Entfaltung des katholischen Glaubens

Die Entfaltung des katholischen Glaubens

Kirche, nicht Synagoge

Der Katholizismus kennt eine wirkliche Lehrentwicklung, die sich nicht nur auf eine klarere Formulierung und straffere Systematisierung der geoffenbarten Wahrheit bezieht, sondern eine tatsächliche, sachliche Entwicklung dessen darstellt, was von Anfang an mehr oder weniger keimhaft im Glaubensinhalt vorhanden war. Diese Entwicklung dient gleichzeitig der Entfaltung und Klärung wie der Festigung der durch Christus geoffenbarten Wahrheit. Sie fügt aber keine neue Offenbarung hinzu, da diese durch Christus und die Apostel abgeschlossen und der gesamte Inhalt der Offenbarung objektiv vollständig, wenn auch in vielem unentfaltet, von den Tagen der Apostel, jedenfalls seit dem Tode des letzten Apostels, vorhanden ist.

In dieser Entwicklung offenbart sich das göttliche Leben der Kirche, die nicht eine starre Organisation, sondern als Corpus Christi ein lebendiger, vom Gottesgeist durchströmter Organismus ist. Der Heilige Geist bringt als Seele der Kirche zur Entfaltung, was Christus in ihr grundgelegt hat. Er baut als persönliche Gotteskraft das Corpus mysticum Christi bis zum Vollalter Christi auf, wobei er sich der menschlichen Glieder der Kirche als seiner Werkzeuge bedient, sei es unmittelbar in den autoritativen Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes, sei es mittelbar und ohne jenen im Charisma der Unfehlbarkeit wirksamen außerordentlichen Beistand in der wissenschaftlichen Arbeit der Theologen der Kirche. So ist eine Geschichte der katholischen Dogmatik und weiterhin eine Geschichte der katholischen Theologie überhaupt möglich.

Diese Geschichte offenbart nach außen weithin, jedoch nicht ausschließlich, den Charakter des dialektischen Entwicklungs-Prozesses von Thesis, Antithesis und Synthesis. Der geoffenbarten Wahrheit stellt sich die Häresie als Antithesis entgegen; im Kampf mit ihr entfaltet sich durch die Forschungsarbeit der Theologie und die Urteile und Entscheide des kirchlichen Lehramtes die Wahrheit zu immer klarerer Erkenntnis und wissenschaftlicher Formulierung. (1)

Hier zeigt sich einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der einen wahren Kirche Christi und den verschiedenen von ihr getrennten christlichen Kirchen. Während in der Katholischen Kirche jeder Widerspruch gegen die alte Wahrheit der Klärung, Festigung, Entfaltung und Vertiefung dieser Wahrheit und der Ausscheidung des Unsicheren und Schwankenden dient, sowie der starke, gesunde Baum im Sturm seine Wurzeln immer tiefer in das Erdreich hinein schlägt, das Schwankende und Dürre abschüttelt und im Ringen mit den feindlichen Naturkräften neue Lebenskräfte entfaltet, dringt, im Unterschied dazu, in den von der Einheit der Kirche getrennten Gemeinschaften der antichristliche Geist des Liberalismus im Laufe der Entwicklung immer mehr ein, bis tief hinein in das innerste Wesen der betreffenden Gemeinschaft, zersetzt sie innerlich und spaltet sie stets weiter auf, und zwar in einer Weise, daß die entstandenen Sondergruppen die folgerichtige Weiterentwicklung der irrigen Grundideen der Gruppe sind, aus der sie erwuchsen, nicht aber im Gegensatz zu diesen Grundprinzipien stehen, wie jede Häresie im Gegensatz steht zu den Grundlehren der Katholischen Kirche. Die Geschichte der theologischen Entwicklung der von der Einheit der Katholischen Kirche getrennten Kirchen spricht hier eine ebenso deutliche Sprache wie die dogmen-geschichtliche Entwicklung der Katholischen Kirche. „Für die Entwicklung der kirchlichen Lehre sind die Häresien von der größten Bedeutung geworden; sie gaben einen Hauptanstoß, die Glaubens-Wahrheiten nach verschiedenen Seiten hin deutlicher zu erklären, allseitiger zu begründen und bestimmter zu formulieren.“ (2)

Kirche, nicht Synagoge

Paulus hat in seinen Briefen als erster die Glaubens-Wahrheiten des Lebens und der Lehre Jesu weiter geführt und ihnen in der Erleuchtung des Gottesgeistes bei der Auseinandersetzung mit jüdischen Irrungen Formulierungen gegeben, die teilweise so plastisch, so packend, so innerlich aufwühlend und erschütternd sind, daß, wenn sie aus der theologischen Literatur verloren gingen, keine Wissenschaft imstande wäre, das wieder zu schaffen, was dieser erste und größte Theologe aller Zeiten mit seiner von Christusliebe durchglühten Seele geprägt hat.

Der nationalen jüdischen Enge, die nicht mehr in der freien Gnaden-Berufung des Volkes, sondern in der bluthaften, äußeren, rassischen Abstammung von Abraham das Wesen der Auserwählung sah, stellte Paulus die Lehre von der Apostolizität des allen Rassen und Völker umfassenden neu-testamentlichen Gottesreiches entgegen. So schreibt er den nichtjüdischen, arischen Galatern: „Durch den Glauben an Jesus Christus seid ihr alle Kinder Gottes. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Da gilt nicht mehr Jude oder Heide, nicht mehr Knecht oder Freier, nicht mehr Mann oderWeib. Ihr seid alle eins in Christus Jesus“ (Gal. 2, 26ff).

Gegenüber der oberflächlichen und falschen jüdischen Auffassung vom messianischen Reich als einem Reich irdischen, äußeren Glanzes arbeitete er das Wesen der Kirche heraus als das des Corpus mysticum Christi und die Aufgabe Christi als die des Welterlösers, des Königs, dessen Reich nicht von dieser Welt ist: „Er (der Vater) hat uns der Gewalt der Finsternis entrissen und in das Reich seines geliebten Sohnes versetzt.In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden. Er ist das Ebenbild Gottes, des Unsichtbaren, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm ist alles erschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, Sichtbares und Unsichtbares, seien es Throne oder Fürstentümer, Herrschaften oder Mächte. Alles ist durch ihn und für ihn erschaffen. Er steht an der Spitze von allem, und alles hat in ihm seinen Bestand. Er ist das Haupt des Leibes der Kirche. Er ist auch der Anfang, der Erstgeborene unter den Toten. So sollte er in allem den Vorrang haben; denn es war Gottes Wille, in ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen, alles auf Erden und alles im Himmel, indem er durch sein Blut am Kreuz Frieden stiftete“ (Kol. 1, 13-29).

Dem jüdischen Pochen auf Werkgerechtigkeit, auf äußere Erfüllung gesetzlicher Vorschriften, auf gewissenhafte Befolgung der Zeremonialgesetze, stellte er gegenüber den allein rechtfertigenden Glauben: „Wir wissen, daß der Mensch nicht durch Gesetzeswerke, sondern durch den Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt wird“ (Gal. 2, 16). Dieser Glaube ist allerdings nicht das bloße Vertrauen auf die Erlösungstat Christi, sondern der in den werken der Gottes- und Nächstenliebe wirksame Glaube: „In Christus Jesus hat weder Beschneidung noch Unbeschnittensein Wert, sondern nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“ (Gal. 5, 6). In dieser Überzeugung sagt der Apostel. „Wenn ich allen Glauben hätte, so daß ich Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts“ (1. Kor. 13, 2). Das ist ganz im Sinne der Mahnung Christi gesprochen: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! Wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist“ (Mt. 7, 21), und der Lehre der übrigen Apostel: „Wer nicht liebt, bleibt im Tode“ (1. Joh. 3, 14). „Aus den Werken wird der Mensch gerechtfertigt, nicht aus dem Glauben allein“ (Jak. 2, 24).

Gegenüber den am Ende des 1. Jahrhunderts erstmals aufkeimenden christologischen Irrlehren, besonders des schroffen kleinasiatischen Judaisten Cerinth, befestigte der Apostel Johannes in seinem Evangelium die Wahrheit von der Gottheit Christi. „Indem das Johannes-Evangelium an den in der hellenistischen Welt so stark verbreiteten Logos-Gedanken anknüpfte, ihn mit neuem, unendlich tieferem Gehalt erfüllend, gab es dem Christentum erst recht die Fähigkeit, Weltreligion zu werden, infolge der nunmehr geschaffenen Möglichkeit, die höchsten Gedanken der griechischen Philosophie und die besten Elemente der hellenistischen Religiosität in seinen Dienst zu nehmen, ohne den Verlust seiner religiösen Eigenart“ (A. Ehrhard).

Anmerkungen:

(1) Selbstverständlich gibt es daneben auch eine, und zwar sehr umfangreiche, Entwicklung, die nicht durch den Gegensatz gegen den Irrtum, sondern rein aus dem inneren Wachstum der Wahrheit durch die Kraft des Heiligen Geistes hervor gerufen ist.
(2) Bihlmeyer-Funk, I, 127. –
aus: Konrad Algermissen, Konfessionskunde, 1939, S. 205 – S. 208

 

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