Wanderbuch Der Befreiungskampf

Jesus Christus hängt am Kreuz; rechts vor ihm sitzt Longinus auf seinem Pferd, links stehen Maria und Johannes; im Hintergrund sieht man die Schergen und Juden fortgehen

Der Befreiungskampf Christi

„Gelitten unter Pontius Pilatus, – gekreuzigt, gestorben und begraben.“ (Vierte Glaubensregel)

Wie im Himmel oben der Teufel Gott den Herrn um seine Herrlichkeit beneidet und sich darum gegen ihn erhoben hat, so hat es auf der Erde Leute gegeben, die Christo dem Herrn neidig gewesen sind um sein tugendreiches, sündenfreies, seeleneifriges Leben und Streben. Mit Recht hat Christus ihnen einmal gesagt, sie hätten den Teufel zum Vater gehabt. Diese grundschlechten Menschen haben sich also zusammen getan, um Christus aus der Welt zu schaffen. Und richtig, es gelang ihnen. Eines Abends haben sie ihn in einem Garten betend angetroffen, haben ihn festgebunden, eingeführt, vor ungerechtes Gericht gestellt, ihn bei der heidnischen Obrigkeit lügenhaft angeklagt und zur Abstrafung überliefert. Der kaiserliche Statthalter Pontius Pilatus, ein Mensch ohne allen Charakter, hat sich ihnen gefällig erwiesen und hat den unschuldigen, 33jährigen jungen Mann, Jesus Christus, zuerst auf`s entsetzlichste zergeißeln lassen; dabei haben die Schergen noch ihren Spott getrieben und ihm einen Kranz von spitzen Dornen um die Schläfe gebunden und einen schmutzigen, alten Soldatenmantel umgeworfen und ein Moosrohr in die Hand gegeben und ihn als Spottkönig gegrüßt. Darauf hat der Statthalter ihn erst auf`s ungerechteste verurteilt, gekreuzigt zu werden. Und so ist es geschehen. An einem Freitag Vormittag haben sie ihn durch die Gassen der Stadt getrieben und gestoßen und geschlagen; und gegen Mittag haben sie ihm dann draußen auf einem Hügel die Kleider vom Leib gerissen und ihn auf ein Kreuz geworfen. Dann haben sie ihm den Leib ganz unmenschlich auseinander gespannt, daß die Gebeine gekracht haben; haben mit spitzen langen Nägeln die Hände und Füße an das Holz angenagelt, als hätten sie ein Brett und nicht einen jungen lebendigen Menschen unter ihren Händen. Und Er? –

Er, der allmächtige Gottmensch hätte sie nur anzuschauen gebraucht, und sie wären, wenn er`s gewollt hätte, alle maustot um ihn herum gelegen, ehe sie noch eine Hand an ihn gelegt hätten. Aber er hat sie tun lassen mit sich, was sie nur gewollt. Denn es war sein eigener freier Wille, all diese namenlosen Peinen zu leiden. Darum schau zurück auf das Bild vorne; schau, wie er willig seine Arme hingibt zum Annageln; er klagt und jammert nicht; er schaut nur auf zum Himmel und bringt sich geduldig zum Opfer dar. Er weiß, für wen er leidet, nämlich für dich. Er weiß, wie auch du nicht anders aus der Tiefe der Sünde aufwärts kannst zum Heil , als auf der Brücke des Kreuzes, ich will sagen, durch geduldige Ertragung all der tausend Leiden und Trübsale, welche das Leben mit sich bringt. Leiden musst du, willst du oder nicht, bist du gut oder bist du schlecht. Aber Christus wollte dir zeigen, wie du es anstellen sollst, um dein Leiden zu heiligen und zur Leiter zu machen, auf der du aufwärts zu Gott und zu ewigem Glück steigen könntest. Das ist die heilige christliche Geduld, auf welcher Christus bis in unser Elend, bis zur Strafe unserer Sünden herab gestiegen, um uns aus derselben heraus zu reißen.

Aber der arme Mensch war noch tiefer hinab geraten; er hat sich zu Tode gefallen am Leib und an der Seele. Wollte ihn Christus ganz befreien, musste er auch in diesen letzten, schauerlichsten Abgrund herab steigen, musste selber sterben. Und er hat es getan; hat den grimmigsten Tod willig in lauterste Liebe für dich erduldet, um so durch die Liebe seines Herzens auch dich zur Liebe anzulocken, weil erst die Liebe den Tod von der Seele treibt, dich wieder lebendig macht am Geist, und dich auf ihren Flügeln aufwärts trägt zur vollen Freiheit der Kinder Gottes.

Über fünf Abfälle hat sich also der Mensch in den Abgrund alles Elendes hinab gestürzt; durch Stolz, durch Weltliebe, durch Freiheitsschwindel, durch Weichlichkeit oder Fleischesliebe und durch Selbstsucht. Und so hat Christus unter blutiger Anstrengung fünf Stufen bauen müssen, um dem Hinabgestürzten einen Ausweg aus der Tiefe zu machen und ihn zur Höhe, aus dem Elend zum ewigen Glück, aus der Gottlosigkeit zur Gottseligkeit zu bringen. Und diese Stufen sind eben die aufgezählten: die Demut, die Armut des Geistes, der Gehorsam, die Geduld, die Liebe Gottes.

Jesus Christus sitzt mit dem Kreuz und der Dornenkrone neben der Krippe; im Hintergrund sieht man Kranke und Trost Suchende, denn Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben

So ist der Weg zu deiner ewigen Heimat, zum Himmel, wieder offen, und dein himmlischer Vater ist wieder zugänglich. Vom Kreuz her kann dein Heiland mit doppeltem Recht sagen: „Ich bin dir Weg, Wahrheit und Leben.“ Das sagen dir alle seine heiligen Wunden und all sein Leiden; aber sie sagen eben so klar und eindringlich noch das andere Wort:

„Niemand kommt zum Vater, außer durch mich!“

… Gelt, ohne Licht sieht man nichts, gar nichts; ohne Weg kann man nicht gehen auf abschüssigen Bergwänden; und wenn dir die einzige Seele mit ihrem Leben davon geht, kannst du keinen Augenblick mehr leben. Nun sieh! Um von der Sünde heraus zu Gott und zur Versöhnung und zum Himmel zu kommen, brauchst du einen Weg; aber es gibt nur Einen, wohlgemerkt! nur Einen Weg dorthin, und das ist er – der gesagt hat: „Ich bin der Weg.“ Das ist der Lebens- und Leidenswandel des Herrn. Wer ihm nachgeht, wer christlich lebt, wandelt gut und kommt zum Vater; aber wer einen anderen Weg sucht, wer da meint, Reichtum Weltehren, Aufklärung, Bildung, Wissenschaft täten es auch, den Menschen zum dauerhaften Glück zu bringen, der findet es nie und nirgends; er kommt nicht in die Heimat, kommt nicht zum Vater. – Du brauchst ferner Licht auf dem Weg; ich will sagen, es muss dir Christus selber klar werden, du musst ihn recht verstehen; du brauchst also Wahrheit, die dein Innerstes über Christus erleuchtet. Aber diese Wahrheit gibt es nur bei Christus, der gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit.“ Du erfährst sie und gewinnst sie durch den christlichen Glauben. Wer außer ihm will Aufklärung haben, kommt nicht zum Vater, weil kein Licht ihm den Weg, keine Wahrheit den Erlöser zeigt. – Du musst endlich in deiner Seele drin die übernatürliche Seele, die Gnade Gottes, haben. Wie aber der Rebzweig nur aus dem Weinstock den Lebenssaft, so kannst auch du nur aus ihm die belebende Gnade schöpfen, der gesagt hat: „Ich bin das Leben.“ Das rinnt dir aus dem Wurzelstock, aus der Gottheit Christi durch die Menschheit nur in den heiligen Sakramenten zu. Wer es anderswo und anderswie sucht, findet es nie und nirgends, und bleibt, was er ist, tot. Das will das Wirt sagen:

„Niemand kommt zum Vater, außer durch mich!“

Christus hat gesagt, er sei der gute Hirt, und sei gekommen, die verlorenen Schafe seines Vaters, die Menschen alle zu suchen und zu retten…
Diese Hirtenstimme, den Ruf seiner Gnade hat er am Kreuz sterbend wirklich getan. Es waren zwei Menschen mit ihm gekreuzigt, zwei große Sünder, der linke und der rechte Schächer. Beide wollte der gute Hirte retten, beiden zum Heil verhelfen, beide auf den Rechten zur Heimat bringen; darum leidet, betet und stirbt er für beide. Aber nur der Eine folgt seiner Hirtenstimme, und darum hört er Christi Testament: „Heute wirst du bei mir im Paradiese sein.“ Der rechte Schächer ist zum Vater gekommen, weil er den einzigen Ausweg eingeschlagen, weil er Christus im Glauben und im Vertrauen und in Reue erfaßt hat. Der linke Schächer aber will nichts hören von Christus, nimmt keine Lehre an seinem Beispiel, und darum bleibt er und stirbt er in seinen Sünden. So nahe bei dem wahren Weg, und doch in Irre gehen; so nahe bei dem ewigen Licht, und doch in ewige Finsternis fallen; so nahe bei der Quelle alles Lebens, und doch in den ewigen Tod stürzen; es ist schrecklich aber wahr; warum wollte er den einzigen Ausweg nicht einschlagen.

Leser! Wem willst du es nachahmen, dem rechten oder dem linken Schächer? Willst du dich finden lassen vom guten Hirten oder von dem bösen Geist, dem brüllenden Löwen, der herum geht und sucht, wie er dich verschlingen könne? –
Zwingen wird dich keiner von Beiden; aber locken tut Jeder fort und fort, der eine zum Feuer der freundlichsten Liebe seines Herzens, der andere zum Feuer der heißesten Glut seiner Hölle. Die Entscheidung liegt bei dir. Aber merk:

„Es ist keinem Andern Heil und den Menschen ist kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, in welchem wir gerettet werden sollen, als der Name Jesus.“ (Worte des ersten Papstes vor Gericht) –
aus: Franz Ser. Hattler SJ, Wanderbuch für die Reise in die Ewigkeit, I. Band, Erster Teil. Wo gehst du hin?, 1883, S.100 – S. 107

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