Das Kirchenfest Mariä Heimsuchung
Die Feier dieses Festes ist neueren Datums; Papst Urban VI. hat sie angeordnet für Rom im Jahre 1378, als mehrere Gegenpäpste ihm die Leitung der heiligen Kirche gar sehr erschwerten, und das allgemeine Konzil von Basel 1441 hat dieselbe für die ganze Christenheit befohlen.
Aber der Inhalt dieses Festes ist eine himmlisch anmutige Tatsache aus dem Evangelium selbst, welche die Katholiken aller Zeiten zur zutraulichsten Liebe und Verehrung der hochgebenedeiten Mutter Maria eingeladen hat. Diese Tatsache des Besuches Mariens bei ihrer Base Elisabeth erzählt der hl. Lukas in enger Verbindung mit dem größten Geheimnis, mit der Verkündigung des Erzengels Gabriel, daß Maria zur Mutter des Sohnes Gottes und zur Braut des heiligen Geistes bestimmt sei; und beide gehören zusammen. Bei der Verkündigung hat Maria dem Engel Ihre Zustimmung zur Menschwerdung Christi gegeben und hat dafür von und durch Elisabeth die ehrfurchtsvollste Lobpreisung und Danksagung der Menschheit erhalten.
Die Worte beim hl. Lukas: „Und der Engel entfernte sich“ scheinen die alte Überlieferung beglaubigen zu wollen, daß Gabriel noch neun Stunden lang bei Maria sich verweilt habe, bewundernd und anstaunend ihre übermenschliche Holdseligkeit und Majestät und anbetend das heilige Wort, das in ihrem Schoße Fleisch geworden und Wohnung genommen hatte, daß er sehr ungern und schwer von ihr sich entfernt habe. Nach diesen Worten fährt der hl. Lukas fort: „Maria aber machte sich in jenen Tagen auf und ging eilends auf das Gebirge in eine Stadt des Stammes Juda. Und sie kam in das Haus des Zacharias und grüßte die Elisabeth.“ (Luk. 1) Diese Eile Mariä ist auffallend bei ihrer jungfräulichen Zurückhaltung und bildet zu ihrer schüchternen Bescheidenheit einen lebhaften Kontrast; allein der hl. Ambrosius rechtfertigt diese Eile aus lieblich schönen Gründen: „Weil Maria nicht lange auf öffentlicher Straße bleiben, weil sie so schnell und freudig die Eingebung des heiligen Geistes vollziehen, und weil sie – nun Mutter Gottes – dem mit dieser Würde empfangenen Drang der mitteilenden Mutterliebe folgen wollte. Wahrhaft es ist ein entzückendes Schauspiel, im Geiste zu sehen, wie diese junge Magd des Herrn, diese Gnadenvolle, den Sohn des lebendigen Gottes, jenes Licht, jenes Feuer, das die Welt zu erleuchten und zu entflammen vom Himmel gekommen ist, über das Gebirge trägt, ohne daß die Stadt- und Landbewohner der Erde etwas davon ahnen, und jenem Hause zueilt, dessen Einwohner guten Willens sind und wandeln in allen Geboten des Herrn ohne Klage!“ So war es vor 1800 Jahren, und so ist es heute noch; Maria war und bleibt die eilfertige, Gnade bringenden Mutter der Lebendigen.
Am Ziel der Reise angekommen, trat Maria in das Haus des Zacharias und grüßte die Elisabeth, die Magd des Herrn, auf die Er so unendlich huldvoll herab gesehen, grüßte zuerst und zwar die Elisabeth und nicht den Hausherrn Zacharias, weil die Landessitte es nicht erlaubte, daß eine Jungfrau einen Mann grüße; und die Königin des Himmels wollte mit zarter Rücksicht diese sinnreiche und lobenswerte Volkssitte eben so treu als demütig achten.
Der Gruß Elisabeths
Der Gruß aber, den eigentlich Jesus durch den Mund Mariä aussprach, und den auch Johannes vernahm, hatte eine wunderbare Wirkung. Zuerst teilte Er dem noch ungeborenen Kinde den heiligen Geist mit, in Folge dessen es aufhüpfte vor Freude und durch diese Freude die wirkliche Gegenwart des verheißenen Erlösers verkündete, wie es später als Vorläufer dem Volk Israel denselben predigte. (Viele nehmen an, daß Johannes dieses außerordentliche Zeichen der Freude mit Bewußtsein gegeben habe, Immerhin stützt sich auf diesen Vorgang die Praxis der Kirche, daß, da schon unmündige Kinder den heiligen Geist empfangen können, und deshalb die heilige Taufe nicht aufzuschieben sei.) Dann wurde auch Elisabeth vom heiligen Geist erleuchtet, daß sie die Ursache und die Bedeutung der Freude ihres Kindes zu deuten verstand. Vom Hauch des Geistes Gottes beseelt sprach sie mit lauter Stimme, mit einer so starken Stimme, daß sie in der ganzen Welt und in allen folgenden Zeiten und Jahrhunderten widerhallt, ihren Gegengruß der innigsten Freude und Verehrung in der süßen Wahrheit aus: „Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes!“ Das ist doch eine wunderbare, göttliche Harmonie zum Lobe und Preise der ganz außerordentlichen Würde Mariä!
Der Himmel hatte durch den Engel Gabriel die heilige Jungfrau in Nazareth gegrüßt und geehrt mit dem Lobe ihrer künftigen Mutterschaft: „Du bist gebenedeit unter den Weibern“; die Erde grüßte und ehrte die heilige Jungfrau in Hebron durch Elisabeth mit dem gleichen Lobe als Gratulation zu der von ihr angenommenen Mutterschaft: „Du bist gebenedeit unter den Weibern, weil gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“ Wie ehrenvoll für Maria war und ist dieses Zusammenstimmen des Himmels und der Erde zu ihrer Lobpreisung, die ihr, der Mutter des Gottmenschen Jesu Christi, alle Geschöpfe zum Dank für ihre Erlösung und Begnadigung schuldig sind! Deshalb hat die katholische Kirche aus diesen beiden Grüßen des Engels und der Elisabeth nur einen einzigen Gruß gebildet, wie auch der Eine heilige Geist der Urheber derselben gewesen ist; und dieses bewunderungswürdige Loblied, das der Engel, von Gott gesandt, anstimmte, in das Elisabeth, von Gott begeistert, einstimmte, wird von dem ganzen Chor aller Rechtgläubigen an allen Orten und zu allen Zeiten unzählige Male frohlockend wiederholt: „Gegrüßt seist du Maria voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“
Sehr zu beachten ist noch die tiefe Demut, die neidlose, lautere Freude und heilige Ehrfurcht, womit Elisabeth ihr Staunen ausdrückt. „Woher kommt mir dies, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Sie stand über Maria nach der Zahl ihrer Jahre, nach dem Rang ihres Mannes, der ein Priester Gottes war: sie war ja auch durch den Besuch des Erzengels Gabriel bei Zacharias im Tempel geehrt und in ihrem Alter mit dem Wundergeschenk eines Sohnes gesegnet, welcher der größte Prophet und Vorläufer des Erlösers werden sollte: sie konnte sich, durch alle diese Vorrechte geadelt, doch gewiß für ebenbürtig ihrer jungen Base, der 14jährigen Zimmermanns-Frau, ansehen. Aber sie sah Maria mit der Würde einer Mutter Gottes bekleidet, mit einer so übernatürlichen Würde, weshalb sie in ihr nicht mehr die liebenswürdige Verwandte bewillkommt, sondern die gebenedeite Königin ehrt, deren Besuch sie ganz außer Fassung brachte, so daß sie überwältigt war von dem Gefühl der Unwürdigkeit, daß die Mutter des Herrn so herablassend und gütig zu ihr komme.
Das Magnificat Mariens
Maria hatte schweigend mit stillem Wohlgefallen die Gnade betrachtet, welche ihr göttlicher Bräutigam der Elisabeth und ihrem Kind so reichlich spendete, teilnehmend angesehen die selige Verlegenheit, in der sich ihre gute Base befand, und angehört das begeisterte Lob, das die Beglückte ihr zuerkannte. Nun war es Zeit, daß auch sie, die „Mutter des Herrn“, ihren schweigsamen Mund öffnete. Maria, wenn auch durch ihre Mutterwürde noch so erhaben über Elisabeth, wollte doch vor ihr keinen andern Vorzug haben, als den, die Demütigere zu sein; sie nahm die Huldigungen ihrer verehrten Base ohne Widerspruch an und sprach dieselben in wunderbarer Rede noch deutlicher und großartiger aus; aber sie nahm dieselben an und vermehrte sie noch zu dem Zweck, um Gott den Herrn dadurch zu verherrlichen und sich selbst zu verdemütigen; sie stimmte ihr Magnifikat an. Dieser Hymnus auf die Selbstverherrlichung Gottes im großen Werk der Welterlösung ist der unvergleichlich schönste Lobgesang der katholischen Kirche, der, obschon er schon achtzehn Jahrhunderte in der ganzen Welt gesungen wird, für unser Ohr den Reiz der Neuheit nicht verloren hat, und dessen Voraussagung wir Alle mit freudigem Glauben und dankbarem herzen immer mehr erfüllen helfen. Nie sonst hat ein Geschöpf mit so begeisterten Worten des Ruhmes, der Größe und Heiligkeit den Allmächtigen gelobt, wie Maria in ihrem Magnifikat; aber gerade der Anblick ihrer Niedrigkeit gab ihr das klare Gefühl der Gnadengröße und die beredten Worte für den Ausdruck derselben, die sie Gottes Weisheit und Freigebigkeit verdankte, und die der Gegenstand ihrer allgemeinen Verehrung ist; deshalb hat auch das Magnifikat im katholischen Gottesdienst einen sehr hervorragenden Platz. Es ist das Zentrum der Nachmittagsfeier, wie die heilige Messe das Zentrum der Vormittagsfeier ist; es ist die feierliche Antwort der Freude und des Dankes der heiligen Kirche auf die großen Dinge, welche Jesus, der Sohn des lebendigen Gottes, im heiligen Opfer und in der heiligen Kommunion an allen Gläubigen tut. Daher steht beim Gesang des Magnifikat das teilnehmende Volk auf und wird der Altar inzensiert, wie es beim Hochamt der Fall ist.
Maria Mittlerin aller Gnaden
Diese Erzählung des bedeutungsvollen Besuchs Mariä bei Elisabeth mag die wichtige Bemerkung schließen, daß Maria in dieser ersten Tatsache aus dem Leben Jesu als die Mittlerin und Ausspenderin der ersten geistigen Gnade erscheint, die Er nach seiner Menschwerdung der Familie des Zacharias zuwendete. Un der hl. Evangelist Johannes erzählt, daß Maria die Fürbitterin und Mittlerin der ersten zeitlichen Gnade war, welche Jesus durch sein erstes Wunder den Brautleuten zu Kana zuwendete. Damit hat Gott selbst die Stelle bestimmt, welche Maria in der Ordnung der Gnade einnimmt, daß nämlich sie die Mittlerin aller Gnaden für ihre Kinder sei.
Deshalb, o christliche Seele, wende Auge und Herz voll Demut und Vertrauen zur gütigen, milden Mutter und sage ihr:
Maria zu lieben, ist allzeit mein Sinn,
In Freuden und Leiden dein Diener ich bin.
Mein Herz, o Maria, brennt ewig zu dir
In Liebe und Freude, o himmlische Zier!
Gib, daß ich von Herzen dich liebe und preis`,
Gib, daß ich viel Zeichen der Lieb` dir erweis`,
Gib, daß mich nichts scheide, nicht Unglück noch Leid,
Um treu dir zu dienen in Schmerz und in Freud`!
Ach hätt` ich der Herzen nur tausendmal mehr,
Dir tausend zu geben, das ist mein Begehr!
So oft mein Herz schlaget, befehl` ich es dir;
So oft ich nur atme, verbind` ich dich mir.
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 498 – S. 500