Gnadenorte unserer himmlischen Himmelskönigin
Unsere Liebe Frau in Kirchwald bei Nußdorf in Oberbayern
Das marianische Waldkirchlein Kirchwald steht auf einem Vorsprung des 4272 Fuß hohen Heuberges, an dessen Fuß sich das Pfarrdorf Nußdorf ausbreitet. Dieses Kirchwald-Kichlein ist seiner freundlichen stillen Lage und der Gnaden wegen, die da viele Hilfsbedürftige für Leib und Seele gefunden, wie die vielen Danksagungs-Tafeln bezeugen, nicht bloß den Bewohnern der Pfarrei Nußdorf an das Herz gewachsen, sondern es kommen von nah und fern das ganze Jahr hindurch andächtige Besucher derselben. Ganz besonders ist dieses der Fall an den drei Samstagen nach Michaelis, welche die „goldenen Samstage“ genannt werden, weil sie von den Päpsten unter der Bedingung würdiger Beichte und Kommunion mit dem Gnadenschatz eines vollkommenen Ablasses bereichert sind. Sie wurden auf dem Kirchwald i. J. 1744 zum ersten Mal und seitdem mit Ausnahme einiger Jahre bedrängter Zeiten alljährlich unter großem Zudrang des Volkes herkömmlich auf festliche Weise gefeiert.
Es ist rührend, die Andacht zu sehen, mit welcher das Volk sich den Beichtstühlen nähert, und sich dann am Kommunion-Tisch labt, der für diese Tage im Freien angebracht ist. Auch das Gotteswort erschallt unter freiem Himmel von einer an der Kirche angebrachten Kanzel herab, um welche ich das Volk massenweise schart und dem Prediger aufmerksam zuhört. Man wird an die Bergpredigt Jesu erinnert, der mit dem Volk zur Seligkeit eine ganz andere Lehre vortrug, als die Lehre der Welt ist, und dessen Worte sich durch alle Jahrhunderte hindurch als wahrhaft und allein seligmachend bewiesen, während die Lehre der Welt den Herzen der Menschen noch nie ein dauerndes Glück brachte, wohl aber Verderben und Verwirrung schafft.
Doch, wie ist denn der Kirchwald entstanden?
Sehr einfach. Im Jahre 1643 wanderte ein Tuchmacher-Geselle, Namens Michael Schöpfl, nach Rom. Er war in der Stadt Iglau in Mähren von lutherischen Eltern geboren und erzogen. Als er in reiferen Jahren an verschiedenen Orten auch die katholische Religion kennen gelernt hatte, gewann er eine große Vorliebe für sie, und da er sah, daß die katholischen Christen vorzüglich den heiligen Vater zu Rom als den sichtbaren Stellvertretern Jesu Christi und als den Einigungspunkt der ganzen Kirche betrachteten, entschloss er sich zur Reise nach Rom. Er wollte gleichsam an der Quelle die genauste Belehrung über den katholischen Glauben und die katholischen Gebräuche schöpfen. Und er ging nicht umsonst. Denn als er noch in demselben Jahr in Rom angelangt war, und er sich dort eine Zeit lang aufgehalten und seinem Verlangen und Wunsch nach die heiligen Orte Roms und die Sitten und Gebräuche der römisch-katholischen Christen eine geraume Weile gesehen hatte, wurde er durch die Gnade Gottes immer mehr zum Rücktritt in die apostolische und allgemeine heilige Kirche gestachelt. Mit heißem Verlangen begehrte er bei einem für die Deutsche eigens aufgestellten Beichtvater die nähere und letzte Unterweisung in den katholischen Glaubenssätzen, die ihm erteilt wurde. Seinen Lebensunterhalt erwarb er sich durch Arbeit, die freie Zeit widmete er Werken der Andacht.
In dieser Zeit schenkte ihm auch ein Kardinal ein schönes Muttergottes-Bild, Maria mit dem Christuskind auf dem Arm; denn der gute Michael hatte bereits noch vor seinem förmlichen Übertritt nach dem Beispiel der katholischen Christen Maria hoch zu verehren begonnen. Er sah ein, daß die Verehrung der göttlichen jungfräulichen Mutter Gott keine Ehre nimmt, sondern vielmehr den Ruhm Gottes vermehrt. Er musste das für recht halten, was Gott selber und die Engel getan. Man denke an den Ausspruch: „Gegrüßt seist du, Maria, du bist voll der Gnaden. Der Herr ist mit dir.“ Auch hatte er gründlich erkannt, daß es nicht bloß recht, sondern daß es auch Pflicht und nützlich und heilsam sei, Maria, die Mutter des Weltheilandes, die Mutter aller Christen zu ehren. „Weib, sieh da deinen Sohn! Sohn, sieh da deine Mutter!“ Gewiß trug ihre von ihm kindlich angerufene Fürbitte auch nicht wenig dazu bei, daß er glücklich sein Ziel erreichte, und daß er am Mariä Verkündigungstag 1644 in der Hauptkirche des heiligen Apostelfürsten Petrus am Vatikan das Bekenntnis des christkatholischen Glaubens ablegen konnte.
Nach seinem Übertritt wurde Michael Schöpfl ein doppelt eifriger Diener Gottes und Verehrer Mariä. Einsehend, daß Jeder, der nicht vorwärts geht, rückwärts schreitet, und daß die Zeit kurz ist, die der Mensch hat, um Gott zu dienen und sein Heil zu wirken, faßte er auch bald, gewiß nicht ohne Beratschlagung mit Gott, den Entschluss, Gott in Abgeschiedenheit von der Welt in Einsamkeit auf möglichst vollkommene weise zu dienen durch Handarbeit, Gebet und Übungen der Buße. Drei Monate blieb er noch in Rom, besuchte mit glühender Andacht Roms Kirchen, nahm Abschied von den Marterplätzen der Heiligen, und zog endlich von dannen, als ein liebes, teures Andenken sein Muttergottes-Bild auf seinen Schultern, eine Heimat suchend für dasselbe und für sich. „Geh`“, soll der fromme Kardinal, der ihm das Bild geschenkt hatte, bei der Beurlaubung gesagt haben, „geh` mein Sohn! Gott wird es dir zeigen, wo du ruhen und eine Hütte bauen sollst.“ Nach einer beschwerlichen und gefährlichen Reise kam Michael aus Italien nach Tirol. Auf manchen Berg, in manches Tal, an wilde Plätze, in schöne Auen trug er sein Bild. Er fand kein Bleiben, keine Mahnung, kein Zeichen. Am 23. September 1644 kam er nach Nußdorf. Da führte ihn der Weg etwa eine gute halbe Stunde außer Nußdorf auf den Berg in den Kirchwald. So hieß der Wald nämlich schon vorher, ehe da an eine Einsiedelei oder gar an eine Kirche und an einen Wallfahrtsort gedacht wurde.
Da, erzählt nun die Sage, hat Michael wieder, als er allein war, seine Andacht verrichtet, und wie er es gerne zu tun pflegte, dazu sein liebes Bild der Muttergottes und des Jesuskindes vor sich hingestellt. Nachdem er eifrig gebetet, sei ihm wunderbar wohl geworden, und es sei ihm gewesen, als sage ihm etwas: „hier bleibe!“ Er wußte nicht, sollte er dieser inneren stimme trauen oder nicht. Aber sieh da! Als er noch eifriger betend zu seinem Gemälde aufblickte, da sah er, daß von eine Fuß des Jesuskindes der Bundschuh, von den Bändern fast völlig aufgelöst, wie herunter fallend herab hing. Das hatte er an seinem Bild bisher nicht gesehen. Darum erschrak er, hielt aber auch zugleich erfreut es für einen Wink, zu bleiben. Er ging in das Dorf zurück und bat die Gemeinde, oder wie man sie damals nannte, die Nachbarschaft um die Erlaubnis, sich in dem Kirchwald eine Einsiedelei errichten zu dürfen, welch er auch gerne erhielt. –
Nachdem er auch von der geistlichen und weltlichen Obrigkeit die Zustimmung erhalten, baute er sich auf dem Vorsprung des Heuberges eine Hütte, seinem Mariä und Jesusbild aber eine Kapelle von Holz. Wie wohlgefällig sein dienst der lieben Mutter Gottes war, geht daraus hervor, daß auf seine Bitte das Wasser, welches ehedem schädlich war, ganz gesund und sogar heilkräftig wurde, und deshalb viele Leute zur armen Kapelle kamen. Er lebte 23 Jahre als Klausner des Kirchwaldes und hat durch seine Frömmigkeit die ganze Gemeinde erbaut. Gott aber sorgte für seinen Kirchwald noch weiteres. Bei dem freudigen Zudrang des Volkes zu dem Kirchwald und bei den vielen Gnaden-Bezeigungen, die das Volk an dieser Stätte auf Fürbitte der göttlichen Mutter erfuhr, war das Kirchlein bald zu klein und musste im Jahre 1720 eine neue stattliche Kirche erbaut werden, nämlich das jetzige würdige Gotteshaus. Durch Wohltäter und durch viele Opfergeschenke der Wallfahrer konnte die Kirche von Innen und Außen restauriert werden und noch immer ziehen Bedrängte aller Art zu dieser Gnadenstätte und lehren erleichtert wieder heim zu ihren häuslichen Geschäften, Gott und seine liebe Mutter preisend und liebend. Möge sie fortan wie bisher mit immer steigender Freude und Andacht besucht werden, und möchte Niemand ohne neue Gnaden aus ihren Mauern treten! (Kath. Kalender.) –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Erster Teil, 1869, Sp. 342 – Sp. 345