Wie unsere Teilnahme am Leiden Christi sein kann
Was dem Leiden Christi mangelt
Es liegt auch unser Leiden und Sterben in der Voraussicht und in dem Ratschluß Gottes, und es steht mit dem Leiden und Sterben unsers göttlichen Erlösers in wunderbarer Verbindung. Wir sollen durch unser Leiden und Sterben an seinem Leiden und Sterben teilnehmen, und dadurch zu unserer persönlichen Erlösung auch selbst das Unsrige beitragen; besonders da unser Leiden und Sterben von seinem Leiden und Sterben vermittelst der Gnade, die er durch dasselbe uns verdient hat, den Wert erhält, wie darum auch der heilige Paulus von sich und von der heiligen Kirche sagt: „Ich freue mich in dem Leiden für euch, und ersetze an meinem Fleisch, was an dem Leiden Christi für seine Kirche mangelt“. (Koll. 1, 24) Dem Leiden Christi mangelte nichts, es war voll, und sein Wert reichte in unendlichem Übermaß hin, die ganze Welt und unzählige andere Welten zu erlösen, wie er selbst gesagt hat: „Es ist vollbracht“. (Joh. 19, 30) Auch können wir den Wert seines Leidens nicht erhöhen, oder vermehren, da es von der göttlichen Würde seiner Person einen unendlichen Wert hat. Gleichwohl mangelt seinem Leiden noch Etwas in Bezug auf seine Kirche und auf uns, nämlich das Leiden seines geistigen Leibes, seiner geistigen Glieder, deren Teilnahme an seinem Leiden und an dessen Verdiensten; da Christus nicht bloß an sich, sondern auch an seinem mystischen Leib und an dessen Gliedern leiden sollte, bis das ganze Leiden auch an diesem Leibe und an dessen Gliedern vollbracht sein, bis der ganze mystische Christus, das heißt, Christus mit seiner Kirche und mit seinen Gläubigen, das Haupt mit seinem Leib und mit seinen Gliedern gleichförmig das ganze Erlösungswerk auch in dessen Wirkungen vollendet haben würde. Darüber schreibt der heilige Augustinus: „Mangelte Etwas an dem Leiden jenes Menschen, welcher das Wort Gottes war, und aus Maria, der Jungfrau, geboren worden ist? Er hat gelitten, was immer er leiden sollte, und, wie es scheint, Alles. Denn an das Kreuz geheftet, nahm er zuletzt den Essig, und sprach: Es ist vollendet; und er neigte sein Haupt, und gab seinen Geist auf. Was heißt nun das: Es ist vollendet? Es mangelt dem Maß der Leiden nun nichts mehr, weil Alles, was von mir geschrieben steht, erfüllt ist. Es waren nun alle Leiden vollendet, aber an dem Haupt; es erübrigten jedoch noch die Leiden Christi am Leibe. Nun aber seid ihr der Leib und die Glieder Christi. Da also auch der Apostel unter diesen Gliedern war, so sagte er deshalb: Ich ersetze, was dem Leiden Christi mangelt, an meinem Fleisch.“ (In Psalm 86) Daher denn auch die Leiden, welche Jeder an sich und für sich zu erdulden hat, sei es ander Seele oder am Leibe, von Seite seiner Mitmenschen, oder von Seite der Außenwelt, oder von Seite der Hölle; und dies ist der Grund, warum der göttliche Erlöser diese Leiden nicht von uns genommen hat.
Der Apostel sagt ferner, daß er ersetze, „was dem Leiden Christi für seinen Leib, welcher die Kirche ist, mangelt“; daß er für die Kirche, für Andere leide. Und in der Tat; es mangelt dem Leiden Christi noch Vieles, bis die Ungläubigen und Irrgläubigen bekehrt werden, und für deren Bekehrung die apostolischen Männer so Vieles leiden müssen; es mangelt dem Leiden Christi noch Vieles, bis die Sünder bekehrt werden, die Gerechten und die Unschuldigen zu ihrer Vollendung gelangen, und für sie müssen jene, denen die Sorge für das Heil der Seelen obliegt, Vieles leiden; es mangelt dem Leiden Christi noch Vieles, bis für die Sünden und Sündenstrafen der Gläubigen, welche selbst genug zu tun nicht im Stande sind, durch jene genug zu tun wird, welche nicht mehr eigen Schulden zu zahlen haben, wohl aber von ihrem Überfluss für andere zahlen können, und darum auch Vieles für andere Glieder der Kirche leiden. Das heißt nun für die Kirche leiden, und so wird für sie ersetzt, was in dieser Beziehung dem Leiden Christi, des Herrn mangelt. Auch darin erblicken wir die Gemeinschaft der Heiligen, die auch für einander leiden; und auch aus diesen Leiden schöpft die Kirche die schätze der Ablässe, welche sie von dem Überfluss der Reichen nimmt, und den Bedürftigen mitteilt. So sehen wir nun, wie und warum auch unsere Leiden notwendig sind, und zum allseitigen Heil beitragen können, und beitragen sollen.
Das Leiden wird zur süßen Mühe
Wie ferner Christus, der Herr, durch sein Leiden und Sterben in seine Herrlichkeit eingehen musste; so müssen nach dem ewigen Ratschluss Gottes auch wir durch unser Leiden und Sterben, welches wir mit dem Seinigen vereinigen, und nach seinem Vorbild auf tugendhafte Weise ertragen sollen, in unsere Herrlichkeit eingehen, die uns nicht geschenkt, sondern als Lohn gegeben wird. Darauf weist der heilige Paulus hin, indem er er an die Hebräer schreibt: „Lasset uns aufblicken zum Anfänger und Vollender des Glaubens, zu Jesus, der für die ihm vorgelegte Freude das Kreuz erduldet hat; damit ihr nicht ermüdet, und euren Mut nicht sinken lasset. Noch habt ihr nicht bis auf das Blut widerstanden im Kampf wider die Sünde.“ (Hebr. 12, 2-5) So ermutigt er diese Gläubigen in ihren Leiden durch die Hinweisung auf das Vorbild des Herrn; die Korinther aber tröstet er mit der Hoffnung auf die ewige Vergeltung, indem er ihnen zuruft: „Darum, meine lieben Brüder! Seid standhaft und unbeweglich; seid voll es Eifers im Werk des Herrn allzeit, da ihr wisset, daß eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn.“ (!. Kor. 15, 58) Diese beiden Gesichtspunkte sind es, welche das Leiden, vor welchem die Natur zurück schaudert, erträglich, auch erwünscht, ja sogar zur Freude machen. Es wird zum Bedürfnis der Dankbarkeit und Liebe gegen den göttlichen Erlöser; es wird zur süßen Mühe, mit der wir uns die Krone des Himmels flechten. Daher schreibt der heilige Augustinus: „Wenn wir täglich Qualen erdulden, wenn wir eine kurze Zeit auch die Hölle ertragen müssten, um würdig zu sein, Christum zu sehen, wenn er in seiner Herrlichkeit kommt, und um unter die Zahl seiner Heiligen gerechnet zu werden; wäre es nicht billig, Alles, was schmerzlich ist, zu erleiden, damit wir eines so großen Gutes und einer so großen Herrlichkeit teilhaftig gemacht würden? (Serm. 2. in Fest. Omn. Sanct.) Es ist dieser Aufblick zur himmlischen Herrlichkeit, welcher auch den heiligen Märtyrern in ihren Peinen Kraft verlieh, standhaft bis zum Ende dem Herrn die Treue zu bewahren. Der heilige Sebastianus rief den heiligen Märtyrern Marcus und Marcellianus zu: „Alle Mühe, aller Schmerz und die Hingabe des Lebens für Christus ist entweder langsam und langwierig, oder heftig und schnell: wenn langsam, so ist es erträglich; wenn heftig und schnell, so ist es kurz, und beschleunigt den Tod. Harret also tapfer aus, ertragt die langsamen und die heftigen Leiden; denn sie verschaffen euch die Krone und eine unermeßliche und ewige Freude.“ (In ejus Actis) Christus, der Herr, hat uns auf seinem Gang vom Ölberg auf den Kalvarienberg den Weg zum Himmel gewiesen, und es gibt keinen andern als den Kreuzweg. „Denn wenn es etwas Besseres und Nützlicheres für das Heil der Menschen gäbe, so hätte es uns Christus sicherlich in Wort und Beispiel gezeigt. Er aber mahnt sowohl die Jünger, die ihm nachfolgten, als auch alle Andern, die ihm nachfolgen wollen, ganz ausdrücklich zum Kreuztragen, indem er sagt: Wenn Jemand mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir nach.“ (Imit. Christ. Libr. II, c. XII. n. 15); Matth. 16, 24) Wer also zum Heil gelangen will, der muss in der Nachfolge Christi den Weg des Leidens, den Kreuzweg wandeln.
Die von Gott bestimmten Leiden sind das Kreuz
Es ist endlich, wie für Christus, auch für uns von der göttlichen Vorsehung das Maß, die Zeit, der Ort, die Art und Weise, das Ziel und Ende der Leiden bestimmt, und festgesetzt; und was die göttliche Vorsehung uns zuweist, müssen wir auf uns nehmen und durchführen, wie Christus; wenn wir nicht die Wege der göttlichen Vorsehung verlassen, und unser ewiges Heil auf das Spiel setzen wollen. Die für Jeden von Gott bestimmten Leiden sind sein Kreuz, und die Nachfolge Christi führt zum Himmel. Wer daher diese Leiden nicht ertragen, oder nicht so ertragen will, wie Christus, der Herr, die seinigen ertragen hat; der nimmt sein Kreuz nicht auf sich, der folgt Christo dem Herrn, nicht nach, der ist nicht sein Schüler und Jünger, und wird darum auch nicht mit ihm zum Ziel der ewigen Herrlichkeit gelangen. Wollen daher auch wir den dreifachen Zweck des Leidens und Sterbens nach dem Vorbild des Herrn erreichen, so müssen auch wir, wie Christus, leiden und sterben. So leiden und sterben heißt, das Siegel der Kindschaft Gottes an sich tragen, das Unterpfand der ewigen Auserwählung besitzen, und den Weg in das himmlische Vaterland wandern. Daher die Geduld und die Standhaftigkeit, die Freude und der Jubel der Heiligen in den Leiden, weil sie dessen Geheimnisse kannten, und dessen Wert zu schätzen wußten; daher auch das Wort des heiligen Paulus an die Philipper: „Wenn ich auch ein Schlachtopfer werde über dem Opfer und Dienst eures Glaubens; so freue ich mich, und frohlocke ich mit euch Allen. Und deswegen sollt auch ihr euch freuen, und mit mir frohlocken.“ (Phil. 2, 17. 18) Ja, der Apostel rühmt sich der Leiden, und schreibt an die Galater: „Fern sei es von mir, daß ich mich rühme, außer im Kreuz unsers Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt!“ (Gal. 6, 14) Kennten alle Menschen die Schätze, welche in den Leiden liegen, und verstünden sie es, dieselben zu benützen; wie reich müssten sie sein, da Niemand ohne Leiden ist, und die Augenblicke des menschlichen Lebens auf dieser Erde gleichsam nur eine ununterbrochene Kette von Leiden bilden! Lernen wir doch von unserm lieben Heiland leiden. Denn es war das Leiden des Herrn in Folge des ewigen Ratschlusses Gottes das notwendige Mittel, uns zu erlösen, und ohne Leiden können wir seiner Erlösung nicht teilhaftig werden. –
aus: Georg Patiss SJ, Das Leiden unsers Herrn Jesu Christi nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin, 1883, S. 23 – S. 27