Wenn Gemeinden ohne katholische Seelsorger sind
Erster Teil
Gemeinden ohne Seelsorger – Vorbemerkung
Einige katholische Gemeinden sind bereits ohne Priester, viele andere wird voraussichtlich bald dasselbe Los treffen. Mit banger Besorgnis blicken die Gläubigen in die Zukunft und fragen: „Wie sollen wir alsdann unser Seelenheil wirken, was wird aus unsern Kindern werden, wer wird die Kranken und Sterbenden trösten?“ Ihnen antwortet der Herr selbst: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben.“ (Luk. 12, 32.) In dem heiligen katholischen Glauben besitzen wir das Unterpfand des ewigen Lebens. Wer den Glauben bewahrt und die Gebote hält, geht nicht verloren. Freilich bedürfen wir dazu der göttlichen Gnade, mit deren Ausspendung vorzugsweise das Priestertum betraut ist. Wenn aber die ordentlichen Gnadenspender fehlen, dann wird Gott in anderer, in außerordentlicher Weise seine Gnaden austeilen und zwar umso reichlicher, je größer die Not der Gläubigen ist.
Weil indes der Mensch mit der göttlichen Gnade mitwirken muss, so ist es notwendig, einige Verhaltensmaßregeln zu kennen, welche in Ermangelung der Priester zu beobachten sind. Nach dem Vorgang der Schweizer Kirchenbehörde haben die vereinigten Oberhirten Preußens in ihrem gemeinschaftlichen Hirtenschreiben vom Februar 1874 und der hochwürdigste Bischof von Paderborn in seinem Abschiedsworte an seine Herde dieserhalb Weisungen erteilt. Gegenwärtiges Büchlein soll das dort Gesagte erläutern und vervollständigen. Dasselbe wird aber nicht bloß für den zunächst in’s Auge gefaßten Zweck, sondern im größten Teile seines Inhaltes für alle Zeiten höchst wichtige Lehren enthalten. Lies es darum mit Aufmerksamkeit und bewahre es sorgfältig auf.
Vorab sei bemerkt, daß der uns drohende Notstand in der Geschichte der Kirche keineswegs unerhört ist. In den Heidenmissionen trifft er häufig ein, und auch sonst ist er schon oft da gewesen. Von den ersten Christenverfolgungen nicht zu reden, waren z. B. die Katholiken in England und Japan 200 Jahre lang fast aller Seelsorge beraubt, und dennoch ist dort das hl. Feuer des Glaubens nicht erloschen. Mehrere Gemeinden in Norddeutschland sahen über 50 Jahre keinen Priester und blieben katholisch. Während der großen Revolution am Ende des vorigen Jahrhunderts waren die französischen Katholiken beinahe 6 Jahre lang ohne Priester. In Russisch-Polen erdulden die Katholiken schon lange die härtesten Drangsale für ihren Glauben, ja noch vor ganz kurzer Zeit ist dort Martyrerblut geflossen, und zwar in Gemeinden, welche schon seit Jahren ihrer Priester beraubt sind. Und welch‘ herrliches Beispiel der Glaubensfestigkeit geben uns unsere katholischen Brüder im Schweizer Jura, deren sämtliche Pfarrer, 69 an der Zahl, von der Regierung vertrieben sind! Darum nur Mut, du treues katholisches Volk!
aus: Gemeinden ohne Seelsorger, Der Tod ohne Priester. Die vollkommene Reue. Ein Lehr- und Trostbüchlein für römisch-katholische Christen, Mit kirchlicher Approbation, 2. Auflage, 1874, S. 3 – S. 4