Notwendigkeit die Sünde zu hassen

Christus hängt, halb nackt und mit einer Dornenkrone "geschmückt", mit ausgebreiteten Armen am Kreuz

Das Buch der Auserwählten

Die Notwendigkeit die Sünde zu hassen

Nebst der Reue über unsere Umtaten müssen wir den äußersten Haß und eine unversöhnliche Feindschaft wider die Sünde fassen, ganz nach dem Beispiel Gottes und seines Sohnes, unseres Heilandes, welche die Sünde über alles Maß und mit unendlichem Haß verabscheuen. Man erzählt auch von einigen Menschen, daß sie entsetzlich in ihrem Haß gewesen seien und Taten der Rache verübt haben, deren Andenken erschaudern macht. So sollen, nach dem Bericht des Athenäus, die Einwohner von Lokri, um sich an Dionys dem Jüngeren, dem Tyrannen Siziliens, wegen einer ihren Töchter angetanen Kränkung zu rächen, furchtbare Vergeltung an dessen Weib und Kindern genommen haben, da sie ihn selbst nicht in ihre Gewalt bekommen konnten…

Man sollte meinen, nicht allein die Menschen, sondern auch die Teufel könnten ihren Haß unmöglich auf eine furchtbarere Weise ausdrücken. Dennoch ist der Haß, welchen Gott wider die Sünde trägt, noch unvergleichlich größer, obwohl – was zu bemerken ist – derselbe nicht aus Wut und Leidenschaft, wie bei jenen Ungeheuern, sondern aus Gerechtigkeit hervor geht. Dieser unvergleichliche Haß zeigt sich in dem Gericht des Herrn über seinen Sohn, den er, um die Sünde zu strafen und zu vertilgen, die grausamsten Qualen und den entsetzlichsten Tod leiden ließ, obgleich er sein Eingeborner, unschuldig und Gott wie er selbst war. Was würde man wohl von einem König sagen, der, wenn für einen schuldigen Roßknecht sein Sohn, sein einziger, der Erbe seiner Krone, ein Prinz von den ausgezeichnetsten Leibes- und Geistesgaben und dazu ihm in allen Stücken gehorsam und wohlgefällig, sich darböte, diesen ergreifen und von vier Pferden in Stücke reißen ließe! Fürwahr, der König müßte einen maßlosen Zorn und Haß über die Untat des Knechtes hegen…

In diesem und mehreren solchen Beispielen zeigt sich allerdings ein übermäßiger Haß und Zorn, doch immer unendlich weit unter dem des Allerhöchsten, der an seinem göttlichen Sohne so furchtbare Rache ausgeübt hat; unendlich weit auch unter dem des Sohnes, welcher, obgleich schuldlos und über alles Gesetz erhaben, an sich selber die Strafen der Missetat vollziehen ließ.

Nach diesem Vorbild des allerstrengsten und ewigen Hasses sollen wir eine starke und unversöhnliche Feindschaft gegen die Sünde fassen. Und gleichwie der Herr sie sowohl seiner selbst- als unseretwegen hasset, – seiner selbst wegen, weil sie sein Todfeind ist, der ihn vernichten würde, falls sie so viele Macht als Bosheit hätte; unseretwegen, weil sie uns, seinen geliebten Kindern, so großen Schaden verursacht – so sollen auch wir aus beiden Beweggründen sie hassen: sie empört sich wider Gott und verunehrt ihn; sie ist uns zum Schaden und Unheil.

In der Tat, die Sünde ist das Furchtbarste, was es gibt, und verdient im höchsten Maße gehaßt und gescheut zu werden. Wäre sie verbannt aus der Welt, so würden mit ihr zugleich alle Übel verbannt sein; gleichwie ihr aller Orten alles Böse gefolgt ist. Denn die Qualen und ewigen Flammen, die in der Hölle die Gottlosen foltern, hat nur die Sünde bereitet; die Gluten des Fegefeuers sind nur, um die Fehler, womit die Freunde und Kinder Gottes noch besudelt sind, weg zu tilgen; der Limbus war und ist noch der Verbannungsort für die bloß mit der Erbsünde Behafteten; und welche Übel und Drangsale wir endlich auf Erden immer an Leib und Seele leiden, sie sind nur Wirkungen und Strafen der Sünde. Vielleicht dürfte Jemand bemerken, der Heiland und seine glorreiche Mutter seien frei von aller Sünde gewesen, er durch Natur, sie durch Gnade, und dennoch hätten sie Vieles zu leiden gehabt? Freilich, aber auch an an ihren Leiden war lediglich die Sünde Schuld, da der Heiland ja eben um unserer Missetaten willen verwundet, zerschlagen um unserer Sünden willen ward“ (Jes. 53,5); Maria aber als seine Mutter seiner Leiden teilhaftig werden musste, nebst dem daß sie, auch ein Kind Adam`s, an dem unglücklichen Los, welches über alle dessen Nachkommen durch seine Sünde gekommen, mitzutragen hatte. Der Himmel allein kennt keine Übel, weil es der einzige Ort ist, der von keiner Sünde weiß; und wäre es möglich, daß sie auch dorthin den Eingang fände, so würde er aufhören, ein Wohnplatz ungetrübter Seligkeit zu sein, wie er kein Tempel unbefleckter Heiligkeit mehr sein würde. So ist es denn allerdings wahr: ließ sich die Sünde aus der Schöpfung verbannen, es würden sofort die Flammen der Hölle und des Fegefeuers erlöschen, die Pforten des Limbus sich schließen, die Kerker und Schandpfähle auf Erden zerfallen und alle übrigen Werkzeuge göttlicher Rache zerbrochen sein. Die Sünde folglich, welche aller Orten und für alle Wesen, für Engel und Menschen, für Schuldige und Unschuldige, ja für Gott selbst die Quelle alles Übels und Leides ist, welches sie tragen, ist mit allem Recht auf das Höchste zu hassen und zu verabscheuen; denn man muss in der Tat töricht und sinnlos sein, wo man sich nicht von dem Grund und der Ursache alles Elends und des gänzlichen Verderbens abwenden will.

Zum Schluß will ich eine neue Bemerkung anführen, die geeignet ist, die beiden Gemüts-Bewegungen, wovon wir in diesem und dem vorigen Hauptstück handeln und handelten, den Haß der Sünde nämlich, um sie nicht fürder zu begehen und den Schmerz über dieselbe, wenn wir sie begangen haben, in uns zu erwecken. Und diese Bemerkung gründet auf die Wahrheit, daß unsere Sünden den Heiland von Neuem quälen und kreuzigen laut des Ausspruchs des heiligen Apostels Paulus, der in seinem Sendschreiben an die Hebräer von den Sündern sagt: Sie kreuzigen den Sohn Gottes ihrerseits wieder und haben ihn zum Gespött. (Hebr. 6,6) Sie erneuern die Unbilden und die Schmach, die dem Herrn ehedem angetan worden, schleppen ihn von Neuem durch die Straßen wie einen Übeltäter, geißeln ihn, drücken die Dornen auf sein Haupt und speien ihm ins Angesicht; alle seine Leiden wiederholen sie, soviel als sie können, indem sie, wie die heiligen Lehrer bemerken, dasjenige tun, weshalb er verspottet, gegeißelt, mit Dornen gekrönt und gekreuzigt worden; und falls sein Leiden und Tod nicht hinreichend gewesen wäre, um alle Sünden der Menschen zu tilgen, so müsste er notwendig all jene Unbilden abermals erdulden, damit er für diejenigen, welche sie begehen, Verzeihung erwirke. So machen demnach die Sünder, indem sie die Ursache des Leidens und Sterbens Jesu Christi erneuern, ihn in der Tat, was sie betrifft und so viel von ihnen abhängt, von Neuem leiden und sterben.

„Das Leiden und der Tod des Heilandes, sagt der heilige Augustin, hat sich bloß einmal ereignet; der Tod hat keine Macht mehr über ihn und blickt, von ihm überwunden, nur mit Angst zu ihm auf. Indes bringt die Kirche jährlich, ja jeden Tag jenes Schauspiel vor unsere Augen, in der Absicht, daß wir, den Herrn gleichsam ans Kreuz geheftet sehend, nicht seiner spotten wie die Juden, sondern gerührten Herzens wie wahre Gläubige an ihn glauben und ihn anbeten. Findet sich vielleicht noch Jemand – so fährt der erlauchte Kirchenvater fort – der den Herrn Jesum verspottet? Und wer sollte es sein, der sich solches erkühnt? O gäbe Gott, daß es nur Einer wäre! Gäbe Gott, daß sie sich zählen ließen, die also tun! Alle Spreu, welche sich in der Tenne der Kirche findet, spottet des Herrn; der gute Weizen dagegen seufzt, also den geliebten Heiland behandelt zu sehen.“ (In psalm. XII.) An einem andern Orte spricht er weiter über diesen Gegenstand, indem er sich eines schönen Gleichnisses bedient: „Alle diejenigen, die sich mit dem Namen eines Christen schmücken und nicht die Werke eines Christen tun, werden durch Cham, den Sohn Noe`s, vorgestellt, welcher mutwillig und boshaft seinen Vater verlachte; denn obgleich sie an das Leiden Christi, das durch jene Blöße Noe`s versinnbildet wird, zu glauben bekennen, verunehren sie dasselbe durch ihr gottloses Leben.“ (Praef. Concion. 2.) „Ein Hagel von Geißelstreichen – sagt er ferner – fällt auf Christum: sie haben, klagt er selbst, Ruten gesammelt, um mich zu schlagen, und wußten`s nicht. Damals ward er durch die Geißeln der Juden geschlagen, jetzt wird er durch die Lästerungen falscher Christen geschlagen; sie verdoppeln die Schläge auf ihren Herrn und Gott und wissen nicht, was sie tun.“ (Tractat. 10. in Joan.) – So erblickte die heilige Ludgardis eines Tages, als sie zur Kirche ging, für die Sünder zu beten, wozu eine höhereStimme sie angetrieben hatte, an der Türe daselbst den Heiland am Kreuz und ganz mit seinem Blute bedeckt; und eine innere Erleuchtung belehrte sie, die Sünder seien es, welche ihn in diesen Zustand versetzt hatten (Surius, 16. Jun.).

Auf solche Weise denn betrüben die Sünder den Herrn und Heiland, von Neuem ihn geißelnd und kreuzigend; und sie tun es, was wohl zu bemerken ist, in sich selber; von den Juden ward er auf dem Kalvarienberg gekreuzigt; im Prätorium des Pilatus ward er gegeißelt; im Hause des Hohepriesters bekam er einen Backenstreich: die Sünder aber mißhandeln ihn in sich selber, in ihren Augen mit ihren bösen Blicken, in ihrem Mund mit ihrer Unmäßigkeit und ihren schmutzigen Reden, in ihrem Herzen mit ihrer unordentlichen Liebe zu den Geschöpfen und mit mancherlei andern Sünden in ihrem Leib und ihrer Seele. Das ist aber eine neue und ganz besondere Kränkung des Herrn. Denn wie die Majestät eines Königs noch um so mehr herab gewürdigt sein würde, wenn man ihn selbst in seinem Palast, selbst zur Zeit, da er auf seinem richterlichen Throne sitzt, mit den Insignien seiner Würde geziert, schlüge und verunehrte: so ist es eine eigene Vermessenheit wider Jesum Christum, ihn in dem Leibe und der Seele zu geißeln und zu töten, welche eben sein teuerster Wohnsitz, sein kostbarstes Eigentum und Heiligtum sind; denn nicht allein hat er ein Recht darauf durch seine Menschwerdung, vermittels deren er sich der menschlichen Natur bemächtigt und über alle Glieder des Menschen-Geschlechtes eine Herrschaft gewonnen, sondern noch mehr durch sein Leiden, wo er uns nicht mit Gold und Silber, wohl aber mit seinem kostbaren Blut erkauft hat. Der Christ also, der da sündigt, kränkt und verunehrt den Heiland in seiner Wohnung, in seinem Palast und auf seinem Thron, was den Frevel noch ärger und schimpflicher macht.

Diese Wahrheit wohl erwogen, kann nicht ermangeln, einen heilsamen Eindruck auf unser Gemüt zu üben. Denn wo wir den Erlöser, den König der Glorie, vor dem alle Engel und Heiligen die Knie beugen, vor Augen hätten; wo wir dies liebliche und entzückende Angesicht, welches die Engel anbeten und in dessen Anschauung sie sich nicht ersättigen, sähen und dieses mit allen Gnaden und allen möglichen Vollkommenheiten begabte allerschönste Gut und Kleinod betrachteten: wie möchten wir es wohl über uns bringen, ihn zu beleidigen und zu schlagen? Und dennoch, was tun wir, wenn wir sündigen? Erfrechen wir uns da nicht solcher Unbilden wider seine göttliche Person? Schütten wir da nicht Schmähungen über ihn aus, versetzen wir ihm nicht Fußtritte, schlagen ihn nicht mit Fäusten ins Angesicht, werfen wir ihn nicht zu Boden, um ihm den Dolch in das Herz zustoßen? O wie ist`s möglich, solches zu glauben und dessen ungeachtet zu sündigen? –
aus: de Saint-Jure SJ, Das Buch der Auserwählten oder Jesus der Gekreuzigte, 1851, S. 125 – S. 133

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