Stefan Ungeschickt oder Wohin gehen wir?

Sechster Schritt – Nachtquartier

Stefan Ungeschickt oder Wohin gehen wir ?

Es hat schon Mancher in der Fremde mehr als Daheim Salz gegessen und ist doch ungesalzen wieder gekommen, wie zum Beispiel Stefan Ungeschickt. Das war ein junger Rekrut, seine Eltern sind reiche Bauernleute weit hinten im Tale gewesen, und haben ihrem Stefele ein hübsches Stück Geld in den Sack geschoben, wie er zu den Soldaten musste. Der Rekrut wird gleich einexerziert und auf vierzehn Tage zum Marschieren beordert. Des ersten Tages kommt er ungegessen und ungetrunken Nachmittags erst in den Ort, und sucht mit dem Zettel in der Hand sein Nachtquartier. Das Glück will es, daß er es bald hat. – Aber Quartier war das keines, sondern nur eine leere Stube, ohne Tür und Fenster. Das war unser Stefan Ungeschickt nicht gewohnt. Darum geht er sogleich wieder hinaus zum Trödler. Kauft sich Tisch und Schrank und Stuhl und Federbett und Vorhang am Fenster und Kerzenlicht für einige Jahre. Jetzt war es erträglich im Nachtquartier geworden. Er fühlte sich ganz heimisch und schläft süß; – aber um 4 Uhr Morgens geht die Trommel herum mit dem Marschbefehl. Wer um 5 Uhr nicht bei der Front war, ist unser Ungeschickt. Man läßt ihn rufen; aber er will sich entschuldigen, er müsse erst seine Einrichtung verkaufen. Natürlich hilft keine Ausrede; er muss stante pede fort – und die Einrichtung ist verloren. Des zweiten Marschtages Abends kommt er wieder aufs Quartier; ist nicht viel besser als das frühere. Aber Stefl hat was gelernt. Er will keine Zeit mit Einkauf und Einrichten verlieren, und darum mietet er auf einige Jahre hinein den hinteren Teil des Hauses und zahlt gleich, damit der Kontrakt fest sei. Des andern Morgens klopft ihn wieder die Trommel aus dem süßen Schlaf – er flucht schon wild – und fordert vom Hausherrn den Mietzins zurück, aber mitten im Disput kommt der Profoß und packt den Stefl und „Marsch vorwärts“ gings; und das Geld war wieder hin. – Am dritten Tage brauchte er nichts mehr zu denken; es war für Stefan Ungeschickt Quartier gemacht beim Profoß. Freilich war er alldort über Nacht krumm geschlossen; aber das Geld war wenigstens nicht weiter flöten gegangen. „Aber ein Quintel Verstand wäre ihm nützlicher gewesen“, denkt sich der Leser; und der Schreiber nickt mit Beifall und fährt fort.

Von solchen Stefan Ungeschickt wimmelt die Welt wie das faule Wasser von Insekten. Da hat Gott auch den Menschen in die Welt getan auf Nachtquartier für einige Spannen Zeit, die man in der Kalendersprache „Jahre“ nennt. Er gibt jedem den Marschzettel in den Tornister mit, das ist der Leib und seine Hinfälligkeit, und darauf steht geschrieben:

„Es ist dem Menschen bestimmt, einmal zu sterben.“

Und damit es keiner vergesse, kommandiert der General vor aller Augen tagtäglich einige Kompanien auf den Ausmarsch in die andere Welt. Von Dorf zu Dorf wandert das Totenglöcklein zum Scheidezeichen und zum „Marsch vorwärts“. Kein Jammern und Klagen hilft dagegen:

Es ist bestimmt in Gottes Rat
Daß man vom Liebsten, was man hat,
Muss scheiden;
Wiewohl doch nichts im Lauf der Weltgericht
Dem Herzen je so sauer fällt
Als Scheiden.“

Und trotzdem quartiert sich der größte Teil der Menschenleute hier ein, als hätten sie immer und ewig allda zu leben, und als gäbe es für sie kein Wander-Kommando auf den andern Tag. – Wie Stefan Ungeschickt verschwenden sie dabei das Vermögen, das ihnen Gott Vater auf die Reise mitgegeben, und schließlich wenn der Tambour Tod die Reveille schlägt, haben sie keine Zeit mehr, ihre sieben Sachen in Ordnung zu bringen, kommen zu spät, und dann zu dem gewissen Profoß in schauerliche Nacht und Kerker. – Die Toren! –
Jetzt frägt es sich um ein gewaltiges Eins: Wie ist es denn? Wenn heute Tagesbefehl ankommt des Inhaltes: Leser! Auf – du mußt fort von Haus und Hof; bist lange genug im Stadtquartier gelegen; es rücken neue Züge nach, die brauchen deinen Platz. Bist du fertig? – Ja Freund! Besinne dich ernstlich – bist du reisefertig? – –

——–

Jetzt können wir sicher zur Antwort kommen auf die Inschriftfrage: Wohin? Das ist ja beim Wanderer das allererste, daß man weiß, wohin man soll und will. Ist dir aber diese Welt nur auf eine Zeit lang zum Wohnhaus gegeben, und sollst du nicht ewig Lehrbub bleiben im Schulhaus, und nicht ohne Ende im Arbeits- und Zuchthaus stecken, und nicht für alle Zukunft im Gasthaus sitzen, sondern heißt es einmal auswandern, so ist heiliger Ernst not, daß du dich kümmerst, wohin denn die Reise eigentlich geht. – Machen wir es für jetzt kurz, weil wir darüber ohnehin noch Mehreres später zu sagen haben.

Vorläufig also und zunächst geht es mit dir aus dem Gasthaus ins Beinhaus; dort bleibt das Gepäck, dein Leib, inzwischen liegen; es ist ein klein winziger Wartesaal, eigentlich ein Bretterverschlag, drei, vier Schuh tief unter der Erde, feucht und kalt und dunkel und einsam, – das Grab. Deine Seele aber reist weiter, über Dach und Turm und Berg und Wolke hinaus, weg über alle Zeit – nach – – – ja wohin denn nur geschwind? – Nach „Ewigkeitshausen.“ „Der Mensch, sagt der Prediger, geht in das Haus der Ewigkeit und der Geist kehrt zu Gott zurück, der ihn gegeben.“ – Dort stehen dann nur mehr zwei Häuser. In dem Einen da wohnt Gott der Vater, Gott der Sohn, Gott der hl. Geist, und die ganze heilige Familie Gottes in endloser Seligkeit; es ist dort, wo der arme Lazarus im Schoß Abrahams ruht, und getröstet wird im Besitz der unermeßlich reichen Erbschaft des Himmels. – In dem Andern, da wohnt ewige Nacht, und der Wurm, der nie stirbt, und das Feuer, das nie verlöscht, und die ganze Familie des Satans; es ist dort, wo der reiche Prasser mit seinem Gelde begraben ist, und Pein des Durstes leidet, und nicht ein Tröpflein Wasser bekommt – in Ewigkeit nie! – Oben oder unten! – wirst auch du sein, o Menschenkind, und vielleicht schon bald. Jenseits des Grenz- und Grabsteines fährt man blitzschnell ans Ziel! – und einmal dort angekommen, gibt es kein „Zurück“ mehr ins Nachtquartier!

Hast du für deine Miete in der Welt statt Zins zu erlegen, nur gestohlen, statt zu beten – gelästert, statt zuarbeiten, nur auf der Bärenhaut geschlafen, und statt abzuzahlen, neue Schulden gemacht, dann geht es hinter dem Grabe stark und strack abwärts „ins Haus der Trauer“. – Hast du aber auf der Welt getan, was dir Gott aufgetragen, hast du im Schulhaus fleißig Gott erkennen, und die Sünde fürchten gelernt, hast du im Bethaus Gott gelobt und dich ehrfurchtsvoll und andächtig aufgeführt, hast du im Arbeitshaus für und in Gott gearbeitet, und hast du im Büßerhaus Zucht angenommen, dann geht’s hinter dem Grabe freudig und leicht auf und heimwärts ins Vaterhaus! Und deine Seele ist gerettet. –

Also Wandersmann! Woher kommst du? – „Von Gott!“ – Und wohin gehst du? – „Zu Gott!“
Halt da wieder eine Weile still; schöpf Atem, ich will sagen, bete ein kleines um glückliche Reise zu deinem Heiland mit diesen oder ähnlichen Worten:

„Vom Vater kommst du her, zum Vater gehst du hin,
Dein Kommen und dein Geh`n ist, – Jesus mein Gewinn.
Ein Pilgrim bin auch ich, ein Fremdling hier auf Erden.
Zum Himmel reis` ich hin, der ist mein Vaterland;
Dorther stammt meine Seel`, dorthin trägt sie ihr Stand;
Mit dir ich erbe dort, dort soll ich Bürger werden.
Laß mich bedenken dies, daß nicht verkehrter Weis
Die Erd` mir Vaterland, der Himmel Fremde heiß`“. (Dilherr.)

„Viele wandeln als Feinde des Kreuzes Christi, deren Ausgang Verderben, deren Gott der Bauch, und deren Ruhm ihre Schande ist, die das Irdische im Sinne haben. Aber unser Wandel ist nach dem Himmel.“ (Der Weltapostel, Phil. 3, 18-20)

aus: Franz Ser. Hattler SJ, Wanderbuch für die Reise in die Ewigkeit, I. Band, Erster Teil. Wo gehst du hin?, 1883, S. 39-43

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