Papst Pius XII. über die liturgische Bewegung
Rundschreiben Papst Pius XII. vom 20. November 1947
Mediator Dei et hominum
Rundschreiben über die heilige Liturgie, AAS XXXIX (1947) 521-595
Auszug
2. Die liturgische Bewegung
a) Die sakralen Künste
361 Wir ermahnen euch ferner dringend, ehrwürdige Brüder, nach Ausmerzung der Irrtümer und Fälschungen sowie nach Zurückweisung alles dessen, was von der Wahrheit und der rechten Ordnung abweicht, jene Bestrebungen zu fördern, die dem Volk eine tiefere Erfassung der heiligen Liturgie ermöglichen, damit es besser und leichter an den göttlichen Handlungen teilzunehmen vermag in jener Gesinnung, die sich für Christen ziemt.
Vor allem muss darauf geachtet werden, daß alle mit gebührender Ehrfurcht und geziemendem Glaubensgeist den Anordnungen nachkommen, die das Trienter Konzil, die Römischen Päpste, die Ritenkongregation erlassen und die liturgischen Bücher über den äußeren Vollzug des öffentlichen Kultes festgelegt haben.
Drei Dinge vor allem, von denen Unser Vorgänger Pius X. spricht, müssen den ganzen liturgischen Bereich würdig gestalten und auszeichnen: weihevoller Charakter, der profanen Neuerungen abhold ist; edle Bilder und Kunstformen, geschaffen von wahren und sachverständigen Künstlern; schließlich das Merkmal der Allgemeinheit, das unter Wahrung der in einzelnen Gegenden geltenden Sitten und Bräuche die Einheit der katholischen Kirche bekunden soll (Vgl. Pius X., Motu proprio Tra le sollecitudini vom 222. November 1903. ASS XXXVI (1903) 329-332)
α) Schönheit des Gotteshauses
362 Wir möchten auch die würdige Ausstattung der Gotteshäuser und Altäre erneut empfehlen. Jeder fühle sich gedrängt von der inspirierten Devise: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich (Ps. 68, 10; Joh. 2, 17), und strebe nach Kräften danach, daß die Gotteshäuser, die liturgischen Gewänder und Geräte, mögen sie auch nicht durch Reichtum und Pracht ins Auge fallen, doch reinlich und geschmackvoll seien; alles ist ja der göttlichen Majestät geweiht. Wenn Wir oben die falsche Auffassung jener zurückgewiesen haben, die unter dem Vorwand einer Rückkehr zum Altertum die Heiligenbilder aus den Gotteshäusern verbannen wollen, so halten Wir es jetzt für Unsere Amtspflicht, die schlecht beratene Frömmigkeit jener zu tadeln, die in den Gotteshäusern, ja sogar auf den Altären ohne ersichtlichen Grund eine bunte Vielfalt von Statuen und Bildern zur Verehrung anbringen, von der rechtmäßigen Autorität nicht anerkannte Reliquien ausstellen, belanglose Sonderanliegen in den Vordergrund rücken, während sie Hauptsächliches und Notwendiges vernachlässigen und somit die Religion der Lächerlichkeit preisgeben und die Würde des Gottesdienstes beeinträchtigen.
Wir rufen auch das Dekret „über das Verbot der Einführung neuer Kult- und Andachtsformen“ (Kongregation des Hl. Offiziums, Dekret vom 26. Mai 1937. AAS XXIX (1937) 304-305) in Erinnerung, dessen gewissenhafte Beobachtung Wir eurer wachsamen Sorge empfehlen.
β) Choral, moderne Musik und Volksgesang
363 Hinsichtlich der Musik sollen die vom Apostolischen Stuhl erlassenen, eindeutig klaren Richtlinien bei den liturgischen Funktionen genau eingehalten werden. Der Gregorianische Gesang, den die Römische Kirche als ihr von den Vorfahren überkommenes, durch die Jahrhunderte behütetes Eigengut betrachtet, das sie auch den Gläubigen als solches darbietet und für bestimmte Teile der Liturgie ausdrücklich vorschreibt (Vgl. Pius X., Motu proprio Tra le sollecitudini), verleiht der heiligen Mysterienfeier nicht nur Schönheit und Würde, sondern trägt auch in höchstem Maße zur Vertiefung von Glaube und Frömmigkeit der Teilnehmer bei. Deshalb haben Unsere Vorgänger Pius X. und Pius XI. unsterblichen Andenkens verordnet – und Wir bestätigen dies kraft Unserer Autorität nachdrücklich -, daß der Gregorianische Gesang in den Priester-Seminarien und Ordensanstalten mit Eifer und Sorgfalt zu pflegen sei, und daß wenigstens an den hauptsächlichsten Kirchen die alten Sängerschulen wieder eingeführt werden, was bereits an mehreren Orten mit Erfolg geschehen ist (Vgl. Pius X., 1. c.; Pius XI., Konstit. Divini cultus, vom 20. Dezember 1928, II und V. AAS XXI (1929) 27 und 38).
364 Außerdem „soll zur aktiveren Teilnahme der Gläubigen am Gottesdienst der Gregorianische Choral, soweit er Sache des Volkes ist, auch wieder in den Gebrauch des Volkes kommen. Es ist in der Tat dringend nötig, daß die Gläubigen nicht wie fremde und stumme Zuschauer, sondern als zuinnerst von der Schönheit der heiligen Liturgie Ergriffene den heiligen Zeremonien folgen … und gemäß den festgesetzten Normen ihre Stimmen mit denen des Priesters und des Chores im Wechselgesang erheben. Glückt dies, so wird es nicht mehr vorkommen, daß das Volk entweder gar nicht oder nur mit schwachem, unterdrücktem Gemurmel bei den in lateinischer oder in der Muttersprache verrichteten Gemeinschafts-Gebeten antwortet“ (Pius XI., Konstit. Divini cultus vom 20. Dezember 1928, IX. AAS XXI (1929) 39-40). Eine Gemeinde, die mit wahrer Andacht dem Opfer der Altäre beiwohnt, wo unser Heiland im Verein mit seinen durch das heilige Blut erkauften Kindern den Hochgesang seiner unermeßlichen Liebe singt, kann zweifellos nicht stumm bleiben, ist doch „das Lied der Liebe Gesetz“ (Augustinus, Sermo CCCXXXVI, n. 1. PL 38, 1472), und schon ein altes Sprichwort sagt: „Wer gut singt, betet doppelt“. So vereint die streitende Kirche, Volk und Klerus nämlich, ihre Stimme mit den Gesängen der triumphierenden Kirche und den Chören der Engel, und alle erheben gemeinsam einen herrlichen und ewigen Lobgesang auf die Allerheiligste Dreifaltigkeit, gemäß der Bitte: „Mit ihnen lass, so flehen wir, auch uns einstimmen“ (Römisches Missale, Präfation).
365 Man darf aber nicht meinen, daß moderne Musik und moderner Gesang vom katholischen Gottesdienst gänzlich auszuschalten seien. Im Gegenteil! Finden sich darin keine Anklänge an Profanes, enthalten sie nichts, was der Heiligkeit des Gotteshauses und der liturgischen Handlung unwürdig wäre, und entspringen sie nicht eitlem Haschen nach gesuchten und ungewohnten Effekten, so müssen ihnen unsere Kirchen ohne weiteres Zutritt gewähren; denn nicht gering vermag alsdann ihr Beitrag zu sein zur Verschönerung der heiligen Zeremonien, zur Erhebung des Geistes in höhere Regionen und gleichzeitig zur Erweckung wahrer Andacht des Herzens.
366 Wir ermahnen euch auch, ehrwürdige Brüder, in eurer Hirtensorge den religiösen Volksgesang zu fördern. Mit Liebe und geziemender Würde gepflegt, vermag er nämlich den Glauben und die Andacht des christlichen Volkes sehr zu stärken und zu entflammen. Geschlossen und machtvoll dringe das Lied unseres Volkes zum Himmel empor wie das Rauschen von Meereswogen (Vgl. Ambrosius, Hexamero, III, 5, 23. PL 14, 165), lege mit laut klingender Stimme Zeugnis ab von dem einen Herzen und der einen Seele (Vgl. Apg. 4, 32), wie es Brüdern und Kindern desselben Vaters ziemt.
γ) Architektur, Bildhauerei und Malerei
367 Was Wir von der Musik gesagt haben, kann fast wörtlich auf die übrigen schönen Künste angewandt werden, besonders auf die Architektur, die Bildhauerei und die Malerei. Die modernen Bilder und Kunstformen, die dem Werkstoff, aus dem sie hergestellt werden, besser angepaßt sind, dürfen nicht in Bausch und Bogen und aus vorgefaßter Meinung verachtet und verworfen werden. Vermeiden sie vielmehr in weisem Ausgleich sowohl eine bloße Nachahmung der Natur als auch einen übertriebenen „Symbolismus“ und tragen sie mehr den Bedürfnissen der christlichen Gemeinde als der besonderen Auffassung und persönlichen Einstellung der Künstler Rechnung, dann muss dieser modernen Kunst unbedingt der Weg offen stehen zu gebührend ehrfürchtigem Dienst am Gotteshaus und bei den heiligen Handlungen. So wird auch sie einstimmen können in den wundervollen Chor, den die größten Geister bereits durch Jahrhunderte zum Ruhme des katholischen Glaubens gesungen haben. Wir müssen jedoch im Bewusstsein Unserer Pflicht unbedingt die jüngst da und dort geförderten Bilder und Darstellungen missbilligen und zurückweisen, die eine Entartung und Entstellung gesunder Kunst zu sein scheinen, manchmal in offenem Widerspruch stehen zur christlichen Würde, Zurückhaltung und Frömmigkeit und den echt religiösen Sinn tief verletzen. Derartiges ist von unseren Gotteshäusern durchaus fernzuhalten und daraus zu verbannen, wie „überhaupt alles, was der Heiligkeit des Ortes abträglich ist“ (Cod. Iur. Can., c. 1178).
368 Gestützt auf die päpstlichen Richtlinien und Bestimmungen, bestrebt euch eifrig, ehrwürdige Brüder, Geist und Herz der Künstler zu erleuchten und zu leiten, denen heute die Aufgabe zufällt, so viele durch den Krieg beschädigte und vollends zerstörte Kirchen wiederherzustellen bzw. neu aufzubauen. Könnten und möchten sie doch aus den göttlichen Quellen der Religion die Motive schöpfen, die den Anliegen des Kultes angemessener und würdiger sind. Dann werden in der Tat die menschlichen Künste, die gleichsam ein Geschenk des Himmels sind, beglückend in reinem Licht erstrahlen, die Kultur in höchstem Maße fördern und zur Ehre Gottes wie zum Heil der Seelen ihren Beitrag leisten. Denn die schönen Künste stehen erst dann im Einklang mit der Religion, wenn sie „wie vornehme Mägde in den Dienst des göttlichen Kultes treten“ (Pius XI., Konstit. Divini cultus vom 20. Dezember 1928. AAS XXI (1929) 35).
b) Liturgische Volksbildung
369 Doch, ein anderes, noch wichtigeres Anliegen, möchten Wir, ehrwürdige Brüder, eurer Sorge und eurem apostolischen Eifer empfehlen. Was zum äußeren Kult der Religion gehört, hat gewiss seine Bedeutung; noch viel wichtiger ist es aber, daß die Christen das Leben der Liturgie mitvollziehen und ihren übernatürlichen Geist hegen und pflegen.
Sorgt daher mit Eifer dafür, daß der heranwachsende Klerus neben der Ausbildung in den aszetischen, theologischen, juridischen und pastoralen Disziplinen in angemessener Weise zu richtigem Verständnis der heiligen Zeremonien angeleitet werde, damit er ihre erhabene Schönheit erfasse und die Vorschriften der Rubriken gründlich erlerne. Dies nicht bloß bildungshalber, nicht allein, damit der Jünger des Heiligtums später die gottesdienstlichen Funktionen ordnungsgemäß, schön und würdig zu vollziehen befähigt sei, sondern vor allem damit er in innigster Vereinigung mit dem Hohenpriester Christus erzogen werde und ein heiliger Diener des Heiligen sei.
370 Arbeitet auch, durch Mittel und Wege, die eurer Klugheit zum Besten der Sache als besonders geeignet erscheinen, mit allem Nachdruck darauf hin, daß Klerus und Volk ein Herz und eine Seele seien. Das christliche Volk nehme derart lebendigen Anteil an der Liturgie, daß diese wirklich zu einer heiligen Handlung werde, bei der vor allem der Seelsorge-Priester in der Pfarrei, vereint mit der Schar der ihm anvertrauten Gläubigen, dem ewigen Gott die gebührende Huldigung darbringt.
371 Zur besseren Verwirklichung dieser Aufgabe wird es nicht wenig beitragen, wenn man brave und gut geschulte Knaben aus allen Gesellschaftsklassen auswählt, die gern und freudig, mit Ordnung, Fleiß und Eifer den Dienst am Altar versehen. Dieses Amt sollen auch Eltern höheren Standes und höherer Bildung hochschätzen. Werden diese Knaben entsprechend herangebildet und unter der wachsamen Aufsicht der Priester zu ehrfürchtiger und regelmäßiger Erfüllung des ihnen zu bestimmten Stunden anvertrauten Amtes angespornt, so können aus ihren Reihen leicht neue Priesterberufe hervorgehen. Auch wird sich dann der Klerus – wie es bisweilen selbst in katholischen Gegenden der Fall ist – nicht bitter beklagen müssen, daß sich niemand finde, der bei der Feier des heiligen Opfers antworte und diene.
372 Seid vor allem mit größtem Eifer dafür besorgt, daß alle Gläubigen dem eucharistischen Opfer beiwohnen. Ermahnt sie unermüdlich, in jeder zulässigen Weise, wovon oben die Rede war, andächtig daran teilzunehmen, damit sie daraus um so reichere Früchte des Heiles ziehen. Das hochheilige Opfer der Altäre ist der hauptsächlichste Akt der Gottesverehrung. Es muss daher auch Quellborn und gleichsam Mittelpunkt der christlichen Frömmigkeit sein. Glaubt niemals, eurem apostolischen Eifer Genüge getan zu haben, ehe ihr nicht eure Gläubigen in möglichst großer Zahl dem himmlischen Gastmahl zugeführt habt, das da ist „das Sakrament der Frömmigkeit, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe“ (Augustinus, Tract. XXVI in Joan., 13. PL 35, 1613).
Damit aber das christliche Volk in immer reicherem Maße dieser übernatürlichen Gaben teilhaftig werden könne, belehrt es sorgfältig über die in der Liturgie geborgenen Schätze der Frömmigkeit durch geeignete Predigten, vor allem durch Vorträge und eigens zu festgesetzten Zeiten durchgeführte Tagungen, Studienwochen u. a. m. Die Mitglieder der Katholischen Aktion werden euch dabei gewiß zu Diensten sein, da sie stets bereit sind, der Hierarchie zur Ausbreitung des Reiches Jesu Christi ihre tatkräftige Hilfe zu leihen.
c) Warnung vor Irrtümern
373 Bei all dem müsst ihr jedoch unbedingt eure Wachsamkeit walten lassen, damit nicht der Feind in den Acker des Herrn eindringe und Unkraut unter den Weizen säe (Vgl. Matth. 13, 24-25): daß sich also in eure Herde nicht fein gesponnene und verderbliche Irrtümer einschleichen, wie z. B. falscher Mystizismus und schädlicher Quietismus, – Irrtümer, die von Uns, wie ihr wißt, bereits verurteilt wurden (Vgl. Pius XII., Rundschreiben Mystici Corporis vom 29. Juni 1943. Vgl. HK Nrn. 825 u 826); – und daß kein gefährlicher Humanismus die Seelen verleite, daß auch keine verfängliche, am katholischen Glaubensbegriff selbst rüttelnde Lehre sich einschleiche, noch schließlich ein übertriebener Archäologismus in liturgischen Dingen angestrebt werde. Mit gleicher Umsicht sorgt dafür, daß sich nicht die falschen Theorien jener verbreiten, die da zu Unrecht behaupten und lehren, die verklärte menschliche Natur Christi sei wirklich und dauernd in den „Gerechtfertigten“ gegenwärtig, oder auch: eine einzige und gleiche Gnade verbinde, wie man behauptet, Christus mit den Gliedern seines Mystischen Leibes.
Verliert nie wegen auftauchender Schwierigkeiten den Mut, nie erlahme eure Hirtensorge! Stoßt in die Trompete auf Sion … beruft eine Feier ein, versammelt das Volk, entsühnt die Gemeinde, ruft die Greise herbei, lasst Kinder und Säuglinge kommen! (Joel 2, 15-16) Wirket mit ganzem Einsatz dahin, daß die Gläubigen allüberall in Scharen zu den Kirchen und Altären eilen, um als lebendige, mit ihrem göttlichen Haupte verbundene Glieder durch die Gnaden der Sakramente erneuert zu werden, um zusammen mit Ihm und durch Ihn das hochheilige Opfer zu feiern und dem ewigen Vater den schuldigen Lobpreis darzubringen. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 202 – S.208