Heiligenkalender
22. Mai
Die heilige Julia Jungfrau und Märtyrerin
Um das Jahr 439 erstürmten die arianischen Vandalen unter ihrem König Genserich die Stadt Karthago. Mit der den Vandalen und den Ketzern eigenen Grausamkeit fiele sie über die dortigen Katholiken her, plünderten ihre Kirchen, schändeten ihre Heiligtümer, marterten ihre Priester, mordeten oder verkauften als Sklaven die Einwohner. Dieses traurige Los traf auch Julia, die Tochter adeliger Eltern, eine Schönheit an körperlicher Wohlgestalt und feiner Bildung wie an tiefer Religiosität und Nächstenliebe. Sie wurde von Eusebius, einem syrischen Kaufmann, als Sklavin gekauft, der noch Heide (…) war. Die ungeheure Veränderung in den äußeren Lebensverhältnissen Julia`s, der Wechsel des Reichtums mit der Armut, der Verehrung mit Verachtung, des Befehlens mit dem Gehorchen, der Freiheit mit der Sklaverei hätte ein weniger starkes und begnadigtes Herz gebrochen: sie aber fand in den göttlichen Wahrheiten und Verheißungen des Christentums den schützenden Schild gegen die Schläge des Unglückes, und in ihrer innigen Liebe zu Jesus Christus. Der – vom Thron göttlicher Majestät und Herrlichkeit herabsteigend – freiwillig Armut, Ermattung, Schmach und Todesschmerzen zu unserer Erlösung geduldet, die kräftigste Aufmunterung zu ausdauernder Geduld.
Julia gewann durch ihre Sanftmut und Sittsamkeit und durch unermüdlichen Fleiß und gewandte Geschicklichkeit eine solche Achtung bei ihrer Herrschaft, daß Niemand im Hause ihr unanständig zu begegnen wagte. Jeden Augenblick, den sie zu erübrigen wußte, durfte sie zur Lesung frommer Bücher, die sie von Christen heimlich erhielt, und zur Betrachtung des Leidens Jesu, dessen Schmerzen an der Seele und am Leibe von der Todesangst am Ölberg bis zur Kreuzigung auf Golgotha ihr stets vor Augen schwebten, benützen. Oftmals, wenn ein Kummer sie drückte oder eine Gefahr ihr drohte, oder eine Versuchung anstürmte, küßte sie ihr kleines Kruzifix, das sie verborgen auf der Brust trug, inniglich flehend: „O Jesu, Du wolltest leiden und so in deine Herrlichkeit eingehen, erbarme Dich meiner und hilf mir, daß auch ich aus Liebe zu Dir leide! Mit Freuden trage ich die Sklavenketten, weil sie mich Dir, o Jesu, ähnlich machen und mir den Weg bereiten zu der Pforte des Heiles.“ Sie war stets fröhlich und heiter, fastete alle Tage mit Ausnahme des Sonntages und entsagte allen Vergnügungen, um die Gnade Gottes zur Bewahrung ihrer Keuschheit sich zu erbitten.
Nach einigen Jahren unternahm Eusebius eine Handlungsreise nach Europa, und Julia nebst andern Dienern musste ihn begleiten. Als sie auf der Insel Korsika bei Kapo-Korso landeten, waren dort die Heiden gerade versammelt zu einem Nationalfest, um ihren Göttern zu opfern. Eusebius mit seiner Begleitung ging in den Tempel, um das Fest mitzufeiern, nur Julia blieb zurück, kniete nieder und betete mit ausgespannten Armen und mit Tränen des Mitleids, daß doch Gott die Blindheit dieser Heiden heile, sie aus der Knechtschaft ihrer Götzen erlöse und zur Erkenntnis seiner Liebenswürdigkeit führe.
Diese Äußerungen hörten mit Befremden einige Beamte des Statthalters dieser Insel und fragten sie, warum sie nicht zum Fest gehe und am Opfer teilnehme. Julia bekannte ihnen freimütig: „Ich bin eine Christin und opfere nur dem Einen wahren Gott und nicht den falschen Götzen, die keiner Verehrung wert sind.“ Die Beamten hinterbrachten ihrem Herrn – Felix – die Entdeckung, daß auf dem Schiff des Eusebius eine hübsche Christin sei, welche gar verächtlich von ihren Göttern spreche. Felix, ein bitterer Christenfeind, wurde wie besessen von der Begierde, diese christliche Sklavin in seine Macht zu bekommen. Während der Tafel, zu der er den Eusebius geladen hatte, machte er diesem Vorwürfe, daß er seiner Sklavin gestatte, die Staatsgötter zu verachten und den Christengott anzubeten. Eusebius entschuldigte sich, daß er sich schon viele Mühe gegeben, Julia von ihrem Glauben abwendig zu machen; aber eher wäre sie bereit zu sterben; übrigens sei sie sehr treu und geschickt im Hauswesen, voll Anmut und Wohlgefälligkeit, ihm die liebste von allen – die Perle seiner Sklavinnen. Dieses seltene Lob reizte die Neugier des Felix, er sah die Jungfrau und entbrannte in begierlicher Liebe; er drängte den Kaufmann, sie ihm zu überlassen, und bot ihm einen hohen Preis oder vier seiner schönsten Sklavinnen; aber Eusebius erklärte: „Du machst dir vergeblich Mühe; dein ganzes Vermögen wiegt Julia`s Wert nicht auf, diese Perle ist nicht feil.“
Felix beschloß, durch eine schändliche List zu erreichen, was klingendes Gold nicht vermochte: er lud den Kaufmann zu einem Gelage ein und ließ ihm von Rosen bekränzten Dienerinnen unter süßen Schmeicheleien Becher um Becher einschenken, bis er vom Weine betäubt einschlummerte.
Inzwischen ließ er Julia herbeiholen; in der stolzen Meinung, durch einige Schmeicheleien ein jedes Weib sich willfährig machen zu können, lobte er freundlich ihre Jugend und Schönheit, heuchelte Mitleid mit ihrem harten Schicksal als Sklavin und versprach ihr die Freiheit, wenn sie den unsterblichen Göttern opfere. Julia erwiderte: „Ich bin frei, so lange ich Christo diene, und wünsche mir auf dieser Welt keine andere Freiheit, als diese, den allein wahren Gott zu lieben und Ihm zu dienen in der Einfalt meines Herzens: eure Götzen verachte ich und zittere schon vor dem Gedanken, ihnen jemals Ehre zu erweisen; lieber will ich für meinen Glauben sterben.“
Ergrimmt über diese freimütige Antwort, schlug der Statthalter ihr ins Gesicht, daß ein Blutstrom aus ihrem Munde quoll; Julia aber freute sich, um des heiligen Glaubens willen leiden zu dürfen und sprach sanft: „Mein Jesus und Erlöser hat auch schimpfliche Backenstreiche empfangen: wie habe ich wohl die Ehre verdient, seiner Schmach teilhaftig zu werden!“ Felix hielt diese Sprache für Hohn, ließ sie auf die Folterbank spannen und blutig geißeln. Julia frohlockte zum Himmel empor: „O Jesu, Du bist auch gegeißelt und noch mit Dornen gekrönt worden; Preis und Dank sei Dir, daß Du mich würdigst, Dir durch die Marter gleichförmiger zu werden.“ Während dieser Peinigung wiederholte Felix beständig die Zusicherung: „Entsage deinem Glauben und opfere den Göttern, so will ich Leid und Schmach von dir nehmen.“ Und Julia erwiderte ebenso oft: „Nein, dazu kannst du mich nicht bringen, und sollte ich auch, wie mein Jesus, gekreuzigt werden.“ „Ha, das soll dir zu Teil werden“, schrie der Tyrann, befahl den Henkern, eiligst ein Kreuz herbei zu schaffen und dieser halsstarrigen Närrin ihren Wunsch zu erfüllen.
Mit Dank erfülltem Herzen betete nun Julia: „O mein Gott, nimm auf das Opfer meines Lebens und erweise Barmherzigkeit meinen Mördern!“ Kaum hatten die letzten Hammerschläge die Nägel durch ihre Glieder getrieben, als Gott schon ihre reine Seele zu sich nahm, und im Augenblick des Hinscheidens sah man eine weiße Taube zum Himmel empor schweben. Inzwischen war Eusebius wohl erwacht; aber er kam zu spät, um seine treue Sklavin zu retten.
Durch göttliche Fügung kam ihre Leiche nach Gorgona, einer kleinen Felseninsel bei Toskana, wo die Mönche sie in ihrer Kirche beisetzten. Im Jahre 763 ließ sie der Langobarden-König Desiderius nach Brescia übertragen, wo auf ihre Fürbitte viele Wunder geschahen und später unter ihrem Namen ein berühmtes Frauenkloster aufblühte. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 391 – S. 392