Die Indifferenz bezüglich des Messias

Verschiedene Phasen der messianischen Frage im Schoße des jüdischen Volkes seit der Zerstörung Jerusalems

Viertes Kapitel.

Periode des Rationalismus und der Indifferenz

Die Indifferenz der Materialisten in Bezug auf den Messias

VIII.

Dies ist die am meisten verbreitete Richtung des heutigen Judentums.

Der Mythos ist, wie wir bewiesen haben, unzulässig nicht zu entschuldigen; er besitzt aber doch wenigstens eine ideale Seite; der Name des Messias und ein Rest seines Einflusses hat sich darin erhalten; mit ihm kann man noch rechten. Aber im Mittelpunkt der materialistischen Indifferenz gibt er rein nichts mehr; man kümmert sich gar nicht mehr um den Messias; er ist im vergrößerten Maßstab die Herz zerreißende Erscheinung jener Szene in der Wüste, als das Volk, nachdem es den Moses, auf den zu warten es müde geworden, vergessen hatte, sich sättigte und um das goldene Kalb herum tanzte.

Hier drängt sich eine äußerst merkwürdige und wichtige Bemerkung auf. Zu aller Zeit und von seiner Wiege an hat das jüdische Volk eine heftige Neigung zu den Gütern der Erde an den Tag gelegt. Während zwölf Jahrhunderten bekämpften und hemmten sie die Propheten, als diese aber nicht mehr erschienen, beherrschte sie alles. Sie war die Ursache, daß, als Jesus von Nazareth auftrat, Er verworfen wurde, weiL er, wider unserer Erwartung, kein großer zeitlicher Fürst war. Und als der furchtbare Sturm losbrach, der gerade unsere ganze zeitliche Macht verheerte, traten unsere Väter den Weg der Verbannung an, aber mit der immer fester gehaltenen Überzeugung, daß der Messias, der ihnen kommen würde, ihnen in ihrem großen Elend Hilfe bringen, und sie für ihre Entbehrungen durch einen Reichtum entschädigen würde, über den sie selbst staunen müssten. (1)

Ihre Geldgier erhielt von da an eine Art religiöser Weihe; jeder Einzelne redete sich ein, indem er Reichtümer anhäufe, bereute er das Reich jenes Gesalbten des Herrn, welchen Herrlichkeit und Überfluss begleiten solle; der Gedanke an den Messias und das Streben nach Reichtum verwebten sich ineinander und Jahrhunderte lang war der Messias bis zu einem gewissen Punkt nicht allein die Entschuldigung für den Reichtum, sondern Er war auch dessen Seele, sein Aroma, seine Triebfeder.

Aber gegenwärtig ist der Reichtum im Schoß unserer Nation etwas Egoistisches und Vereinzeltes geworden; er knüpft sich nicht mehr a den Messias; er steht für sich. Als Werkzeug des Skeptizismus und des Materialismus, wie wir bereits gesagt haben, hat das 18. Jahrhundert, das alle Religionen untergraben hat, uns wie die Übrigen verdorben; und andererseits haben wir uns, nachdem die Emanzipation alle unsere Fesseln zerbrochen und alle unsere Neigungen freigegeben hat, auf die Festigkeit der Erde geworfen. Das, was so lange Zeit die Seele und gleichsam die Würze des Reichtums gewesen: die messianische Idee ist verschwunden; so daß sich uns neben dem Mythos nur noch das traurige Schauspiel bietet, von dem wir soeben sprachen: die Befriedigung beim goldenen Kalb. Wir wollen nur ein Beispiel zitieren.

Kürzlich frugen wir den Vorstand einer israelitischen Gemeinde im Elsass: ob er noch immer an die Ankunft des Messias glaube? Er antwortete: „Ich glaube nur, was ich mit Händen greifen kann, an meine Wiesen und an mein Geld.“ Wer dürfte versichern, daß in Frankreich, in Österreich, in Preußen und anderwärts nicht eine große Anzahl Israeliten, wenn man sie über den Messias befrüge, dasselbe antworten würde? Dieser Zustand materialistischer Gleichgültigkeit muss weit um sich gegriffen haben, da einer der genauesten und ernstesten Historiker unserer Zeit und zwar gewiss erst nach sicheren Forschungen unter den Israeliten schreiben konnte: „Dieser Teil des Judentums bildet sich ein, Israel sei nun befreit, es habe seinen Messias. Das neue Jerusalem wäre das Jerusalem von Geld mit einem Banquier als Messias, die Geldkiste der öffentlichen Fonds sei ihre Sepherthora, die Börse ihr Tempel und der Bienenschwarm der Wechselagenten stelle den Heiligen der Heiligen vor.“

Und der Geschichtsschreiber fügt ernst folgenden Schluss hinzu, den wir zu dem unsrigen machen: „Wären Akiba, Moses Maimonides und die alten Rabbis des Mittelalters Zeugen einer solchen Erlösung, so würden sie über diese angebliche Befreiung bittere Tränen weinen, als jene waren, welche sie bei der Zerstörung Jerusalems vergossen.“ (Champagny, Rome et la Judée. t. II. p. 214.)

Und siehe: von Verfall zu Verfall, von der Erwartung zur Unruhe, von der Unruhe zur Verzweiflung, von der Verzweiflung zum Mythos, vom Mythos zur Gleichgültigkeit – so ist man endlich beim Stau des Skeptizismus und des Materialismus angelangt. An dieser äußersten Grenze müssten wir sagen, alles sei zu Ende, wenn wir nicht wüssten, daß aus dem Staub die Auferstehung hervorgeht! …

(1) „Wenn der Messias erscheinen wird, wird es Freuden regnen“, sagt ein Rabbiner. (Gregoire, Essai sur la régénération des Juifs. 207) Über die zeitlichen Hoffnungen, welche die alten Juden auf die Ankunft des Messias gründeten s. Buxtorf, Synag. Judaica, ch. XXXVI. Hoornbeck, De convertendis Judeis. p. 248-250. –
aus: Gebr. Lémann, Die Messiasfrage und das vatikanische Konzil, 1870, S. 60 – S. 62

Fortsetzung Kapitel 5 Teil 1: Das Geheimnis der Bosheit

Tags: Judentum

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