Die Französische Revolution und ihre Folgen

Das öffentliche Leben unter dem Einfluss der modernen Ideen

Von der Französischen Revolution zum modernen Staatsabsolutismus

6. Die französische Revolution hat diesem Geist des alten Despotismus abermals kräftigen Vorschub geleistet, denn sie schmetterte zwei Haupthindernisse zu Boden, die seiner höchsten Entwicklung immer noch im Wege standen: die letzten Erinnerungen an die Macht der Kirche und an die ständische Ordnung der Gesellschaft. Mit der Säkularisation und mit der Auflösung des deutschen Reiches war der Boden eingeebnet, um den Neubau aufzuführen, und nun konnte man allenthalben daran gehen, diesen Staatsgedanken praktisch von Grund auf zu verwirklichen.

Napoleon I. gab mit seinem gewaltigen Geist auch nach dieser Seite hin den Anstoß, man möchte beinahe sagen, den entscheidenden Fußtritt. Schon im 18. Jahrhundert hatte Friedrich Karl von Moser in seiner Schrift „Herr und Diener“ gesagt, die Fürsten lebten unter dem Einfluss von zwei Mächten, durch die sie naturnotwendig zum Absolutismus getrieben würden, dem Einfluss des Hofschranzentums und dem des Militärwesens. Diese beiden Mächte wurden durch Napoleon zu den eigentlichen Hebeln der Regierung ausgebildet. Sie drückten denn auch dem 19. Jahrhundert das Gepräge auf, das Schranzentum seiner ersten, der Militarismus seiner zweiten Hälfte.

Geld, Soldaten, Beamte, Verordnungen und allgemeine Gleichmacherei hieß jetzt die Losung. Alles, was diesen fünf großen Zwecken entgegen stand, wurde angefeindet, verdächtigt und mit unermüdlicher Hartnäckigkeit verfolgt. Die meisten, trotz vieler Auswüchse immer noch lebenskräftigen und wohltätigen Ordnungen in der ständischen und der bäuerlichen Verfassung wurden, statt daß man sie erneuerte, von Grund aus zerstört. Die Korporationen, die unentbehrlichen Grundlagen jedes gesunden gesellschaftlichen und somit auch jedes wahren politischen Lebens, erlagen der Auflösung. Die willkürlichsten Eingriffe in das Gebiet des Glaubens und in die Verfassung der Kirche erhielten den Namen Kronrechte. Wer sich auf sein Gewissen berief, wer sich weigerte, seine Knie vor dem Landesgott zu beugen, lief Gefahr, als Vaterlandsfeind geächtet, als Verbrecher gegen die Majestätsrechte belangt zu werden. Die Schule wurde zum Anfangs-Versuchsfeld, die Kirche zur Arena, wo jeder, der in der Bureaukratie eine hervorragende Stelle erwerben wollte, seine Tüchtigkeit erproben musste. Ein Heer von Beamten, die um so willfähriger sein müssen, je mehr sie abhängig gehalten werden, eine Flut von Gesetzen, die sich jährlich erneuern, eine Polizeiaufsicht, der selbst die heiligsten Geheimnisse unterstehen, das alles, geschützt durch einen Wald von Bajonetten, schien die ausreichende Bürgschaft für den Bestand von Einrichtungen zu geben, von denen man sonst glaubte, daß nur Religion und eine auf Religiosität gegründete Sittlichkeit, daß nur Gefühl für Recht, Pflicht und Freiheit, daß nur Selbständigkeit des Charakters, Ehrfurcht und Treue ihnen Dauer verleihen könne.

7. Daß solche Zustände auf die Dauer nicht haltbar sein können, mussten die absoluten Herrscher und ihre Ratgeber einsehen. Allein sie haben das traurige Vorrecht, nicht studieren und nicht denken zu müssen, und so kommen sie leicht dahin, zu meinen, die Logik und das Studium der Geschichte seien nur für solche, welche genötigt wären, damit ihr Brot zu verdienen. Sie haben es teuer bezahlt, daß sie so gar nichts aus der furchtbaren Revolution gelernt haben, einer Lektion, die doch ausdrücklich für sie gegeben war.

Jedoch die Menschen haben sich alle nichts vorzuwerfen. Auch die übrige Menschheit hat aus der Revolution nichts gelernt. Die Zeit hat sich mehr und mehr der Fürsten entledigt, das aber, wodurch diese ihren Sturz herbei geführt haben, beibehalten, ja verschärft. An die stelle des persönlichen Fürsten ist der unbestimmte Begriff Staat getreten, wie den persönlichen Gott im Denken unseres Geschlechtes der unpersönliche Allgott ersetzt hat. Wie jedoch dieser dem Menschen weit größere Lasten auferlegt und weit mehr Rechte für sich in Anspruch nimmt als der alte, gute Gott, so weiß auch der moderne abstrakte, pantheistische Staat seinen Forderungen kein Maß zu setzen. Nunmehr sind wir wieder ganz und gar dahin zurück gesunken, wo die Griechen und die Römer standen.

Unsere Zeit kennt wie das Altertum nichts Höheres als den Staat, wenn sie überhaupt etwas anderes kennt. Ein Mann wie Welcker verirrt sich bis zu dem Satz, der Staat sei die herrlichste Schöpfung, an der Gott, die Natur und der Mensch zugleich gearbeitet hätten, er sei das bewunderungswürdigste Kunstwerk, die größte sittliche Tat, welche die Sonne bescheine. Selbst Bluntschli muss gestehen, solche Worte enthielten eine Übertreibung, die an den antiken heidnischen Staatsgedanken erinnere. Aber wäre das nur das das Ärgste! Nicht selten jedoch gehen die modernen Anschauungen fast noch über die heidnischen hinaus. Die römischen Rechtslehrer stellten zwar auch das Staatswohl als das höchste aller Gesetze und den Willen der obersten Gewalt als den letzten tatsächlichen Grund eines rechtskräftigen Gesetzes hin, aber das wenigstens fiel ihnen nicht ein, das Gesetz und die zufällige Ordnung des Staates mit der ewigen Gottheit selber zu vermengen. Bei uns aber findet sogar ein Rechtslehrer wie Zöpfl, der doch sonst ein so klares Verständnis für die besseren Ansichten des Mittelalters hat, nichts Auffälliges in der ungeheuerlichen Behauptung, der Staat sei absolute Unabhängigkeit, absolute Autonomie, seiner Idee nach universell und ewig. Ist er das, dann ist es aber ohne Zweifel besser und verständlicher ausgedrückt, wenn man gleich sagt, er sei Gott selber.

Das sagt denn auch Hegel, der diese ganze Lehre in ein geschlossenes System gebracht hat, rundweg mit den Worten: Der Staat ist die zur Wirklichkeit gebrachte sittliche Idee, das zum Selbstbewusstsein gekommene Wesen der Sittlichkeit, das sittliche Ganze, der gegenwärtige, verkörperte, allgemeine göttliche Wille, das Unendliche und absolut Vernünftige, der wirklich, lebendig, tätig gewordene und sich entfaltende Geist, natürlich der Allgeist, mit andern Worten, die absolute Macht auf Erden, ein irdische Göttliches, der wirkliche Gott. (Hegel, Phil. des Rechtes § 257, 258, 270, 331; §331; § 272, Zusatz (VIII 354); § 258, Zusatz (VIII 320)) Hier vertritt der Staat nicht mehr bloß die Stelle Gottes, nein, er ist Gott selbst, er ersetzt Gott, er verdrängt Gott, nämlich den angreifbaren, pantheistischen Allgeist, als der einzig faßliche und lebendige Gott. Hier wird der Staat wirklich absolute Autonomie, Zweck in sich selbst, ja der einzige höchste Zweck, dem sich alles fügen muss, Äußeres und Inneres, Tat und Gewissen, Freiheit und Sittlichkeit.

Kein Wunder darum, daß man uns jetzt den Staat als die alleinige Quelle, als die unumschränkte Norm alles Rechtes, als Ursprung, ja als einzigen Eigentümer alles Besitzes darstellt. Nach christlichen und deutschen Begriffen hieß es ehemals in Zeiten freien Geistes: Recht ist gesetzt, damit es kein Machtwort breche. Und sogar der obersten Macht rief man zu: Obrigkeit, bedenk dich recht: Gott ist dein Herr und du sein Knecht. Nach den modernen Ideen ist der Staat absolut. Er ist sein eigener Zweck. Er steht unter keiner höheren Macht und Verantwortung. Er gibt Gesetze, steht aber weder unter dem Gesetz der Moral noch unter dem der Religion. Er ist seinem Wesen nach religionslos, konfessionslos, oberster, einziger Herr alles rechtes. Er hat das höchste Recht auf alles und die größte Macht. Vor dem Willen des Staates, der eigenmächtig sein Interesse wahrt, kann kein Recht, kein Interesse eines einzelnen oder einer Vielheit bestehen.

Während nach früheren Anschauungen jeder Mensch König und Kaiser war in seinem Haus und die Leute in ihren Häusern Frieden hatten so gut wie der Kaiser, erklärt jetzt ein Philosoph, der doch als freisinnig gilt, daß der Staat zu jeder Stunde von jedem Bürger wissen müsse, wo er sei und was er treibe (Fichte, Grundl. d. Natur, 2. Tl, 3. Abschn.), und daß eigentlich jeder Paß und Porträt mit sich tragen sollte wie ein Fremder oder ein gefährlicher Verbrecher (ebd. III 295ff). In der Schrift steht: Die Erde ist des Herrn. Dafür heißt es in den neueren Konstitutionen: Die Erde ist des Staates. Früher glaubte man, der Staat sei um der Menschen willen da. Jetzt lehrt man uns, der Glaube, daß der Staat den Zweck habe, Menschen glücklich zu machen, sei ein grober Eudämonismus…

8. Damit ist, so scheint uns, der Staatsabsolutismus an der äußersten Grenze des Möglichen angelangt.

Gerade mit dieser Übertreibung der Idee vom Staat hat aber der absolute, oder wie man, freilich sehr unrichtig, zu sagen pflegt, der moderne Staat zwei Zwecke erfüllt, die ihm allerdings nicht Gott, die nur er sich selber gestellt hat, Zwecke, die er indes nun unter Leitung des Ewigen zur Verwirklichung des göttlichen Weltplanes durchführen muss.

Er wollte einziger, höchster, unabhängiger Gesetzgeber und Machthaber, er wollte sein eigener Herr, er wollte, wie man sich ausdrücken pflegt, Selbstzweck, er wollte die sichtbare Gottheit auf Erden werden. Eben dadurch hat er sich aber fürs erste aufs tiefste erniedrigt und entwertet, denn auf diese Weise hat er sich zum Werkzeug für Zwecke herab gewürdigt, die ganz und gar wider seine Natur sind und tief unter seiner Würde stehen. Indem er sich an die Spitze der sog. modernen Ideen stellte, glaubte er sich zum Herrn der Zeitereignisse aufzuwerfen, machte sich aber nur zum Sturmbock, womit deren wahre Leiter Bresche in die bestehende Gesellschafts-Ordnung brachen.

Ohne Hilfe des Staates wäre es erstens nicht möglich gewesen, die Festungsmauern des so künstlich gefügten mittelalterlichen Gesellschaftsbaues nieder zu werfen und dem immer noch kräftigen Organismus der historischen Gesellschaft die Knochen zu zerbrechen. Seiner Kraft bedurfte man zweitens und vor allem, um die gefährlichste Gegnerin der modernen Ideen, die Kirche, zu fesseln und zu lähmen. Diesem Zweck hat er sich auch mit höchster Anstrengung und mit leider zu großem Erfolg gewidmet. Mit nicht geringerem Eifer gab er sich an den dritten Teil seiner vermeintlichen Aufgabe, an die Zentralisation aller Kräfte, die in der Gesellschaft vorhanden sind.

Er glaubte abermals seine Zwecke zu fördern, wenn er alles, was die Menschheit bewegt, auch was ihm durchaus ferne steht, in den Kreis seiner Tätigkeit zog, Marktpolizei und Versorgung der darbenden Menschheit mit Arbeit und und Almosen, Schule, Erziehung, Familie, Ehe, Gottesdienst und kirchliches Regiment, und er hat abermals nur fremden Plänen gedient. Was Caligula vergeblich wünschte, das ganze Reich derart unter einen Hut zu bringen, daß man ihm mit einem Hieb das Haupt abschlagen könnte, das ist nunmehr gelungen. Ohne diese Vorarbeit Ludwigs XIV. wäre es der französischen Revolution nie gelungen, mit einem Schlag die ganze alte Gesellschaft zu vernichten. Wir fürchten sehr, daß der moderne Staat für die ganze bestehende Weltordnung die gleiche Vorbereitung vollbracht hat, und daß es nun dem Radikalismus, dem Sozialismus und dem Anarchismus ebenso leicht sein wird, ihre allumfassenden Absichten durchzuführen, als es der großen Revolution im engeren Kreis war. Dies ist das erste Verhängnis, das der Absolutismus über sich herauf beschwor. Er wollte der sichtbare Gott auf Erden sein und wurde der Sklave fremder Mächte; er glaubte, selber alles sein zu können, und artete zum Handlanger für Schergendienste aus.

Das verhängnisvollste aber – und das ist seine zweite Strafe – ist dies, daß er damit die Vorbereitungen zu seiner eigenen Hinrichtung getroffen hat. Wenn man die Geschichte der französischen Revolution betrachtet, erscheint einem der Absolutismus wie ein zum Tode verurteilter Verbrecher, der, an Händen und Füßen gefesselt, zitternd, wehr- und willenlos auf seinem Lager liegt, bereit, sich zum Schafott schleppten zu lassen, sobald der Kerkermeister mit den Schlüsseln an der Türe rasselt. Werfe niemand deshalb einen Stein auf den armen Schattenkönig, der das Opfer dieses Verhängnisses wurde; er persönlich zitterte nicht vor dem Tod und hatte auch keinen Grund dazu, aber er trug das Erbe des Absolutismus, und unter dieser Last erlag er oder vielmehr seine Würde. Die größte irdische Macht, die sich gegen Gottes Ordnung erhebt, bricht in sich zusammen und beweist, daß auch im öffentlichen Leben die Worte gelten: Bietet all eure eigene Kraft auf, ihr werdet doch unterliegen! (Is. 8, 9) Es gibt keine Weisheit, es gibt keine Klugheit, es gibt keinen Rat wider den Herrn. (Spr. 21, 30)

Die Staaten und die Machthaber berufen sich in einer seltsamen Verwirrung der Begriffe noch immer auf ihr göttliches Recht. Aber vergebens erwarten sie, daß ihnen der Titel „Von Gottes Gnaden“ ein schützender Schild sei, seitdem sie die staatliche Gewalt als das eigentlich Göttliche erklärt haben. Die Völker wissen dies nur zu gut und lassen die Berufung nicht mehr gelten. Die Revolution zwang Ludwig XVI., den Titel abzulegen, den Ludwig XIV. durch seine Selbstvergöttlichung verhaßt und verächtlich gemacht hatte, den Titel König von Gottes Gnaden. Er musste sich König der Franzosen nennen. Das entsprach auch nach allem, was seine Vorgänger getan hatten, einzig dem Recht und der Wahrheit. Damit hat er sich aber den Menschen ausgeliefert: wir wissen, was sie mit ihm taten.

Das ist das Schicksal jeder Macht, die statt Gottes Stellvertreterin selber Gott durch Menschenwillkür und Menschenmacht sein will.

Es gibt auch für den Staat und für den Träger der Staatsgewalt nur die eine Wahl: entweder von der Gnade Gottes abhängen, aber im Ernst und ganz, oder sich der Welt Gnade und Ungnade verschreiben. Einer der größten Fürsten hat, als ihm dies nach großen Verirrungen und argen Überhebungen klar wurde, die aus schmerzlicher Erfahrung geschöpften Worte gesprochen: Nein, es ist doch besser, in die Hände des Herrn zu fallen als in die Hände der Menschen. (2. Kg. 24, 14) –
aus: Albert Maria Weiß, Apologetik, Bd. IV. 1., Soziale Frage und Soziale Ordnung oder Handbuch der Gesellschaftslehre, Erster Teil, 1904, S. 42 – S. 50

Tags: Apologie

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