Der Gedächtnistag Allerseelen

Ein von Ornamenten und Girlanden umranktes Bild von Jesus am Kreuz

Allerseelen – Gedächtnisfeier aller abgeschiedenen Gläubigen

Der leidenden Kirche

Allerseelen, Gedächtnisfeier aller abgeschiedenen Gläubigen am 2. oder 3. November. Jesus vergleicht die Kirche mit dem aus dem Senfkörnlein heraus gewachsenen Baum. Unter seinem Schatten ruhen die Völker, seine leuchtenden Blüten erschließen sich über den Sternen, und seine Wurzeln treiben bis in die Unterwelt hinab. Es ist dieses das Bild der Kirche in ihrer dreifachen Gestalt, der triumphierenden, streitenden und leidenden. Stellt sich die triumphierende den Blicken an Allerheiligen dar, so wendet sich das Auge der leidenden an Allerseelen zu. Die Kirche schreibt nämlich jedes Jahr allgemeine Fürbitten (suffragia generalia) für alle abgeschiedenen Gläubigen vor, die am 2. November oder, wenn dieser ein Sonntag ist, am 3. November durch Zelebration von Requiems-Messen und die Rezitation des Totenoffiziums (officium defunctorum) vollzogen werden. –

Für die Verstorbenen zu beten und das Messopfer darzubringen ist eine uralte kirchliche Übung. Cyrill von Jerusalem erwähnt den Nutzen des Gebetes für die Verstorbenen, wenn das Ehrfurcht gebietende heilige Opfer daliegt, und bittet am Schluss der fünften mystagogischen Katechese, „diese Überlieferungen unversehrt zu bewahren“. Läßt sich daraus schließen, daß auch das gebet und die Darbringung des Opfers für die Verstorbenen zu diesen Überlieferungen gehörte, so sagt dieses Epiphanius deutlich. Seine Worte lauten: „Wir tun dieses nicht nur, weil wir glauben, die Gebete nutzen ihnen, sondern auch, weil es eine alte von den Vätern empfangene Überlieferung so will“ (Haeres. 75, n. 8). Der hl. Johannes Chrysostomus führt diese Sitte auf apostolische Vorschrift zurück, wenn er bemerkt: „Nicht umsonst ist von den Aposteln das Gesetz gegeben worden, der Abgeschiedenen von den hehren Mysterien zu gedenken. Wenn nämlich das ganze Volk mit ausgebreiteten Händen, wie der Chor der Priester, steht und das hehre Opfer daliegt, wie sollten wir da betend Gott nicht versöhnen?“ (Ad Philipp. Hom. 3, n. 4, XI, 217) Aus dem Abendland können mit Übergehung der Zeugnisse Tertullians und Cyprians die Worte des hl. Augustinus genügen. „Wenn es“, sagt er, „auch nicht in den Büchern der Machabäer geschrieben wäre, daß für die Verstorbenen geopfert wurde, so ist das Ansehen der ganzen Kirche, welches in dieser Gewohnheit klar vorliegt, von keiner geringen Bedeutung. In den Gebeten, welche der Priester am Altar an Gott richtet, hat auch die Empfehlung der Verstorbenen ihren Platz.“ „Zweifellos wird nämlich durch die Gebete der heiligen Kirche das heilsame Opfer und das Almosen, die wir für die Seelen der Verstorbenen darbringen, denselben geholfen, so daß Gott mit ihnen barmherziger verfährt, als ihre Sünden verdient haben. Denn es ist von den Vätern überliefert und wird von der ganzen Kirche beobachtet, für die in der Gemeinschaft des Leibes und Blutes Gestorbenen, wenn man ihrer bei dem Opfer an dem betreffenden Ort gedenkt, zu beten und zu erwähnen, daß es auch für sie dargebracht werde. Wer möchte auch zweifeln, daß ihnen geholfen wird, wenn sie vor dem Tode so lebten, daß es ihnen nützlich sein kann? Für die ohne den in Liebe tätigen Glauben und seine Sakramente Abgeschiedenen werden hingegen solche Pflichten der Pietät umsonst geübt“ (Serm. 172, n. 2).

Da man aber das Los der entschlafenen Gläubigen im Jenseits nicht kennt, opfert man für alle (De civit. Dei 21, 24). Für die sehr Guten werden Opfer und Gebete eine Danksagung, für die nicht sehr Schlimmen ein Sühnungs-Mittel (propitiationes); für die sehr schlechten Verstorbenen sind sie zwar kein Hilfsmittel, aber ein Trost für die Lebenden (De octo Dulcitii quaestionibus q. 2, n. 4). Diese aus verschiedenen Schriften des hl. Augustinus zusammen getragenen Worte zeigen, warum es in der katholischen Kirche einen Allerseelen-Tag gibt und geben kann, und welches seine Bedeutung und Aufgabe ist. Ohne die Lehre von der Heilsamkeit des Gebetes und eucharistischen Opfers für die Entschlafenen ist ein Gedächtnistag aller Verstorbenen entweder zwecklos oder ein Zeugnis der von Natur katholischen Seele. Von dem letzten Gesichtspunkt aus ist der sogenannte Totentag der Protestanten aufzufassen, wenn man ihn nicht zu einer leeren Erinnerung an die Abgeschiedenen herab setzen will. Betet und opfert aber die Kirche täglich in der Messe für alle verstorbenen Gläubigen, so ist der Schritt, einen eigenen Tag zur Gedächtnisfeier für sie festzusetzen, ein kleiner.

Er wurde nicht schon im dritten und vierten Jahrhundert gemacht, weil das Kirchenjahr noch zu wenig ausgebildet war. Als dieses aber geschehen war, fügte er sich gleichsam von selbst in den Kreislauf desselben ein. Odilo, Abt von Cluny, ordnete im Jahre 998 für die Klöster seines Ordens einen allgemeinen Gedächtnistag aller Verstorbenen an. Nach Petrus Damiani veranlaßte ihn dazu ein Priester, der Visionen über den Zustand der Seelen im Reinigungsort hatte. Diese Einrichtung fand auch in andern Klöstern Aufnahme, und die Bischöfe führten sie in ihren Diözesen ein, so daß diese Gedächtnisfeier ohne ein allgemein kirchliches Gesetz entstand. „Die Erklärung und Anordnung aller Bischöfe“, bemerkt Binterim, „galt für den Ausspruch der Kirche, besonders da nicht nur die Genehmigung, sondern selbst die Nachahmung der römischen Kirche, der Mutter aller andern Kirchen, dazu kam.“ –

Weil man den Gedächtnistag aller verstorbenen Gläubigen solenn feiert, wird der Ritus des Offiziums dem eines doppelten Festes gleich gestellt; außerdem werden aber auch alle Privatmessen de requiem gelesen. Trifft er mit einem Sonntag oder gebotenen Fest (festum duplex de praecepto) zusammen, so wird er mit denselben Privilegien auf den 3. oder 4. November verlegt. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 1, 1882, Sp. 558 – Sp. 560

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