Von den Merkmalen eines guten Willens

Frohe Botschaft – Ein Büchlein vom guten Willen

Von den Merkmalen eines guten Willens

Bei ihren Kindern und Freunden, bei den Genossen ihrer Freuden und Sünden, bei denen, die zu entschuldigen sie ein Interesse hat, ist die Welt nur allzu geneigt, von gutem Willen zu reden, während Gottes allsehendes Auge nichts davon wahrnimmt. Im übrigen aber beurteilt und verurteilt sie die armen Mitmenschen nicht ohne grausame Strenge und lässt dann nicht leicht etwas als guten willen gelten, was in den Augen Gottes gewiss als guter Wille angesehen und angenommen wird. Auch da erfüllt sich wieder das Wort des Herrn: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“ (Is. 55, 8).

Die kurzsichtige, oberflächliche Welt hat für den guten Willen eines Menschen ein anderes Merkmal und einen anderen Maßstab als der allwissende Gott. Sie sieht nur das Äußere und urteilt nur nach dem Äußeren; wie das Können des Nächsten, so beurteilt sie auch den guten Willen des Mitmenschen nur nach seinen Erfolgen oder Misserfolgen, nach seinen Tugenden oder Fehlern.

Der Erfolg ist aber gar nicht ausschließlich und allein lauter guter Wille. Der Erfolg, das gute Werk, der gute Charakter geht immer hervor und strömt zusammen aus zwei Quellen: aus gutem Willen einerseits, aber andererseits auch aus günstigen Umständen, guten Anlagen, guter Umgebung, guten Einflüssen und Eindrücken, göttlichen Gnaden; man könnte auch sagen: jedes gute Werk geht hervor aus dem guten Willen des Menschen zwar, aber noch viel mehr aus dem guten Willen Gottes selbst. Ja, manchmal ist an einem guten Werk fast alles dem Willen und Wirken Gottes zuzurechnen; zu so manchem guten Werk hat es von Seiten des Menschen fast gar keinen guten Willen gebraucht, es ist sozusagen fast von selbst geschehen.

Da stehen manchmal die Menschen voll Bewunderung vor einer großen Tat oder einem heiligmäßigen Menschenleben und halten das gleichsam für lauter sichtbar gewordenen guten Menschenwillen; die Engel Gottes aber neigen sich davor als vor einem Werk der göttlichen Allmacht und Güte. Ja, die hinreißende Schönheit manches Menschenwesens und Menschenlebens wie das der größten heiligen ist wohl nur zu einem geringen Teil der Abglanz eines guten Willens, alles andere aber ist Gnade und immer wieder Gnade Gottes. Und umgekehrt gibt es wohl Menschen, die von allen anderen verachtet sind, denen niemand guten Willen zubilligen mag und in denen doch vielleicht ebenso viel guter Wille lebt wie in manchem frommen Christen. Blumen und Gräser verraten zwar die Fruchtbarkeit und Brauchbarkeit, die die Oberfläche eines Landstücks hat; ob und welche Schätze an Edelmetall und Kohle in den Tiefen ruhen, das ist dem Auge verborgen. Er ahnt, daß da in mancher Wüstenei kostbarere Schätze verborgen sind als in diesem und jenem fetten Acker? So ist auch der gute Wille seines Herzens das Geheimnis eines jeden Menschen und dies Geheimnis weiß auf der ganzen Welt nur Gott. „Er weiß die Gedanken der Menschen“ (Ps. 93, 11), „er kennt unseres Herzens Geheimnisse“ (Ps. 43, 22).

Dieser gute Wille des Menschen aber – nur zu oft wird das verwechselt – ist nicht immer auch ein starker Wille. Um ein guter Wille zu sein, muss er nicht zugleich auch ein mächtiger Wille sein. Und noch weniger kann und muss er ein allmächtiger Wille sein. Auch der gute Wille ist und bleibt ein schlichter Menschenwille. Für den Willen eines Menschen aber kann es Schranken und Grenzen geben, die ihn hemmen, Gewalten und Mächte, die ihn zwar nicht vernichten, wohl aber binden und zur Ohnmacht zwingen. Da sind manche Folgen der Erbsünde, die uralten Verwüstungen der Menschennatur, Krankheiten und Schwächen, Verstimmungen der Nerven, schwere erbliche Belastungen oder auch eigene schlechte Gewohnheiten, die zu eisernen Ketten geworden sind. Das alles kann wie ein Kerker des guten Willen sein; der Mensch kann seine Quadermauern nicht durchbrechen und der Mitmensch kann sie nicht durchschauen. Wie das Rufen eines Gefangenen und Gefesselten klingt es doch an unser Ohr, wenn ein Paulus sagt: „Ich unseliger Mensch, wer befreit mich aus dem Leib dieses Todes!“ (Röm. 7, 24). „Das Wollen liegt bei mir, das Vollbringen des Guten aber finde ich nicht. Denn nicht, was ich will, das Gute, vollbringe ich, sondern ich tue das Böse, das ich nicht will“ (ebd. 7, 18f.). „Im Geiste diene ich dem Gesetz Gottes, im Fleische aber dem Gesetz der Sünde“ (ebd. 7, 25).

Aus all dem hat die Kirche als Seelsorgerin und Erzieherin der Menschheit ihre Folgerungen gezogen. Sie hat sich nie einem ungesunden, lebensfremden Idealismus und Optimismus hingegeben. Den Glauben der alten Pelagianer, der ja noch bis zum heutigen Tag nicht ausgestorben ist, den Glauben, daß der Mensch, wenn er nur wolle, alles erreichen und selbst eine makellose Vollkommenheit sich auf dieser Erde erringen könne, diesen Glauben hat die Kirche längst als Aberglauben und Größenwahnsinn gebrandmarkt; die Kirche hat ausdrücklich erklärt, daß es seit dem Sündenfall der ersten Menschen ohne ein ganz besonderes Privileg uns armen Adamsmenschen nicht möglich sei, die Sünde vollständig zu meiden.

Wohl erhält jeder Mensch so viel Gnade, um von jeder wahren und eigentlichen Todsünde sich frei zu halten; aber er erhält für gewöhnlich nicht Gnade genug – er bräuchte dazu eine Gnade so groß, wie sie Gottes eigene Mutter erhielt – um auch alle lässlichen Sünden, all diese halb freiwilligen, halb bewussten oder sonst geringfügigeren Verletzungen des göttlichen Willens vermeiden zu können. Der hl. Hieronymus sagt geradezu, es wäre ein großes Wunder, wenn einer ganz sündelos durch diese Welt hindurch zu gehen vermöchte. Und so kann es denn wohl manchmal sein, daß es selbst dem besten Willen nicht gelang, etwas zu vermeiden, was nach außen sogar als Todsünde erscheint, in Wirklichkeit freilich wegen Mangel an Einsicht oder wegen starker Willenshemmungen nur lässliche Sünde, aber immerhin noch Sünde ist.

Ach, wie oft erfahren wir die Ohnmacht der menschlichen Kraft im eigenen Leben! Wir möchten, ja wir wollen ernstlich beten, aber unser Herz ist kalt, unser Geist zerstreut und nicht einmal ein halbwegs gutes Vaterunser will uns gelingen. Oder wir möchten aufrichtig unsere Ungeduld oder die Lieblosigkeit unserer Zunge oder die Eitelkeit unseres Herzens ablegen, aber immer wieder vergessen wir uns und es will nicht vorwärts gehen und wir fühlen es deutlich: „Heilige“ werden wir nie! Dieselbe Erfahrung menschlicher Ohnmacht und Armseligkeit macht mancher in Dingen, die noch viel ernster und trauriger sind. Er möchte wohl die Wahrheit erkennen, aber er kommt nicht hindurch durch das ungeheure Gestrüpp seiner Missverständnisse und Vorurteile und stirbt schließlich außerhalb der heiligen Stadt im Irrglauben oder Unglauben. Oder es kämpft so mancher mit wirklich heiligem Ernst gegen eine alte, eingefleischte, hässliche Gewohnheit, gegen Unreinheit oder Unmäßigkeit, aber die Gewohnheit hat seinen Willen so geschwächt, daß die Leidenschaft auch den guten Willen immer wieder von Zeit zu Zeit überwinden kann, und während er selber über sein Unglück im stillen weint, erachtet und verachtet ihn die Welt als unverbesserlich.

Ja, es kann einer selbst eines äußerlich unseligen Todes sterben, als Selbstmörder etwa, dem die Menschen im Friedhof, wenigstens im Friedhof der Erinnerung, nur einen versteckten Winkel anweisen, und doch kann auch ein solcher, der, wer weiß infolge welcher Vergewaltigungen und Umnachtungen seines Wesens zugrunde ging, noch voll guten Willens gewesen sein. So kann einer viel Schlechtes tun, das heißt vieles, was wenigstens in den Augen der Welt und sogar auch in seinen eigenen Augen als schwere Sünde gilt, und kann dabei doch zugleich ein Mensch von wahrhaft gutem Willen sein. Das allsehende Auge Gottes aber sieht und das allgütige Herz Gottes fühlt all diesen guten Willen, so gering und unscheinbar und verborgen er auch sein mag. Selig auch alle die Kinder des himmlischen Vaters, die nicht sehen, aber doch glauben! Selige, Gott verwandte Herzensgüte, zu glauben an den vielen guten Willen in der Welt, der wie Gott selber im verborgenen ist!

Doch da wird vielleicht mancher ängstlich und fragt mich vorwurfsvoll: Ist es nicht gefährlich, solche Wahrheiten so laut zu sagen, wenn anders es überhaupt Wahrheiten sind? Wird dadurch nicht alles Streben nach Tugend und Heiligkeit gelähmt? Werden dadurch nicht jene entmutigt, die sich von ihren schlechten Eigenschaften losreißen sollen und wollen, und jene beruhigt und ermutigt, die sich ihren Leidenschaften willenlos überlassen? Werden damit nicht zum Quietismus geneigte Geister bestärkt und bestätigt in dem Irrtum, daß der Mensch dem Bösen nicht lange widerstehen, sondern wie ein welkes, in den Strom gefallenes Blatt sich still und kampflos treiben lassen solle? Werden nun nicht alle Mutlosen, Kraftlosen, Weichlichen sagen: Mann kann ja doch auch guten Willens sein als Sünder?

Gewiss, auch der Sünder, oder genauer gesagt, ein Mensch, der wegen seiner Fehltritte von den Menschen und von sich selber irrtümlicher Weise für einen Sünder gehalten wird, kann trotz allem dennoch eines guten Willens sein; aber auch ein solcher und gerade ein solcher muss seinen guten Willen irgendwie auch beweisen vor sich selbst und vor seinem Herrgott. Das eigene Gewissen muss einen Beweis verlangen, damit es sich beruhigen kann und trotz allen Armseligkeiten den Mut nicht ganz verlieren muss. Und einen Beweis verlangt auch der heilige Gott, der ja nicht ein gemütlicher, schwacher Greis, sondern die ewige sittliche Weltordnung, das ewige Weltgewissen ist. Und wenn nun auch für Gott nicht der Erfolg ein Beweis und der Misserfolg ein Gegenbeweis des guten Willen ist, wenn Gott auch nicht eben jenen Beweis verlangt, den gewöhnlich die Welt zu sehen wünscht, auf irgendeinen Beweis für unseren guten Willen wartet doch auch er, der Allwissende, Allgütige und Allheilige.

Der Beweis nun, den Gott in seiner Nachsicht verlangt, heißt zwar nicht Sieg, wohl aber Kampf. Gott fordert uns auf: „Kämpfe den Kampf!“ (1. Tim. 6, 12); das will besagen: Wenn du wirklich eines guten Willens bist, dann mühe dich doch ab um die Tugend, die du angeblich haben willst, dann ringe doch mit der Sünde, die du besiegen willst! Siehe – so sagt das Neue Testament an anderer Stelle -, noch hast du „nicht widerstanden bis aufs Blut!“ (Hebr. 12, 4). Sage nicht: Es geht ja doch über meine Kraft! Nein, mag es auch vielleicht über deine Kraft gehen, zu siegen, so geht es doch sicher nicht über deine Kraft, zu kämpfen. Wenn auch nicht siegen, aber jedenfalls doch kämpfen muss der Soldat auch gegen eine Übermacht. Der brave Soldat muss wenigstens kämpfen, als ob er den Sieg erringen könnte.

Übrigens kein Mensch kann wissen, ob es ihm im geistlichen Kampf nicht doch gegeben ist, die Übermacht zu besiegen. Keinem Menschen ist es geoffenbart, was Gott ihm alles möglich machen wird, falls der Mensch guten Willen hat und behält; kein Mensch kann wissen, ob nicht Gott, der schon so oft gerade das Schwache auserwählt hat, um die Wunder seiner Gnade zu offenbaren, auch ihn trotz aller Gebrechlichkeit zu einer höheren Heiligkeit und Herrlichkeit bestimmt und begnadigt. Darum kämpfe, kämpfe um das Gute und gegen das Böse jedenfalls ganz so, als ob du den Sieg erringen werdest; kämpfe nicht mit Verzweiflung, kämpfe nicht in Zweifeln, sondern mit Zuversicht und in der Fröhlichkeit des Herzens!

Sodann aber – und das ist ein zweites Merkmal wirklich guten Willens – kämpfe mit Beharrlichkeit! Kämpfe nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen und alle Tage deines Lebens! „Sei getreu bis in den Tod!“ (Apok. 2, 10). Immer wieder muss man von vorne anfangen, immer wieder einen Anlauf nehmen, bis endlich der Siegeskranz erkämpft ist. Dies Immer-wieder-Aufstehen nach jedem Fall, hundert- und hundertmal, bis du endlich gesiegt, – siehe, gerade das ist guter Wille.

Und auch wenn wir niemals den gewünschten Erfolg hier auf Erden erringen sollten, aber wenn wir dabei trotzdem nicht ablassen von unserem heißen Bemühen, so ist das erst recht ein guter Wille. Ja, wenn jemand eines Fehlers gar nicht Meister zu werden vermag und doch nach jedem Fall sich wieder erhebt, aufs neue gute Vorsätze und ernste Anstrengungen macht, immer wieder zwar die alten Fehler begeht, aber auch immer wieder sie beichtet und zu bessern sucht, wenn einer so selbst bis ins hohe Alter einen scheinbar aussichtslosen Krieg führt und doch den Mut nicht verliert, fürwahr, das ist erst recht eine schöne und rührende Offenbarung des guten Willens, über die im Himmel vielleicht mehr Freude ist als über die Tugend von neunundneunzig scheinbaren Gerechten.

Und nun, wie steht es mit uns selber? Kämpfen wir? Ringen wir beharrlich, ringen wir ernstlich? Ist in uns wirklich guter Wille? Als die fromme Dichterin Luise Hensel einst zu Katharina Emmerich kam, da blickte ihr die Seherin prüfend ins Angesicht, umarmte sie dann herzlich und sprach: „Dein Wille ist gut!“ Möge Gott auch uns so ansehen und ansprechen können: Trotz deinen Fehlern und Sünden – dein Wille ist gut! –
aus: Abt Bonifaz Wöhrmüller OSB, Frohe Botschaft, 1929, S. 13 – S. 21

Tags: Tugenden

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