Jesus Christus der wahre Heilbringer
Auszug aus dem Schreiben
Tametsi futura
von Leo XIII. vom 1. November.1900
37 Nun aber besteht die Aufgabe der Kirche darin, das Reich des Gottessohnes auf Erden zu erhalten und zu verbreiten, sowie durch die Ausspendung der göttlichen Gnaden das Heil der Menschen zu sichern. Diese hohe Sendung ist ihr so eigentümlich, dass ihre ganze Autorität und Macht darauf beruht. Das war bis auf den heutigen Tag das Bestreben unserer ganzen Kraft bei der sorgenreichen und mühevollen Ausübung Unseres obersten Hirtenamtes.
Heillosigkeit eines Lebens ohne Christus
38 Unsere Sorge wendet sich nicht so sehr jenen zu, die der christlichen Lehre stets ein bereitwilliges Ohr leihen, als vielmehr all jenen weit bedauernswerteren Menschen, die sich zwar Christen nennen, aber ein Leben ohne Glauben und ohne Liebe zu Jesus Christus führen. Sie sind der besondere Gegenstand unseres Mitleides; diese vor allem möchten Wir aufmerksam machen auf ihr unwürdiges Verhalten und auf dessen Folgen, falls sie sich nicht eines besseren besinnen.
Jesus Christus überhaupt nie und in keiner Weise kennenlernen, das ist wohl das größte Unglück; immerhin kann das ohne bösen Willen und ohne Undankbarkeit geschehen. Ihn hingegen kennenlernen und dann verleugnen und vergessen, ist gewiss ein so schändliches und so unvernünftiges Vergehen, dass man es unter Menschen nicht für möglich halten sollte. Denn Christus ist Urgrund und Urquell aller Güter; die Menschheit, die nicht ohne seine Gnade erlöst werden konnte, wird auch nicht fortbestehen ohne seine machtvolle Hilfe. In keinem anderen ist Heil, denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden sollen (Apg. 4, 12). Was ist ein Leben ohne Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit (1. Kor. 1, 24), wie steht es da um die Sittlichkeit und wo endet schließlich das Ganze? Ist das Schicksal der Völker, die des christlichen Glaubenslichtes entbehrten, nicht ein anschauliches Beispiel dafür? Es genügt, die zwar zurückhaltende Beschreibung wieder zu lesen, die uns der heilige Paulus (Vgl. Röm. 1) gibt von der Verblendung ihres Geistes, von der Verkommenheit ihrer Natur, von ihrem Aberglauben und ihren Leidenschaften, um zugleich von Mitleid und Abscheu ergriffen zu werden.
Christus: Versöhner der Menschheit mit Gott
39 Was Wir hier sagen, ist allgemein bekannt, wird aber zu wenig beachtet und kaum überdacht. Der Hochmut würde nämlich nicht so viele Menschen in die Irre führen, noch würde die Gleichgültigkeit unzählige zur Lauheit verleiten, wenn das Andenken an Gottes Wohltaten überall lebendig wäre, wenn man öfter bedenken würde, aus welcher abgründigen Tiefe Christus die Menschheit gerettet und zu welcher Höhe er sie empor geführt hat. Enterbt und verirrt ging die Menschheit von Jahrhundert zu Jahrhundert immer mehr dem Untergang entgegen; infolge der Sünde der Stammeltern war sie belastet mit schrecklichen Übeln, gegen die bloße Menschenkraft nichts vermochte, bis Christus der Herr als Retter vom Himmel herniederstieg und auf Erden erschien. Ihn hatte Gott selber am Weltenmorgen als den künftigen Besieger und Überwinder der Schlange verheißen. In ungeduldiger Erwartung seiner Ankunft hielt deshalb Generation nach Generation sehnsuchtsvolle Ausschau nach ihm. Auf ihm beruhte alle Hoffnung; so hatten es lange und deutlich die Propheten verkündet. Auch die Geschichte des auserwählten Volkes, seine wechselvollen Schicksale, seine Einrichtungen, Gesetze, Zeremonien und Opfer wiesen mit Bestimmtheit auf ihn hin und deuteten mit lichtvoller Klarheit an, dass das volle und wahre Glück der Menschheit nur von dem ausgehen werde, der Hoherpriester und Opferlamm zugleich sein sollte, Wiederbringer der menschlichen Freiheit, Fürst des Friedens, Lehrmeister aller Völker und Begründer des ewigen Reiches. Alle diese verschiedenen Titel, Bilder und prophetischen Ausdrücke bezeichnen übereinstimmend einzig und allein Jenen, der aus übergroßer Liebe zu uns sich für unser Heil opfern sollte. Als dann die im göttlichen Ratschluss festgesetzte Zeit gekommen war, leistete der menschgewordene Gottessohn, indem er sein Blut vergoss, seinem beleidigten Vater vollkommene und überreiche Genugtuung und machte sich um diesen Lösepreis die Menschheit zu eigen. „Ihr wisst ja, dass ihr nicht mit vergänglichen Werten, mit Gold oder Silber, losgekauft seid …, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel (1. Petr. 1, 18-19).
Christus: Wiederhersteller der Menschenwürde
40 So unterwarf er sich die Menschheit, die seiner Herrschaft und seiner Macht schon unterstand, weil er ihr Schöpfer und Erhalter war, ein zweites Mal, indem er sie buchstäblich und tatsächlich loskaufte. Ihr gehört euch nicht selber an, denn ihr seid um einen teuren Preis erkauft worden (1. Kor. 4, 19-20). Somit ist alles von Gott in Christus erneuert worden. Dies, das Geheimnis seines Willens: … nämlich nach dem Ratschluss seines Wohlbefindens in der Fülle der Zeiten alles im Himmel und auf Erden in Christus als dem Haupte zu erneuern (Eph. 1, 9-10). Nachdem Jesus den Schuldbrief, der gegen uns zeugte, ans Kreuz geheftet und vernichtet hatte, da war der Zorn Gottes sogleich besänftigt: die zu Tode getroffene und ziellos irrende Menschheit war von den Banden der alten Knechtschaft befreit und mit Gott versöhnt, die Gnade war wiedererlangt, der Zugang zum Himmel erschlossen samt dem Anrecht darauf und den Mitteln dazu.
41 Wie aus einem langen Todesschlaf erwacht, schaute der Mensch das Licht der Wahrheit wieder, das er jahrhundertelang ersehnt und vergeblich gesucht hatte. Vor allem erkannte er, dass er für Güter geschaffen ist, die viel höher und erhabener sind als die sinnlich wahrnehmbaren, vergänglichen und hinfälligen, denen er vordem sein ganzes Sinnen und Trachten zugewandt hatte. Es wurde ihm klar, dass Gott sein Ursprung und sein Ziel ist; darin erkannte er den Sinn seines Daseins, das Hauptgesetz seines Lebens, das höchste Ziel, auf das alles hinzuordnen ist: die Rückkehr zu seinem Gott und Schöpfer.
Auf dieser Grundlage erwachte im Menschen das Bewusstsein seiner Würde; das Gefühl brüderlicher Zusammengehörigkeit ließ die Herzen höher schlagen; Pflichten und Rechte erreichten infolgedessen einen hohen Grad der Vollkommenheit oder wurden gar von Grund auf neu gestaltet, und allenthalben gelangten Tugenden zur Entfaltung, wie sie kein Philosoph des Altertums auch nur hätte ahnen können. So war der Denkweise, der Lebensführung und den Sitten eine völlig neue Richtung gewiesen. Je mehr sich die Kenntnis des Erlösers verbreitete und seine Gnadenkraft die geheimsten Adern der menschlichen Gesellschaft durchpulste, umso mehr wurden die frühere Unwissenheit und die antiken Laster ausgerottet. Da trat eine solche Wendung zum Besseren ein, dass das Antlitz der Erde durch die christliche Zivilisation vollständig umgestaltet wurde.
Christus ist der wahre Heilbringer – Er ist der Weg
43 So beruht denn nach Gottes ewigem Ratschluss das Heil jedes einzelnen wie das der Gesamtheit auf Jesus Christus. Wer sich von ihm abkehrt, stürzt sich in wahnsinniger Blindheit selber ins Verderben und wird mit schuld daran, dass die Menschheit, von rasendem Taumel fortgerissen, jenem Abgrund von Elend und Leid wieder zutreibt, woraus sie der Erlöser barmherzig gerettet hat.
Denn wer sich auf abschüssige Bahnen begibt, wird sich auf Irrwegen immer weiter vom ersehnten Ziele entfernen. So ergeht es auch jenen, die sich dem reinen und klaren Lichte der Wahrheit verschließen: ihr Geist tappt im Dunkeln und verstrickt sich im Dickicht trügerischer Meinungen. Welche Hoffnung auf Rettung bleibt denn jenen, die den Urgrund und den Quell des Lebens verlassen? Weg, Wahrheit und Leben ist aber Christus allein. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh. 14, 6). Hat man sich folglich von Christus losgesagt, so hat man die drei Grundbedingungen des Heiles preisgegeben.
44 Es ist wohl kaum vonnöten, eine Tatsache noch besonders zu betonen, die durch die Erfahrung erhärtet ist und deren Wahrheit jedermann an sich selber zutiefst erlebt: außer Gott gibt es nichts, worin das Menschenherz ungetrübten Frieden finden könnte. Gott ist das höchste und einzige Ziel des Menschen. Auf jeder Stufe dieses irdischen Daseins gleicht sein Leben einer Wanderschaft. Christus ist für uns ohne jeden Zweifel «der Weg», weil wir nur unter seiner Führung und Leitung auf der überaus beschwerlichen und gefahrvollen Lebensreise zu Gott gelangen können, unserem höchsten und vollkommensten Gut. Niemand kommt zum Vater außer durch mich (Joh. 14)
Das christliche Sittengesetz: Nährboden des Glücks
Wie daher Jesus Christus der Urheber, Urgrund und Erhalter des Glaubens ist, so ist er es auch, der in uns das sittliche Leben erhält und stützt, und zwar vornehmlich durch Vermittlung seiner Kirche. Ihr hat er gemäß dem huldvollen Ratschluss seiner Vorsehung die Verwaltung der Gnadenmittel anvertraut, die uns das übernatürliche Leben schenken, es erhalten und neu erwecken, falls es erlischt.
Trennt man also das Sittengesetz vom Gottesglauben ab, so erlahmt jene Kraft, welche die „heilsnotwendigen“ Tugenden erzeugt und nährt. Wer den Menschen einzig und allein mittels der Vernunftlehren zu einem rechtschaffenen Lebenswandel führen will, der beraubt ihn fürwahr seiner höchsten Würde, stürzt ihn vom Höhenweg des übernatürlichen Lebens hinab und schleudert ihn zu seinem Verderben in ein rein natürliches Leben zurück.
Auswirkungen eines Sittengesetzes ohne Christus
56 Es stimmt zwar, dass der Mensch mit seiner Vernunft manche Forderungen des Naturgesetzes erkennen und erfüllen kann. Aber selbst wenn er sie alle erkännte und ohne jede Übertretung sein ganzes Leben hindurch beobachtete – was unmöglich ist ohne die Gnadenhilfe des Erlösers -, so würde er dennoch umsonst auf die ewige Seligkeit hoffen, wenn er keinen Glauben hat. „Wer nicht in mir bleibt, wird wie ein Rebzweig weggeworfen und verdorrt, man sammelt ihn, wirft ihn ins Feuer, und er verbrennt“ (Joh. 15, 6). „Wer nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk. 16, 16).
Schließlich beweisen nur allzu viele Erfahrungstatsachen, was jene Rechtschaffenheit wert ist, die den Glauben an Gott verschmäht, und welche Früchte sie zeitigt! Woran liegt es denn, dass trotz aller Bemühungen um die Sicherung und Steigerung des öffentlichen Wohlstandes die Staaten dennoch in ihrem innersten Lebensmark getroffen sind und mit ernsten Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die sich tagtäglich vermehren? Man behauptet allerdings, das staatliche Gemeinwesen könne sich aus eigener Kraft selber genügen, es könne ohne die Stütze des Christentums gedeihen und vermöge durch eigene Anstrengung sein Ziel zu erreichen. Daher fordert man die Ausschaltung der Religion aus der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten; das hat zur Folge, dass in Gesetzgebung und Politik der Völker die Spuren der altererbten Religion von Tag zu Tag seltener werden. Indessen gibt man sich keine Rechenschaft über die Tragweite eines solchen Verhaltens. Sobald nämlich das Sittengesetz nicht mehr durch den Glauben an Gott gestützt ist, bricht die Autorität der Gesetze zusammen, und die Gerechtigkeit gerät in Verfall. Das sind aber die beiden stärksten und unentbehrlichsten Stützen des Staatswesens. Und sobald einmal der Mensch um die Hoffnung und Aussicht auf unvergängliche Güter geprellt ist, stürzt er sich habgierig auf zeitlichen Besitz, wovon ein jeder an sich zu raffen versucht, soviel er kann. Daraus entstehen Missgunst, Eifersucht und Hass; sodann heimtückische Machenschaften, revolutionäre Wühlereien und die wahnsinnige Planung des allgemeinen Umsturzes. Kein Friede nach außen, keine Ruhe im Innern: der Staat wird zum Tummelfeld aller Verbrechen.
Wiederverchristlichung aller Lebensbereiche
Es ist also eine dringende Forderung des privaten wie des allgemeinen Wohlergehens, dass man dorthin zurückkehre, von wo man sich nie hätte entfernen sollen, zu Dem nämlich, der für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Die Menschheit muss Christus dem Herrn wieder seinen rechtmäßigen Platz anweisen. Alles muss ins Werk gesetzt werden, dass sein Lebensstrom sämtliche Glieder und Bereiche des Staates durchflute, die Gesetzgebung, die Wohlfahrts-Einrichtungen, die Unterrichts-Anstalten, das Ehe- und Familienrecht, die Paläste der Reichen und die Werkstätten der Arbeiter. Man vergesse ja nicht, dass der fieberhaft ersehnte Fortschritt der Zivilisation unter den Völkern vor allem auf dieser Rückkehr zu Christus beruht. Zu ihrer Erhaltung und Entwicklung bedarf sie nämlich weniger der materiellen Güter und Bequemlichkeiten als der geistigen und sittlichen Werte, sowie eines tugendhaften Lebenswandels. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 37 – S. 54
Das gesamte Rundschreiben „Tametsi futura“ v. 1. 11.1900: Der Erlöser