Der Gottmensch Christus ist Haupt der Kirche
…der Satz, Christus sei das Haupt der Kirche, ist nicht eindeutig, weder in der Funktion (Haupt sein) noch in den beiden Größen (Christus und Kirche).
Die Vieldeutigkeit des Hauptwortes Christus
Man sollte meinen, nichts sei eindeutiger als das Wort Christus. Dem ist aber nicht so, sobald es sich um die Verwendung dieses Wortes als eines Subjekts für gewisse Aussagen handelt, also um dessen Subjektsetzung (suppositio). Wenn Christus das Subjekt für das Prädikat „Haupt der Kirche“ setzt, so ist Christus als Person gemeint. Die Person Christi aber unterscheidet sich sowohl von den anderen göttlichen Personen wie von den anderen menschlichen Personen dadurch, daß sie gottmenschlich ist, das heißt zwei Naturen, die göttliche und die menschliche in sich vereinigt. Jede andere göttliche ist nur göttlich, jede andere menschliche Person ist nur menschlich, keine aber von ihnen ist gottmenschlich.
Das zweite ist, daß Christus nicht bloß eine Person, sondern eine Persönlichkeit ist, das heißt innerhalb der uns bekannten Schöpfung, insbesondere innerhalb der Menschheit und der Kirche, eine hervorragende Rolle spielt, die einzig dasteht. Er ist als Christus (Messias, Gesalbter) der höchste Theokrat, das heißt der höchste von denen, die von Gott befugt sind, andere Menschen in Gottes Namen auf übernatürliche Weise zu lehren, zu führen und zu heiligen (1). Seine Messianität ist also der Inbegriff alles dessen, was man fremddienliches Charisma (gratia gratis data), das heißt Gnade von oben zum Heil anderer nennt.
Als drittes kommt in Betracht, was St. Thomas Gnade des Hauptes (gratia capitis) nennt. Es ist die Fülle der heiligmachenden Gnade, die, soweit sie ihn selbst heiligt, Gnade für ihn (gratia personalis singularis personae), soweit sie aber anderen mitgeteilt wird, Gnade für alle und in diesem Sinne Gnade des Hauptes ist, von dessen Fülle wir alle empfangen haben.
Christus als Gott und Christus als Gottmensch
Daß Christus Gott ist, das hat er mit den anderen zwei göttlichen Personen gemein. Daß er Gottmensch (wir können hinzufügen Messias und Gnadenhaupt) ist, das unterscheidet ihn von ihnen. Christus kann somit als Gott gemeinsam (communiter loquendo), das heißt zusammen mit dem Vater und dem Hl. Geist (simul cum patre et Spiritu Sancto) aufgefaßt werden, oder ungemeinsam (proprie).
Dieser Begriffsunterschied ist in unserer Frage wichtig. Denn gemeinsam aufgefaßt, nämlich als Gott, ist Christus in der gleichen Weise Haupt der Kirche wie eben Gott, wie alle drei göttlichen Personen zusammen und wie jede von ihnen, also insoferne in ihm die Fülle der Gottheit ist wie in allen drei Personen (hohe Stellung ähnlich dem Haupt), soweit er wie sie Ursache aller übernatürlichen Gnade ist (innerer Einfluss ähnlich dem Haupt) und, wie sie, uns zu Gott führt (äußere Leitung ähnlich dem Haupt).
Diese gemeinsame Weise, Haupt der Kirche zu sein, ist aber von der ungemeinsamen Weise, in der Christus das Haupt der Kirche ist, so wesentlich verschieden, wie das, was Christus mit den anderen göttlichen Personen gemeinsam hat, von dem, was ihn, ganz abgesehen vom innertrinitarischen Unterschied, von ihnen schon dadurch unterscheidet, daß er Gottmensch, ihnen schon dadurch unterscheidet, daß er Gottmensch, Christus und Gnadenhaupt ist. Haupt der Kirche zu sein, ist ein spezifisch gottmenschliches, messianisches Werk der zweiten göttlichen Person. Wohl ist auch dieses Werk, wie jedes Werk Gottes nach außen, von allen drei Personen verursacht, aber das verursachte Werk selbst besteht eben darin, daß die zweite göttliche Person und nur sie als Gottmensch und Christus das Haupt der Kirche ist, so gut wie nur der Gottmensch Christus Stifter der Kirche und nur er, nicht andere göttliche Personen, Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist.
St. Thomas hat nun die Frage gestellt, ob Christus Haupt der Kirche als Mensch sei. Er hat aber dabei nur die Alternative ins Auge gefaßt, ob als Gott oder als Mensch oder als beides, nämlich als Gott und als Mensch. Allein hier gibt es eine weitere Alternative, nämlich die, ob als Gottmensch (sensu composito). Das ist keineswegs identisch mit der Alternative, ob als Gott und als Mensch (sensu diviso). Er ist Haupt der Kirche als Gott, aber in jener ungemeinsamen singulären Weise, die wir kennengelernt haben. Er ist nicht Haupt der Kirche als Mensch, wenn man darunter das versteht, was er mit anderen Menschen gemeinsam hat. Hier ist er Glied, wie auch St. Thomas gesteht, nämlich in jener gemeinsamen Weise Glied, in der alle Kreatur gegenüber dem Haupt Gott Glied genannt werden könnte.
Haupt der Kirche im Sinne dieses Dogmas ist er in einer durchaus ungemeinsamen Weise, das heißt in einer Weise, die er weder mit göttlichen noch mit menschlichen Personen gemein hat, nämlich als Gottmensch. Christus als Gott, als Mensch und als Gottmensch sind also drei verschiedene Begriffe. Der erste ist einer, der allen drei göttlichen Personen zukommt, der zweite einer, der jeder menschlichen Person zukommt, der dritte ist einer, der nur ihm zukommt. Als Subjekt unseres Dogmas ist Christus imd ritten Sinne festzuhalten, und so wird er im Rundschreiben mit Berufung auf St. Thomas verstanden.
Nicht Gott noch die Hl. Dreifaltigkeit noch Christus als Gott zusammen mit den anderen göttlichen Personen ist das Haupt der Kirche im Sinne des Dogmas, sondern der Gottmensch Jesus Christus. Und er ist es nicht bloß in dem allgemeinen Sinn, in dem jede göttliche Person Haupt der Kirche ist, sondern in dem singulären Sinn, in dem die zweite göttliche Person als Gottmensch und Christus es ist. Ein Hauptglied-Verhältnis zwischen Gottheit und Menschheit in Christus wird daher nicht mehr erörtert, noch wird ein Versuch gemacht, dem Haupt die Menschheit und dem Herzen die Gottheit Christi als Analogat zuzuordnen. Dies alles bedeutet eine ganz erhebliche Klärung.
Zweieinigkeit zwischen Christus und Kirche
Das Rundschreiben lehnt den Versuch, die Vereinigung zwischen Christus und Kirche als hypostatische Union zweier Naturen, wie das in Christus ist, also die Vereinigung zweier Naturen zu einer physischen Natur aufzufassen, ebenso ab, wie den entgegen gesetzten, sie als Einheit zweier Personen in einer Natur zu denken, ähnlich wie das bei Gott der Fall ist, in dem drei Personen in einer Natur sind.
Er leugnet aber nicht die Ähnlichkeit der mystischen Einheit zischen Christus und Kirche mit jenen beiden, sondern gesteht zu, daß wir zwischen Christus und der Kirche einerseits eine Personalunion haben, in der die Kirche als zweiter Christus mit ihrem Haupt dem ersten Christus, zu einem, und damit zu einer einzigen mystischen Person vereinigt ist, zum ganzen Christus.
Er weist andererseits darauf hin, daß diese Vereinigung nach den Worten des Herrn selbst jener wunderbaren innertrinitarischen Einheit gleicht, nach der der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist, also der Einheit zweier Personen in einer Natur. Solche Texte finden sich bei St. Augustin ebenso wie bei St. Thomas.
Wenn aber die Enzyklika auf diese Weise eine Zweieinigkeit zwischen Christus und Kirche lehrt, eine Art von Personalunion oder Essentialunion zweier in einem, so kann sie doch das Wie dieser Zweieinigkeit aus mehreren Gründen besser darstellen und begründen, als es früher möglich war.
Hierzu dient einmal die moralische und mystische Zweieinigkeit zwischen dem unsichtbaren Haupt, Christus, und dem sichtbaren Haupt, dem Papst, die zusammen ein Haupt sind.
(1) Er überträgt die dreifache Gewalt an die Kirche, so daß die Kirche sie nach dem Vorbild ihres Stifters ausübt. –
aus: Albert Mitterer, Geheimnisvoller Leib Christi nach St. Thomas von Aquin und nach Papst Pius XII., 1950, S. 128 – S. 140
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