Das Ringen um das Mysterium der Menschwerdung
Der Kampf um das Geheimnis der Inkarnation Christi
Schon im Kampf um das Geheimnis der Trinität ergab sich für die Kirche die Notwendigkeit, Stellung zu dem mit dem trinitarischen Geheimnis zusammen hängenden Mysterium der Inkarnation zu nehmen. Es war der Bischof Apollinaris von Laodicea in Syrien, ein Freund des Athanasius und Vorkämpfer gegen die Arianer, der die geistige menschliche Seele in Christus leugnete und lehrte, die zweite Person der Gottheit habe nicht nur eine volle, aus Leib und geistiger Seele bestehende menschliche Natur, sondern nur einen durch eine rein animalische Seele beseelten Leib angenommen, da nur so die Einheit der Person in Christus und seine absolute Sünden-Unfähigkeit möglich seien.
Die erwähnten großen Lehrer der Ostkirche, besonders Gregor von Nyssa, stritten gegen Apollinaris, und die Synoden von Alexandrien (362) und Rom (374 und 377) sowie das Konzil von Konstantinopel (381) verwarfen seine Irrlehre, so dass kirchlicherseits sowohl die Wahrheit von den drei wesensgleichen Personen der Gottheit wie von der vollkommenen menschlichen Natur Christi gesichert war. Die Frage aber, wie sich im Gottmenschen die menschliche zur göttlichen Natur verhält, bedurfte noch der Klärung. Das Mysterium der Inkarnation harrte seiner dogmatischen Entfaltung. Im Ringen mit zwei entgegengesetzten Irrungen hat die Kirche Klarheit geschaffen. Diese beiden Irrungen gingen aus von den beiden bedeutendsten theologischen Schulen der Ostkirche, den Schulen von Antiochien und Alexandrien.
Die Schule von Antiochien war in der Art ihrer geistigen Arbeit rationaler, empirisch, auf Aristoteles aufbauend, die von Alexandrien spekulativer und allegorischer, im Sinne Platos, eingestellt. Mit dieser Grundeinstellung hingen die einander entgegengesetzten christologischen Irrungen beider zusammen. Bestimmte der innere Gegensatz der beiden Schulen das Wesen dieses Kampfes, so der kirchenpolitische Gegensatz zwischen dem altehrwürdigen, durch wissenschaftliche Größen wie Klemens, Origenes und Athanasius berühmt gewordenen Alexandrien und dem auf die Seite Antiochiens tretenden, zu machtvollem äußeren Ansehen erwachsenen Konstantinopel die Art und Heftigkeit des Kampfes.
In ihrem zu mehr nüchternen Vorstellungen neigendem Denken suchten die Vertreter der antiochenischen Schule das Göttliche und Menschliche in Christus möglichst scharf zu scheiden und erklärten die Verbindung der Gottheit mit der Menschheit in Christus als das äußere Einwohnen der zweiten göttlichen Person in dem Menschen Christus, während Vertreter der Schule von Alexandrien in ihrer Neigung zur Überbetonung der inneren Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur beide Naturen in eins verschmelzen ließen. Jene sahen in Christus zwei Personen, die nur äußerlich als eine erschienen; diese sahen in ihm nur eine Natur. So gingen beide in das entgegengesetzte Extrem. (1)
Träger der aus der antiochenischen Schule hervorgehenden Irrung waren zwei aus angesehenen Familien Antiochiens gebürtige Gelehrte, die bedeutendsten Lehrer dieser Schule, der Priester und Klostervorsteher Diodor, seit 378 Bischof von Tarsus, und sein Schüler Theodor, Bischof von Mopsuestia. Nach ihrer Lehre wohnte die zweite Person der Gottheit in dem Menschen Christus wie in einem Tempel; Maria war nicht Gottesgebärerin, wie sie schon im 3. Jahrhundert der Alexandriner Origenes genannt hatte, sondern Christusgebärerin, da sie nicht die eine Person des die menschliche Natur mit der göttlichen in sich vereinenden Logos, sondern nur den Menschen Christus der Welt brachte, in welchem die Gottheit wesenhaft wohnte.
Schüler des Theodor war Nestorius, zunächst Mönch in Antiochien, seit 428 Patriarch von Konstantinopel, ein hervorragender Prediger, aber leidenschaftlich und oft unüberlegt. Obwohl er mit aller Energie gegen jede von der wahren Lehre der Kirche abweichende Ansicht stritt und ihm subjektiv der Vorwurf eines Irrlehrers kaum gemacht werden kann, stand er doch so stark unter dem Einfluss der Gedankenwelt der damals vom kirchlichen Lehramt noch nicht zurückgewiesenen christologischen Lehren der antiochenischen Schule, dass er den Logos als Subjekt aller göttlichen und menschlichen Eigenschaften und Tätigkeiten im Gottmenschen Christus ablehnte und gegen die Bezeichnung Mariens als Gottesgebärerin zu Gunsten des Ausdruckes Christusgebärerin kämpfte. (2)
Nach ihm hat wegen seines großen Einflusses die Irrung der Antiochenischen Schule, der Nestorianismus, den Namen erhalten, obwohl er nicht ihr erster und ausgesprochenster Vertreter war.
In der Auseinandersetzung des Patriarchen von Alexandrien, des ebenso leidenschaftlichen wie gelehrten Cyrillus, mit Nestorius, dem Patriarchen von Konstantinopel, deren Heftigkeit, wie bemerkt, von kirchenpolitischen Spannungen nicht unbeeinflusst war, machte der eine dem anderen den Vorwurf der Irrlehre.
Der Papst, von beiden als Richter angerufen, ließ 430 eine Synode in Rom abhalten und drohte Nestorius mit dem Bann, falls er seine falsche Lehre nicht widerrufe. Der Patriarch Johannes von Antiochien trat auf Seite des Nestorius. Auf Betreiben des Nestorius berief Kaiser Theodosius II. auf das Pfingstfest (7. Juni) des Jahres 431 eine Kirchenversammlung nach Ephesus. Der Kaiser hatte im Spätsommer des Jahres 430 auch die Bischöfe Nordafrikas, darunter den genialsten Denker der Katholischen Kirche, den Bischof von Hippo, Augustinus, zur Teilnahme an diesem Konzil eingeladen. Als das kaiserliche Schreiben eintraf, war Augustinus bereits zur ewigen Ruhe eingegangen, am 28. August 430.
(1) Beide knüpften in ihrer Gedankenwelt an unklare Ausdrücke der lokalen Vergangenheit an.
(2) Er gab zu „genetrix Dei propter unitum Verbum templo“. –
aus: Konrad Algermissen, Konfessionskunde, 1939, S. 228 – S. 230