Die Regierung der katholischen Kirche durch Christus
Die Steuerung der Welt durch Gott und die der Kirche durch Christus
St. Thomas sieht die äußere Leitung der Kirche durch Christus als Gott mit Recht als eine allen drei Personen gemeinsame Tat an, die darin besteht, die Welt, insbesondere die vernünftige Kreatur zu Gott zu führen. Er hat ebenso recht, wenn er darin eine Begründung dafür sieht, daß Christus das Haupt der Kirche in jener gemeinsamen Weise sei, wie Gott und alle drei göttlichen Personen es sind. Allein darum handelt es sich nicht. Es handelt sich um die Begründung jener ungemeinsamen Tatsache, die darin besteht, daß Christus in einer von jeder anderen göttlichen und menschlichen Person verschiedenen Weise Haupt der Kirche ist. Mit Recht hat darum das Rundschreiben jene gemeinsame Leitung außer Betracht gelassen und die ungemeinsame um so ausführlicher dargestellt.
Die prospektive Leitung der Kirche durch Christus
An Christus der Menschheit nach habt auch St. Thomas ungemeinsame Züge hervor, nämlich den, daß er zum unterschied von den anderen göttlichen Personen uns zu sich leitet durch seine Lehre und sein Beispiel. Er meint dabei offenbar, wie auch das Rundschreiben, nicht bloß die zeitgenössische Wirkung der Worte und Beispiele Christi, sondern auch deren spätere Nachwirkung. Aber das Rundschreiben hebt diese Nachwirkung, infolge deren uns Christi Wort noch heute leiten, ausdrücklich hervor, indem es sagt: „Sie werden für die Menschen aller Zeiten Geist und Leben sein.“
Noch bedeutungsvoller ist es, daß das Rundschreiben eine zeitgenössische Tat des Herrn hervorhebt, die zu seinem Wort und Beispiel wesentlich hinzu kommt, nämlich die, daß er den Aposteln und deren Nachfolgern seine dreifache theokratische Gewalt, zu lehren, zu leiten und zu heiligen, übertrug und diese Gewalt zum Grundgesetz seiner Kirche machte. Durch diese Tat von damals wurde er (infolge ihrer Nachwirkung) zum Leiter der Kirche von heute.
Die mittelbare und unmittelbare Regierung der Kirche durch Christus
Diese Regierung der Kirche, die in der Nachwirkung dessen besteht, was der Herr zeit seines Lebens getan und angeordnet hat, wird vom Rundschreiben als mittelbare Regierung der Kirche durch Christus angesehen, nicht als jetziges Wirken Christi, sondern als jetzige Nachwirkung seines ehemaligen Wirkens.
Zu ihr kommt die unmittelbare regierende Wirkung Christi in seiner heutigen Kirche, also die gleichzeitige Regierung der jeweiligen Kirche durch Christus. Er führe das Steuer über die gesamte von ihm gegründete christliche Gemeinschaft und er lehre und leite sie auch selbst unmittelbar, was, wie bei jeder menschlichen Gesellschaft, nichts anderes bedeute, als sie durch zweckmäßiges Planen und geeignete Mittel auf rechtem Wege zum vorbestimmten Ziel zu führen.
Die unsichtbare und außerordentliche Regierung der Kirche durch Christus
Hier berühren sich die Ausführungen der Enzyklika wieder mit denen des hl. Thomas. Nach ihm besteht die Leitung der Kirche in der Leitung der Glieder, so daß alle Glieder einander dienen, aufeinander und auf Gott bezogen und so miteinander zu einer Ordnungseinheit verbunden sind. Christus leitet sie also in ihren eigen- und fremd-dienlichen Akten. Daß er den Gliedern überhaupt Empfindung und Bewegtsein erteilt, das rechnet St. Thomas nicht zur äußeren Regierung, sondern zum inneren Einfluss des Hauptes auf die Glieder. Diesen recht unentfalteten Ausführungen lassen sich auch noch andere Texte des hl. Thomas beifügen.
Was wir überall vermissen, das ist die Darstellung der Art und Weise, wie nun faktisch das Haupt Christus diese Ordnungseinheit unsichtbar verursacht und so die Kirche regiert. Hier setzt das Rundschreiben ein. Vor allem unterscheidet es die leitende Sorge für den einzelnen und die Sorge für die Kirche. Christus leitet die einzelnen, indem er die Herzen der Menschen nach seinem Wohlgefallen lenkt. Durch diese Lenkung der Herzen aber sorgt er nicht bloß für den einzelnen, sondern für die gesamte Kirche, indem er die Vorsteher der Kirche bei ihrer Amtsausübung erleuchtet und – besonders in schweren Zeiten – der Kirche außerordentliche Persönlichkeiten, vor allem Heilige, gibt.
Er greift über dies auf mannigfache Weise in das Schicksal der Gesamtkirche ein, teils persönlich, teils durch seine Engel oder durch die „Hilfe der Christen“ (Anspielung auf das von Papst Pius VII. eingesetzte Dankfest Auxilium Christianorum: 24. Mai) und andere himmlische Helfer. So entreißt er seine Braut den gefahren und schenkt ihr nach den Stürmen wider Zeiten des Friedens. Hier wird, wie man sieht, ein konkretes Bild dessen geboten, wie man sich die unsichtbare und außerordentliche Leitung der Kirche durch Christus vorzustellen habe.
Die sichtbare und ordentliche Leitung
Die bedeutungsvollste Erweiterung dieser Begründung über St. Thomas hinaus aber besteht darin, daß die Leitung der Kirche durch Christus sich nicht auf eine mittelbare Nachwirkung seiner Worte und Beispiele, auch nicht auf die unsichtbare Leitung der Kirche in der Gegenwart beschränkt, sondern vor allem in der ordentlichen und sichtbaren Leitung gesehen wird, die er während seines Lebens persönlich, nach seinem Tode durch seine sichtbaren Stellvertreter ausübt.
Solange man mit St. Thomas bei Christus dem Haupt nicht bloß an die ungemeinsame, sondern auch an die allen göttlichen Personen gemeinsame Art, Haupt zu sein, denkt und bei der Kirche nicht bloß an die römische Kirche, sondern auch an den „mystischen Leib der Kirche“, solange kann eine so ungemeinsame Art, Haupt zu sein, nicht im Vordergrund der Betrachtungsweise stehen, wie das im Rundschreiben der Fall ist.
Denn eine solche Begründung setzt zwei ganz ungemeinsame Attribute des Hauptes und des Leibes voraus, einerseits das ungemeinsame Attribut Christus, das den höchsten Theokraten, also Propheten, König und Priester bedeutet, andererseits einen ungemeinsamen Begriff des Leibes, nämlich den seines messianischen Reiches auf Erden.
Die Begründung besteht darin, zu zeigen, daß jener Messias jederzeit sichtbar dieses sein sichtbares Reich leitet, seinerzeit persönlich, nunmehr durch seinen sichtbaren Stellvertreter. Sie hat auch eine noch spezifischere Begründung dafür zur Folgre, daß er Haupt seines Leibes ist, nämlich die, daß er mit seinem sichtbaren Stellvertreter ein Haupt und somit auch ihn sichtbares Haupt der Kirche ist.
Dabei ist auch nicht zu übersehen, daß er Teile seiner Kirche nicht bloß durch den Papst, sondern auch durch die Bischöfe, die Nachfolger der Apostel, sichtbar leitet und auch so sichtbares Haupt seiner gesamten Kirche und ihrer Teile ist. –
aus: Albert Mitterer, Geheimnisvoller Leib Christi nach St. Thomas von Aquin und nach Papst Pius XII., 1950, S. 146 – S. 150
siehe auch den Beitrag: Pius XII. und die Theologische Abhandlung über die Kirche
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