Papst Leo XIII.
Der Kampf gegen Christus und seine Kirche in seinen verschiedenen Formen
Aus der Enzyklika „Annum ingressi sumus“ v. 19.3.1902
Der Kampf in seinen verschiedenen Formen
Kein Wunder darum, dass der katholischen Kirche, welche Christi Sendung fortsetzt und die Wahrheit des Glaubens unverfälscht bewahrt, dasselbe Los beschieden ist. Die Verkehrtheit der Welt überdauert die Jahrhunderte. Neben den Kindern Gottes finden sich immer die Knechte jenes großen Widersachers des Menschengeschlechtes, der ein Feind Gottes von Anbeginn war und in der hl. Schrift der Fürst dieser Welt genannt wird.
Darum ist der Welt das Gesetz und sein Verkünder, der im Namen Gottes es verkündet, unerträglich, weil sie Gottes Herrschaft hartnäckig zu leugnen sich anmaßt. Wie oft haben sich in Zeiten, die stürmischer waren als die unseren, die Feinde mit unerhörter Grausamkeit und unverschämter Rohheit zum törichten Unternehmen zusammen geschlossen, das Wort Gottes zu vernichten zum Hohn alles Rechtes. Und wenn man mit der einen Art der Verfolgung nicht zum Ziele kam, versuchte man eine andere.
a) Die rohe Gewalt.
Gleich von Anfang an suchte man den christlichen Namen in Marter und Schmach zu ersticken. Drei Jahrhunderte tränkte Märtyrerblut die Stadt Rom und die römischen Provinzen.
b) Die Irrlehre.
Dann erhob sich ein innerer Feind. Die verderbliche Irrlehre versuchte zuerst versteckt, bald aber mit dreister Offenheit durch trügerische Lehren und Ränke die Eintracht und Einheit in der Kirche zu zerstören.
c) Der Unglaube.
Sodann erhoben sich mehr denn einmal vom Norden her gleich einem verheerenden Unwetter die Horden der Barbaren, vom Süden die Sarazenen, deren Spuren Mord und Verwüstung bezeichneten. So vererbte sich von Jahrhundert zu Jahrhundert das traurige Vermächtnis des Hasses gegen die Kirche.
d) Der Cäsaropapismus.
Es folgte ein Kaisertum, misstrauisch und übermächtig, eifersüchtig auf fremde Gewalt, wie sehr auch die Macht der Kirche dadurch wachsen mochte, und erneuerte fortgesetzt die Angriffe, um sie zu knechten oder ihre Rechte sich anzumaßen.
Überdruss erfüllt das Herz, wenn man die häufigen Bedrängnisse und den schweren Kummer sieht, welche der Kirche zugefügt werden. Und dennoch ist sie aus allen Hindernissen und Gewalttätigkeiten stärker hervorgegangen, hat die Grenze ihres Friedensreiches immer weiter ausgedehnt, das glorreiche Erbe der Wissenschaft, Literatur und Künste gehütet und war vor allem bestrebt, die menschliche Gesellschaft mit dem Geiste des Evangeliums zu erfüllen und gar zu durchdringen.
Auf diese Weise schuf sie jene Kultur, die man christliche nennt. Sie brachte den Völkern, die sich ihrem wohltätigen Einfluss nicht entzogen, gerechte Gesetze, milde Sitten, lehrte sie Fürsorge für die Schwachen, die Liebestätigkeit für Arme und Unglückliche, die Achtung vor den Rechten und der Standeswürde eines jeden und legte dadurch – so weit das inmitten der menschlichen Leidenschaften möglich ist – den Grund zu jenem ruhigen bürgerlichen Leben, welches aus einem besseren Verhältnis zwischen Freiheit und Gerechtigkeit hervorging.
e) Die freie Forschung.
Und dennoch trotz so klarer und herrlicher Beweise für ihre segensreiche Kraft sehen wir die Kirche gegen das Ende des Mittelalters von gottlosem Hasse angefeindet.
Fast noch härtere Kämpfe brachte das folgende Zeitalter. Im 16. Jahrhundert begann jener traurige Bruderkrieg der Neuerer, dessen Voraussetzungen bekannt sind. Durch Angriffe auf das Haupt der Kirche, das Papsttum und sein Ansehen, welche alle Gläubigen zu einer Liebe vereinigt und mit Kraft erfüllte, suchten sie in schönster Blüte stehende Völker von der Einheit des Glaubens kläglich loszureißen.
Durch diese unheilvolle Spaltung langten sie notwendigerweise an einem Punkte an, wo sie vielleicht selbst nicht anlangen wollten, dass sie nämlich noch kaum den Schatten des Christentums behielten, die Sache selbst so ziemlich opferten. Aber nachdem man einmal einerseits die Vorrechte des römischen Stuhles, das Fundament der Einheit bestritten und andererseits den Grundsatz der freien Forschung aufgestellt hatte, wurde zahllosen Meinungen und Neuerungen der Weg geöffnet. Darum gibt es keinen auch noch so heiligen Grundsatz der christlichen Lehre, den jene Neuerer nicht in Zweifel zögen oder völlig verwürfen.
f) Die Aufklärung.
Auf demselben Wege ging die spottsüchtige Philosophie des 18. Jahrhunderts noch weiter. Für sie gab es weder eine heilige Schrift noch eine von Gott geoffenbarte Wahrheit.
Ihr Endziel war, die letzte Spur der christlichen Religion aus dem Herzen der Völker zu vertilgen. Diesen Quellen entsprangen die verderblichen Lehren des Rationalismus und Pantheismus, des Naturalismus und Materialismus, alte von den Vätern und den Apologeten bereits siegreich widerlegte Irrtümer in neuem Gewand. Überhaupt sinkt der Hochmut der Neuzeit, indem er das Licht des christlichen Glauben verachtet, in die Irrtümer des Heidentums zurück, so dass man sogar die Vorzüge der menschlichen Seele und ihre Unsterblichkeit leugnet.
g) Der Skeptizismus.
Unter diesen Umständen gestaltete der Kampf gegen die Kirche sich heftiger und allgemeiner als vorher, denn der Unglaube unserer Zeit begnügt sich nicht damit, diese oder jene Glaubenswahrheit zu bezweifeln oder zu leugnen, sondern bekämpft alle von der Offenbarung geheiligten und von der gesunden Philosophie bestätigten Grundsätze in ihrem ganzen Umfange.
Nun sind es aber jene heiligen Grundsätze, welche den Menschen über seine ewige Bestimmung aufklären, ihm den Weg der Pflicht zeigen, ihn im Leben aufrichten, ihn lehren, seinen Schmerz zu tragen, ihm vollkommene Gerechtigkeit im Gerichte Gottes und ein glückseliges Leben nach dem Tode in Aussicht stellen, und ihm einschärfen, die Zeit der Ewigkeit, die Erde dem Himmel unterzuordnen. Und was setzt man an die Stelle dieses Glaubens, so überreich an segensvoller Heilkraft? Eine schauerliche Zweifelssucht, welche die Herzen lähmt und jedes hochherzige Streben erstickt.
h) Die Religionslosigkeit.
Und schon schaut Ihr, Ehrwürdige Brüder, die Folgen dieser unheilvollen Lehren, die aus dem Kreise der Meinungen sich einen Weg bahnt in das öffentliche Leben und in die Einrichtungen des Staates.
Große und mächtige Staaten richten sich beständig danach, wähnend, dass sie so an der Spitze der öffentlichen Gewalt nicht verpflichtet wären, sich nach den gesunden Grundsätzen des sittlichen Lebens zu richten, glauben sie sich vielmehr frei von der Pflicht, Gott öffentlich zu ehren; und nur zu oft geschieht es, dass sie im Großtun mit einer vollständigen Gleichgültigkeit gegen alle Religion die allein feindselig behandeln, welche Gott eingesetzt hat.
Der Kampf in seinen unheilvollen Folgen
a) Die unabhängige Moral.
Nachdem man im öffentlichen Leben Gott verächtlich beiseite gesetzt hatte, musste eine tiefgehende Verwirrung und ein Niedergang des sittlichen Lebens notwendig folgen, da ja die Religion das Fundament der Gerechtigkeit und Sittlichkeit ist, wie das schon die berühmten heidnischen Weltweisen erkannt haben; sind nämlich einmal die Bande gelöst, welche die Menschen mit Gott, dem höchsten Gesetzgeber und Richter, verbinden, so gibt es nur mehr ein Schattenbild einer rein bürgerlichen oder, wie man sagt, einer unabhängigen Moral, welche um ein ewiges Gesetz und göttliche Vorschriften sich nicht kümmert und auf abschüssiger Bahn bei der äußersten Folgerung anlangt, dass der Mensch nach Lust und Laune sich selber Gesetze gibt.
Ist die Hoffnung des Menschen nicht mehr auf die höheren Güter gerichtet, wird er dann nach etwas anderem trachten als die Freuden und Bequemlichkeiten dieses Lebens möglichst zu genießen? Der Durst nach den Lüsten des Lebens steigert sich, es entbrennt die Begierde nach Reichtümern und das maßlose Verlangen nach übergroßem Gewinn, ohne Rücksicht auf die Gerechtigkeit; der Ehrgeiz wird entflammt und verschmäht keine Mittel, um zu Macht und zu Ehren zu gelangen. Wo aber eine solche Zügellosigkeit die Gemüter der Menge beherrscht, werden die Gesetze und die öffentliche Autorität verachtet, da kann das Gemeinwesen nicht mehr fern von seinem Untergange sein.
b) Die Zerrüttung der Familie.
Die Wirklichkeit bestätigt bereits nur allzu sehr die aus dieser heillosen Verwirrung hervorgehenden, vorbezeichneten Übelstände. Wir sehen die Grundlagen des bürgerlichen Lebens wanken, nachdem man einmal die Grundsätze von Recht und Gerechtigkeit preisgegeben.
Das hat allen Glieder der Gesellschaft, vor allem aber der Familie, eine schwere Wunde geschlagen. Denn der Staat, der Kirche entfremdet, überschritt die Grenzen und das Ziel seiner Machtbefugnisse, legte seine Hand an das eheliche Band, beraubte es seiner Heiligkeit, verletzte das natürliche Recht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder und schädigte an manchen Orten die Festigkeit des ehelichen Bundes durch gesetzliche Gutheißung der Ehescheidung.
Die Folgen können niemandem verborgen blieben: täglich wächst die Zahl jener Ehen, die nur aus Leidenschaft leichtfertig eingegangen und deshalb in kurzer Zeit wegen Ekel und Untreue wieder aufgelöst werden, gar nicht zu reden von den Kindern, welche durch die Sorglosigkeit oder das böse Beispiel der Eltern frühzeitig verdorben oder endlich von den schlechten Grundsätzen des religionslosen Staates vergiftet werden.
c) Der Zerfall der sozialen Ordnung.
Der Verfall der Familie zog auch den Verfall der sozialen und politischen Ordnung nach sich, hauptsächlich infolge der neuen Anschauungen, welche die wahren Begriffe der Herrschergewalt fälschten, indem sie ihr einen falschen Ursprung zuerkannten.
Nehmen wir wirklich einmal an, dass die Regierungsgewalt nicht von Gott, dem höchsten und ewigen Grund aller Gewalt, sondern von der Zustimmung der Volksmenge herrühre, so muss sie sofort in den Augen der Bürger viel verlieren und in ein künstliches Regiment ausarten, das auf ein so unsicheres und wankendes Fundament sich stützt, wie es der menschliche Wille ist.
Und sehen wir vielleicht nicht schon die Folgen in den Gesetzen? Meist bringen sie die Meinung der an Zahl überlegenen Partei, keineswegs aber, wie es billig wäre, „die geschriebene Vernunft“ zum Ausdruck. Deshalb kann man sehen, dass man den zügellosen Wünschen der Massen schmeichelt, den Volksleidenschaften die Zügel schießen lässt, selbst wenn sie die Arbeiten und den Frieden der Bürger stören. Wenn es aber zum Äußersten gekommen ist, ergreift man gewaltige und auch selbst blutige Mittel.
d) Der Egoismus im politischen Leben.
Wo man aus dem allgemeinen Völkerrecht die christlichen Gebote verbannt, welche eine wunderbare Kraft in sich tragen, die Völker zusammenzuschließen und gleichsam zu einer Familie zu vereinigen, ist in ähnlicher Weise im Verkehr der Völker untereinander nach und nach maßlose Selbstsucht und Eifersucht entstanden, so dass man sich, wenn auch nicht mit feindseligem, so doch mit misstrauischem Auge beobachtet.
Daher lassen die Nationen bei ihren Unternehmungen sich nicht gar zu sehr von den erhabenen Grundsätzen der Sittlichkeit und der Gerechtigkeit leiten, sie meinen, es gehe sie nicht an, die Schwachen gegen die Unterdrückung der Mächtigen in Schutz zu nehmen. Ihr ganzes Sinnen und Trachten ist auf grenzenlose Anhäufung von Reichtümern gerichtet, einzig und allein streben sie das an, was ihnen Vorteil und Nutzen zu bringen scheint, sind sie ja überzeugt, dass, wenn der Gewaltstreich einmal gelungen ist, niemand sie an ihre Pflicht gemahnen wird.
Das sind unheilvolle Ansichten, welche die rohe Gewalt als höchstes Gesetz der Welt aufstellen; daher die rastlose und maßlose Vermehrung der Kriegsrüstungen, daher ein solcher Friede der dem schlimmsten Krieg in seinen Folgen vergleichbar ist.
e) Der Geist der Widersetzlichkeit im Volke.
Aus dieser sittlichen Verwirrung erwachsen dem Volk die größten Nachteile, Unruhen und Unbotmäßigkeit; daher die so häufigen Unruhen und Aufstände, welche noch schlimmere Stürme ankündigen.
Die unwürdige Lage eines so großen Teiles des gewöhnlichen Volkes, dem schnell Befreiung oder wenigstens Erleichterung verschafft werden muss, wird von verschmitzten Führern, an erster Stelle von der sozialistischen Partei, zu ihrem Vorteil missbraucht, die das Volk durch trügerische Versprechen betören und zur Verwirklichung ihrer schändlichen Pläne antreiben.
f) Der Anarchismus.
Weil aber derjenige, der einen Abhang hinunterstürzt, schließlich in die Tiefe gelangen muss, so haben die gegebenen Ursachen notwendig zur Folge gehabt, dass eine Gesellschaft von verkommenen, rohen Menschen herangebildet wurde, deren grässliche Taten in kurzer Zeit überall Schrecken eingejagt haben.
Durch ihre Macht und ihre Zahl bei allen Nationen vermag sie überall ihre verbrecherische Hand anzulegen und dreist jeden Anschlag zu wagen. Ihre Anhänger zerreißen alle Bande, welche Gesetz, Religion und Sittlichkeit geknüpft haben, nennen sich Anarchisten und suchen mit allen Mitteln, die nur wilde Leidenschaft eingeben kann, die gesellschaftliche Ordnung von Grund aus zu zerstören. Da aber die Gesellschaft namentlich durch die Obrigkeit Festigkeit und Lebensfrische erhält, so richten diese verworfenen Menschen ihre Pfeile vorzüglich gegen die Obrigkeit.
Wer erbebte nicht in Mitleid und Entrüstung angesichts jener mörderischen Anfälle und Mordtaten, denen in diesen wenigen Jahren Kaiser und Kaiserinnen, Könige und Häupter mächtiger Republiken zum Opfer gefallen sind, einzig darum, weil sie mit der höchsten Gewalt bekleidet waren? –
aus: Carl Ulitzka, Lumen de caelo, Praktische Ausgabe der wichtigsten Rundschreiben Leo XIII. und Pius XI., 1934, S. 6 – S. 10
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