Leben und Wesensart des hl Franz von Sales
Auszug aus: Pius XI.: Rundschreiben „Rerum omnium“
Rundschreiben zum 300. Todestag des heiligen Franz von Sales
Im Abwehrkampf gegen die Reformation
1987 Bald jährt sich zum dreihundertsten Mal der Todestag eines großen Heiligen, der sich in zweifacher Hinsicht ausgezeichnet hat: Er war selbst ein vollendetes Tugendbeispiel und hat zudem eine methodische Lehre des geistlichen Lebens hinterlassen. Wir meinen Franz von Sales, Bischof von Genf und Kirchenlehrer. Wie die eben erwähnten Leuchten christlicher Vollkommenheit und Weisheit hat Gott auch ihn offensichtlich dazu bestimmt, der Irrlehre der Reformatoren entgegenzutreten, die den Anstoß gegeben hat zum Abfall der menschlichen Gemeinschaft von der Kirche, dessen traurige und schlimme Folgen heute noch jeder Gutgesinnte mit Recht bedauert.
Vorbild und Lehrer der Heiligkeit von Franz von Sales
1988 Überdies scheint Franz von Sales auf besonderen Ratschluß Gottes hin innerhalb der Kirche noch eine andere Sendung erfüllt zu haben. Durch seine persönliche Lebensführung und seine beredte Gelehrsamkeit hat er sich gegen ein Vorurteil erhoben, das schon zu seiner Zeit herrschte und auch heute noch nicht überwunden ist: die Heiligkeit im eigentlichen Sinne des Wortes, wie sie die Kirche lehrt, sei entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nur so schwer zu verwirklichen, dass sie für den Großteil der Gläubigen keineswegs in Frage komme, sondern einer kleinen Minderheit hochgemuter und heroischer Seelen vorbehalten bleibe. Außerdem bringe ein heiligmäßiges Leben so viel Ungemach und Widerwärtigkeiten mit sich, dass es auf keinen Fall für die Laien in der Welt bestimmt sei.
Seine Haupttugenden:
Sanftmut und Herzensgüte
1990 Obwohl er nämlich alle Tugenden in hohem Grade besaß, zeichnete er sich dennoch aus durch edle Herzensgüte, die man zutreffend als sein besonderes und charakteristisches Merkmal bezeichnen kann. Seine gütige Milde hatte jedoch nichts gemein mit jener gezierten Liebenswürdigkeit, die sich in ausgesuchten Umgangsformen gefällt und mit affektierter Höflichkeit zur Schau stellt. Anderseits war seine Art gleich weit entfernt von steifer Teilnahmslosigkeit, die sich durch nichts erschüttern lässt, wie von gedrückter Schüchternheit, die selbst dann nicht aufzubegehren wagt, wenn es wirklich nottut. Diese Haupttugend des heiligen Franz von Sales, gleich einer zarten Blüte der Liebe aus der Tiefe seines Herzens hervorsprießend, äußerte sich vor allem in einer innigen Anteilnahme und nachsichtigen Güte, die den Ernst seiner Züge milderte und seiner ganzen äußeren Erscheinung sowie seiner Stimme einen solch bezaubernden Reiz verlieh, dass jedermann ihm Verehrung und Liebe entgegenbrachte.
1991 Die Biographen berichten von unserem Heiligen, er habe stets jedermann ohne Umstände zugelassen und liebevoll empfangen, insbesondere die Sünder und Abtrünnigen, die seine Wohnung belagerten, um von ihm Lossprechung und heilsamen Zuspruch zu erlangen. Die Gefangenenseelsorge war ihm eine besondere Freude; er besuchte die Sträflinge häufig und tröstete sie mit den tausend Gefälligkeiten seiner Liebe. Ebenso nachsichtig war er im Umgang mit seiner Dienerschaft, deren Nachlässigkeit und Anmaßung er mit in vorbildlicher Geduld ertrug.
1992 Wie seine Herzensgüte allen ohne Unterschied galt, so versagte sie auch keinen Augenblick weder in guten noch in bösen Zeiten. Mochten ihn daher die Andersgläubigen auch noch so sehr quälen, stets bezeigte er ihnen die gleiche Höflichkeit und freundliche Zuvorkommenheit.
Apostolischer Seeleneifer
1993 Ein Jahr nach seiner Priesterweihe stellt er sich ohne die Zustimmung und gegen den Willen seines Vaters dem Bischof Granerius von Genf aus freien Stücken zur Verfügung, um die Bevölkerung des Chablais zur Kirche zurückzuführen. Sehr gerne vertraut ihm der Bischof diese ausgedehnte und schwierige Provinz an, und der Neupriester geht mit solchen Eifer an die Arbeit, dass er vor keinen Strapazen zurückschreckt und selbst die Todesgefahr nicht scheut. Bei diesem Heilswerk an vielen Tausenden von Seelen kamen ihm jedoch sein umfassendes Wissen und seine überzeugende Beredsamkeit weit weniger zustatten, als seine wohlwollende Gutherzigkeit, die ihn inmitten aller Lasten der Seelsorge niemals im Stiche ließ.
1994 Immer wieder kam ihm der denkwürdige Ausspruch auf die Lippen: „Apostel kämpfen nur durch Leiden und triumphieren nur durch den Tod.“ Es ist kaum vorstellbar, wie unverdrossen und wie standhaft er inmitten seiner Schutzbefohlenen des Chablais sich für Christus einsetzte. Um ihnen das Glaubenslicht und die Tröstungen der christlichen Hoffnung zu bringen, wandert er durch steile Täler und klettert durch enge Schluchten; die Flüchtigen verfolgt er mit lautem Rufen; wird er unsanft abgewiesen, so lässt er sich nicht abschrecken; verfolgt man ihn mit Drohungen, so geht er von neuem ans Werk; zu wiederholten Malen aus den Gasthöfen verjagt, übernachtet er bei Frost und Schnee unter freiem Himmel; er feiert die heilige Messe, auch wenn kein Mensch da ist; er predigt, selbst wenn alle davonlaufen. Und trotz allem bewahrt er stets seine ungetrübte Seelenruhe, seine herzliche Liebe zu den undankbaren Menschen, die schließlich auch den Widerstand seiner hartnäckigsten Gegner bricht.
Selbstbeherrschung und Starkmut
1995 Es wäre aber ein großer Irrtum zu glauben, Franz von Sales sei eben von Natur aus so veranlagt und einer jener bevorzugten Menschen gewesen, denen Gottes Gnade mit den Segnungen der Güte (Ps. 20,4) zuvorgekommen ist. Er hatte im Gegenteil auf Grund seines Temperamentes einen schroffen und jähzornigen Charakter. Er nahm sich aber Christus zum Vorbild, der gesagt hatte: Lernet von mir, denn ich bin sanft und demütig von Herzen (Matth. 11,29). Darum überwachte er fortwährend seine inneren Regungen und, indem er sich Gewalt antat, zügelte und meisterte er sie dermaßen, dass er wie selten jemand mit seinem ganzen Wesen an den Gott des Friedens und der Sanftmut gemahnte.
Einen glänzenden Beweis dafür liefert uns folgende Tatsache: Als die Ärzte nach seinem Tod den Leichnam einbalsamierten, fanden sie die Leber fast vollständig verhärtet und in winzige Steinchen zerbröckelt. Dieser Befund enthüllte ihnen, wie viel Gewalt und wie viel Selbstüberwindung es ihn gekostet haben musste, um fünfzig Jahre lang seine angeborene Reizbarkeit niederzuhalten.
Starkmut, genährt aus unerschütterlichem Glaubensgeist und glühender Gottesliebe, war also der Quellgrund jener vielgerühmten Milde des heiligen Franz von Sales, so dass das Schriftwort buchstäblich auf ihn zutrifft: Vom Starken ist holde Güte ausgegangen (Richter 14,14). Und dank dieser „Sanftmut des Seelenhirten“, die ihn auszeichnete und die nach Johannes Chrysostomus „die mächtigste aller Gewalten ist“ (Johannes Chrysostomus, Hom. LVIII in Gen. 5. PG 57,512), musste ihm unfehlbar auch jene Anziehungskraft zur Gewinnung der Herzen eigen sein, die Christus den Sanftmütigen verheißen hat: Selig die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde beherrschen (Matth. 5,4).
Unerschrockene Standhaftigkeit
1996 Die Charakterstärke dieses Mannes, den man als Vorbild der Gutherzigkeit pries, offenbarte sich übrigens eindeutig, sooft er jeweils mit den Machthabern einen Kampf auszutragen hatte für die Ehre Gottes, das Ansehen der Kirche oder das Heil der Seelen. Das war z.B. der Fall, als es galt, die kirchlichen Rechtsbefugnisse gegen die Regierung von Chambery zu verteidigen. Diese Behörde hatte ihm durch einen Drohbrief zu verstehen gegeben, sie werde ihm einen Teil seiner Einkünfte entziehen. Da gab er dem Überbringer der Botschaft eine Antwort, die seiner Würde durchaus angemessen war, und erhob solange Einspruch gegen diese Ungerechtigkeit, bis ihm die Regierung volle Genugtuung leistete. Mit derselben Standhaftigkeit ertrug er den Zorn des Fürsten, bei dem er samt seinen Brüdern verleumdet worden war, und widersetzte er sich energisch den Ansprüchen des Adels auf die Besetzung kirchlicher Amtsstellen. Desgleichen schritt er, als alle Vermittlungsversuche gescheitert waren, streng gegen die Widerspenstigen ein, die dem Domkapitel von Genf die Abgaben verweigert hatten.
So pflegte er mit evangelischem Freimut gegen öffentliche Laster aufzutreten, aber auch Scheintugend und falsche Frömmigkeit zu entlarven. Ehrerbietig wie nur irgend jemand der Oberhoheit der Fürsten gegenüber, ließ er sich doch niemals dazu bestimmen, ihren Leidenschaften zu schmeicheln oder ihrer zügellosen Willkür sich zu beugen. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 1215 – S. 1220