Heiligenkalender
11. August
Die heilige Rusticola (Marcia)
(Wandlung des Leids)
Ihre Eltern wohnten in dem südlichen Teil von Frankreich (Provence) und hatten außer dieser Tochter noch einen Sohn. Allein am nämlichen Tag, da Rusticola geboren ward, starb ihr Vater und kurz darauf auch ihr Bruder. Die schutzlose Mutter hatte aber später noch ein weiteres Unglück. Wahrscheinlich weil ihr einziges Kind ein bedeutendes Vermögen zu erwarten hatte und das Mädchen zugleich sehr schön war, so wurde es von einem Ritter gewalttätig geraubt. Dieser übergab es seiner Haushälterin zur Verpflegung; er wollte es dann mit heranreifendem Alter zur Frau nehmen. Allein da die Sache an den König des Landes gebracht wurde, musste der Ritter das Mädchen wieder herausgeben, es wurde dann der hl. Liliola, die damals Äbtissin des Klosters in Arles war, zur Erziehung übergeben.
Rusticola entschloss sich nach einiger Zeit ganz im Kloster zu bleiben, obschon ihre Mutter gewünscht hatte, daß sie wieder in die Welt zurück kehre. Die fromme Jungfrau wurde hier ein so außerordentliches Vorbild aller Tugenden, daß sie nach dem Tod der hl. Liliola zur Äbtissin gewählt wurde, obschon sie erst achtzehn Jahre alt war.
Rusticola hatte all Bücher der hl. Schrift auswendig gelernt und war so streng gegen sich selbst, daß sie manchmal bis zum dritten Tag fastete und gar nichts aß, manchmal ganze Nächte betend in der Kirche zubrachte. Der Herr verherrlichte aber auch seine eifrige Dienerin schon zu deren Lebzeiten durch mannigfache Wunder. Da sie sich einmal das Gesicht in Gegenwart der Klosterschwester Onoridia wusch, so sah diese das Gesicht der Äbtissin leuchten wie ein Sonnenstrahl. Die Schwester erschrak darüber so sehr, daß sie davon lief. Rusticola ging ihr nach und fragte, warum sie plötzlich entflohen sei; Onoridia sagte nun die Ursache, denn jene wußte selbst nicht, daß die Liebe Gottes, wovon sie erfüllt war, sogar in sichtlichem Glanz wunderbar sich gezeigt hatte.
Da Rusticola einmal in der Nacht ein wenig dem Schlaf sich überlassen hatte, erschien ihr eine Jungfrau mit Gold gestickten Kleidern und strahlendem Antlitz, stieß sie an die Seite und sprach: „Schläfst du? Marcia, ich will dir mitteilen, daß, wenn du diesen Leib verlassen hast, du mit mir und den übrigen Jungfrauen, die dem Herrn nachgefolgt sind, vereinigt werden wirst. Ich bin Lucia, die für den Namen des Herrn gemartert worden ist.“
Einmal da Rusticola um die Mittagszeit in der Kirche verweilte, hörte sie eine Stimme, die ihr mit Namen rief: „Marcia, ahme deinem Herrn nach, wie er am Kreuz hing, ahme deinem Bruder Stephanus nach, der, als die Juden ihn steinigten, sprach: „Herr, verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Als Rusticola zu sich kam, wunderte es sie, was das für eine Bedeutung habe. Sie sollte es bald erfahren.
Als nämlich der König Theodorich gestorben war, bemächtigte sich ein benachbarter Fürst Chlotar II. des Reiches, ermordete zwei Söhne des verstorbenen Königs; einer aber, Childebert, rettete sich durch die Flucht. Zwei der angesehensten Männer, vom Satan aufgehetzt, schwärzten nun die gottselige Äbtissin bei Chlotar an, als halte sie den geflüchteten Königssohn im Kloster verborgen. Chlotar entbrannte in heftigem Zorn und befahl einem der Ankläger, dem Fürsten Ricimir, die Sache streng zu untersuchen. Allein dieser untersuchte nicht, sondern machte der hl. Rusticola alsbald schwere Drohungen und sandte dem König fälschlicher Weise den Bericht, er habe die Äbtissin schuldig gefunden. Der König glaubte dem Lügner und sandte einen hochgestellten Beamten nach Arles, daß er die Äbtissin vor ihn bringe. Allein Rusticola weigerte sich das Kloster zu verlassen, weil die Klosterregel verlange, daß keine Nonne bis zum Tod ausgehe. Jener forderte den Bürgermeister der Stadt auf, ihm die Äbtissin mit Gewalt auszuliefern, er habe mit dem Kopf dafür zu haften, daß des Königs Befehl vollführt werde.
Ninfid, so hieß der Bürgermeister, hatte eine große Verehrung für die Dienerin Gottes, und bat sie unter Tränen und in aller Ehrerbietigkeit, daß sie doch freiwillig und ohne Zwang heraus gehen möchte, er würde ja gern sein Blut mit dem ihrigen vergießen lassen. Nun wurde Rusticola in einem anderen Kloster der Stadt in Haft gebracht. Während sie aber hier gefangen saß und sie in der Nacht wie gewöhnlich dem Gebet sich hingab, überfiel ein Haufe schlechter Menschen, durch Verleumdungen aufgehetzt, mit Steinwürfen das Haus; doch schützte der Herr seine Dienerin vor weiterer Beschädigung.
Nach sieben Tagen, die sie im Kerker zugebracht hatte, wurde sie nun fort geführt. Gott aber sorgte vor: er erweckte durch den heiligen Geist den gottseligen Bischof von Vienne, daß dieser vor den König trat, wie einst der Prophet Nathan vor David, und ihm die Sünde vorhielt, eine Dienerin Gottes ungerechter Weise verurteilt zu haben; zur Strafe für diese Beleidigung Gottes werde er seinen Sohn in nächster Zeit durch den Tod verlieren. Der König erschrak sehr über diese Äußerung und schickte alsbald zwei gottesfürchtige Männer der Äbtissin entgegen mit dem Auftrag, ihr mit aller Ehrerbietung und Dienstwilligkeit das Geleit zu ihm zu geben.
Als die hl. Rusticola auf diese Weise nach Vienne geführt wurde, ereigneten sich einige wunderbare Heilungen auf ihre Fürsprache. Da sie vor dem König erschien, war derselbe nicht nur durch das Gerücht hiervon, sondern auch durch ihren Anblick betroffen und begegnete ihr deshalb mit Ehrfurcht. Chlotar fragte, ob es wahr sei, worüber man sie angeklagt habe. Rusticola nahm Gott zum Zeugen, daß sie solches nicht getan, ja nicht einmal an dergleichen gedacht habe. Der König hatte aber dessen ungeachtet noch seine Zweifel; da wurde ihm gemeldet, daß sein Sohn am Sterben sei; und es erfüllte sich, was der Bischof von Vienne voraus gesagt hatte, der Sohn ward ihm durch den Tod entrissen. Der bestürzte König ließ sich nun leicht bereden, damit ihm nicht noch mehr Unglück widerfahre, die Dienerin Gottes unbehelligt wieder zu entlassen.
Da man in Arles die Nachricht erhielt, daß Rusticola wieder zurück kehre, frei von Schuld und Klage, geriet alles in größten Jubel. Geistliche, Weltliche, Adelige und Bürgerliche, Reiche und Arme, Einwohner und Fremde waren voll Freude und dankten Gott, daß die Äbtissin, die mit so oft bewährtem wunderbaren Erfolg für Andere zu beten vermöge, ihnen wieder durch die Hilfe Gottes geschenkt werde. Die Klosterfrauen aber empfingen ihre geistliche Mutter mit Freuden-Gesängen, sie sangen: „Ehre sei Gott in den Höhen, und auf Erden Friede den Menschen, die eines guten Willens sind.“ Rusticola, umringt von dem Chor der Jungfrauen, dankte gleichfalls vor allem Gott, dann aber auch ihren geistlichen Töchtern, deren Gebet, wie sie bekannte, ihre glückliche Rückkehr bewirkt habe. Sie brach in die Worte des Psalmisten aus: „Preiset hoch mit mir den Herrn, und lasset uns mit einander seinen Namen erheben, weil ich gesucht den Herrn, und er mich erhört hat und mich entrissen aus allen meinen Trübsalen, und wohnen macht die Unfruchtbare im Haus der Mutter, die sich der Kinder freut.“
Nicht lange Zeit danach kamen jene feindseligen Menschen, welche die Dienerin Christi angeschuldigt hatten, beschämt und gedemütigt und baten um Verzeihung. Rusticola nahm sie aber so liebevoll und freundlich auf, wie wenn sie von denselben nichts als Liebe und Ehre empfangen hätte.
Auf diese Weise hat sich das Leid, welches Rusticola und ihre treuen Schwestern durch die falsche Anklage dulden mussten, in lauter Freude verwandelt. Das ist nämlich schon an sich ein Naturgesetz in der Welt, daß viele und große Freuden nur kommen können, wenn ein Leid voraus gegangen ist; so hat z.B. kein Mensch eine größere Freude an der Gesundheit, als wer eben von einer Krankheit genesen ist; und empfinden die Eltern nie größere Wonne an ihrem Sohn, als wenn er nach langer Zeit aus der Fremde zurück kehrt. Tröste dich darum bei einem Kreuz, das dich gerade drückt, mit dem Gedanken, daß dieses vielleicht gerade die Vorbereitung ist zu vieler Freude. Ganz besonders aber ist es göttliche Weltordnung, wenn auch nicht jedes Leid in diesem Leben schon zu Freude sich wandelt, daß dafür jedes Leid, welches man christlich trägt, und jede Mühseligkeit, die man in tugendhaftem Streben durchmachen muss, nach dem Tod zu ewiger Glückseligkeit wird.
Als Rusticola das 77ste Jahr erreicht und viele Kämpfe gegen die Anfechtungen des Satans mit Hilfe Christi mannhaft durchgefochten hatte, wurde sie endlich abgerufen zu den himmlischen Wohnungen, um den Lohn zu erhalten für ihren langen treuen Dienst im Haus Gottes. Das war stets ihr Streben und ihre Tätigkeit, daß sie keine der Untergebenen unnötiger Weise betrübe, und daß diese weder durch zu viele Arbeit beschwert, noch durch zu viele Ruhe verweichlicht würden, sondern stets frischer Geist und gute Ordnung herrsche. Es ist wunderbar, wie die seligsteÄbtissin so viele Berufsgeschäfte vollbrachte, da sie keinen Tag ohne Krankheits-Beschwerden war. Daher kam dann auch die heiße Liebe, welche die ganze Klostergemeinde, obschon aus verschiedenen Ländern abstammend, zu ihrer Herrin und Mutter hatte. Sie sahen nämlich wohl ein, wie Rusticola die herzlichste liebevollste Teilnahme an Wohl und Weh einer jeden Klosterfrau nehme. Wenn Alle zum Gottesdienst versammelt waren, so erfrischte die Äbtissin das Herz einer Jeden mit göttlicher Lehre. Es ist unbeschreiblich, sagt ihr Geschichtsschreiber, mit welcher Süße und liebevollen Milde sie die Schwestern zurecht wies, und nicht wie eine Gebieterin, sondern wie eine gütige Mutter ihnen heilsame Ermahnungen gab. Selbst da es bei ihr zum Sterben kam, hörte sie nicht auf, mit zum Himmel gerichteten Augen Gott ihre geistlichen Töchter zu empfehlen, die sie gleichsam als Waisen zurück ließ, und tröstete dieselben bei ihrer Trauer wegen der Trennung.
Da aber die Dienerin Gottes verschieden war, so wurden die Schwestern von unbeschreiblichem Schmerz ergriffen; keine konnte fast aufhören mit Weinen und Jammergeschrei, daß sie ihre teuerste Mutter verloren haben. „O allerliebste Herrin“, hieß es, „warum hast du dich uns entzogen, daß wir nicht mehr von solch süßester Mutter und ihrer Liebe geleitet werden? Die Glückselige freut sich nun wohl, daß sie eingegangen ist in den Himmel für ihre guten Werke, aber weh uns, daß sie uns so schnell verwaist auf Erden zurück gelassen hat. Wer hat je eine solche Liebe gegen seine Kinder gezeigt, als diese gütigste Mutter gegen uns? Wer Könnte es aussprechen und beschreiben, mit welchem Gemüt sie unsere Schwäche trug und unaufhörlich für unsere Sünden Gott anflehte?“
Die hl Rusticola ist im Jahre 632 nach Christi Geburt gestorben; bevor man 700 zählte, sind alle die übrigen Klosterfrauen, welche so schmerzlich ihren Tod beklagten, auch gestorben. Wenn sie treue Töchter ihrer geistlichen Mutter bis an ihr Ende verblieben sind, so hat sich ihr großer Schmerz schon längst im Himmel in unermessliche Freude verwandelt. Der Unterschied ist aber der: ihr Schmerz und Jammer über den Verlust der geliebten Äbtissin währte Tage und Wochen lang. Hingegen ihre Wonne, sie wieder bei Gott gefunden zu haben, währt in gleicher Frische jetzt schon gegen zwölfhundert Jahre, und wird währen bis zum jüngsten Tag, und über den jüngsten Tag hinaus in alle Ewigkeit. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 3 Juli bis September, 1872, S. 233 – S. 238