selig werden, in welchem Stand du auch bist
Gar viele meinen, um ein heiliges Leben führen und selig werden zu können, müsse man in ein Kloster gehen; denn nur dort könne man beten und fern von allen Gefahren der Welt ruhig seinen Gott und Herrn dienen; andere glauben, weil sie nicht immer beten, nicht immer in die Kirche gehen und sorgenlos ihrem Seelenheile abwarten können, würden sie die Seligkeit nicht erlangen. Diesen zeigt aber das Leben des heiligen Georg deutlich, daß ihre Meinung falsch sei. Georgius war ein Soldat und als solcher wird er wohl zum Gebet, zum Besuch der Kirche und zur Ausübung besonderer Andachten nicht viel Zeit gehabt haben; auch lebte er mitten unter Heiden, die ihm nicht das beste Beispiel gaben; und dennoch lebte er mitten in der Welt, mitten unter bösen Kameraden, mit dem rauhen Kriegshandwerk beschäftigt, fromm und gottesfürchtig, so daß ihm Jesus sogar die Märtyrerkrone verlieh. Das Gebet allein, der Besuch der Kirche, die Einsamkeit in einem Kloster und viele Andachten bewirken noch kein heiliges Leben. Es sind auch Klosterleute in der Hölle und solche, die viele Andachten gehalten haben. Die Hauptsache eines frommen gottseligen Lebens liegt in der treuen Nachfolge Jesu, im beständigen Kampf gegen die bösen Leidenschaften. In jedem Stande kannst du demütig sein, sanftmütig und friedfertig, rein und keusch, geduldig, gehorsam und barmherzig wie Jesus Christus; in jedem Stande kannst du gute Werke üben, kannst du die Gebote Gottes beobachten, kannst du Gott und den Nächsten lieben. Auch kannst du in jedem Stande die Mittel anwenden, welche uns zu einem frommen Leben verhelfen. Beten kannst du überall, und Gottes Gnade ist in jedemStande mit dem, der ihm treu dienen will. Gott hat auch nicht für gewisse Stände den Himmel erschaffen, sondern für alle Menschen ohne Ausnahme und bei ihm gilt gar kein ansehen der Person. Als den heiligen Thomas von Aquin einst seine Schwester fragte, wie sie denn in den Himmel kommen könnte, antwortete er: „Dadurch, daß du ernstlich willst.“ Also wenn du nur ernstlich willst, kannst du selig werden, mag dein Stand sein, wie er wolle. Erneuere nur alle Tage, besonders beim Morgengebet, den Vorsatz: „Ich will alle Pflichten meines Standes treu Gott zu Liebe verrichten; ich will freiwillig keine Sünde begehen; ich will meinem Jesus nachfolgen, und wenn du dann um Gnade hierzu bittest und dich noch dazu zu Maria, der mächtigen Jungfrau wendest, kannst du dich getrost der Hoffnung hingeben, heilig und und selig zu werden, wenn du anders ausharrest bis zum Ende.
Gebet.
O mein Gott, du willst, daß ich selig werde; ich darf nur auch wollen, und den Willen in das Werk zu setzen suchen, so werde ich mit deiner Gnade das Ziel erreichen. Ich lege daher mein ganzes Leben in deine Hände und bitte dich, du wollest in mir das Verlangen nach dem Himmel immer lebendig bewahren. Amen. –
aus: Georg Ott, Legende von den lieben Heiligen Gottes, Bd. 1, 1904, S. 645