4. Advent Die Berufung von Johannes

4. Advent: Die Berufung von Johannes

Predigt zum vierten Sonntag im Advent

4. Advent Die Berufung von Johannes dem Täufer (Luk. 3, 1 — 6)

Um ein recht merkwürdiges, großes, einflussreiches Ereignis für alle Zukunft unvergesslich zu machen, und dessen Glaubwürdigkeit gegen alle Zweifel sicher zu stellen, werden in der Geschichte gewöhnlich alle Umstände und Verhältnisse jener Zeit aufgezeichnet, und die Männer genannt, welche zu eben der Zeit an der Spitze der weltlichen und geistlichen Herrschaft und Regierung der bürgerlichen und kirchlichen Ordnung gestanden sind.

Ebenso haben auch die heil. Evangelisten, und namentlich der heil. Lukas genau alle Umstände und Verhältnisse aufgezeichnet, unter welchen Johannes der Täufer aufgetreten ist, die Ankunft des verheißenen Messias anzukündigen und die Herzen der Juden zu dessen Empfang vorzubereiten. Es werden die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten genannt. „Im fünfzehnten Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius, heißt es, als Pontius Pilatus Landpfleger in Judäa war, Herodes Vierfürst in Galiläa, dessen Bruder Philippus Vierfürst in Ituräa und in der Landschaft Trachonitis, Lysanias, Vierfürst in Abilene, unter den Hohenpriestern Annas und Kaiphas erging das Wort des Herrn an Johannes, des Zacharias Sohn in der Wüste.“

Warum wird nun dieses Auftreten des Johannes so genau bestimmt? Was hat sein Auftreten gerade zu dieser Zeit für eine Bedeutung? Was haben wir von der Art und Weise seiner Berufung und von dem Inhalt seiner Predigt zu lernen? Diese Fragen wollen wir uns nun näher zu Gemüte führen, um den Inhalt des heutigen Evangeliums kennen zu lernen.

1) Warum wird dieses Auftreten des Johannes so genau bestimmt? Mit dem Auftreten des Johannes trat die Offenbarung Gottes, die durch Christus den Menschen kundgegeben wurde, eigentlich in die Geschichte ein. Von dem Augenblick an, als Johannes am Jordan erschien und die nahe Ankunft des Messias und seines Reiches mit den Worten verkündete: „Tut Buße, das Himmelreich ist nahe,“ gehört die Religion Jesu, das Christentum seiner äußeren Erscheinung nach, der Geschichte an.

Sie ist keine Religion eines philosophischen Systems, sie ist keine von den dunklen Überlieferungen, deren Ursprung man nicht kennt, sondern sie hat einen Anfang gehabt. Das Auftreten ihres Heroldes, ihres Verkünders, das sie zur geschichtlichen Tat machte, ist also für sie ein höchst wichtiges Ereignis, das der heil. Geist aufzeichnen ließ mit allen jenen Umständen, unter denen es geschah, um der Religion Jesu den unvertilgbaren Stempel der Unleugbarkeit einer geschichtlichen Tatsache aufzudrücken.

Es werden die Personen, die Orte, die Zeitumstände genau angegeben. Tiberius ist damals Kaiser des römischen Reiches, Pontius Pilatus ist römischer Landpfleger, Annas und Kaiphas sind die Hohenpriester gewesen. Man weiß also genau den Anfang des Christentums, den es in der Zeit genommen hat. Was geschehen ist, ist vor den Augen der ganzen Welt geschehen. Man kann eine solche Begebenheit, die einen solchen Charakter der Größe und Wahrheit hat, nicht leugnen; es reicht keine Verachtung, kein Spott hin, sie zu vernichten. Sie ist Tatsache.

Noch mehr, sie ist eine göttliche Tat, weil sie sich auf Weissagungen gründet, durch welche Gott genau die Zeitumstände vorher verkünden ließ, unter denen der verheißene Messias, der Stifter dieser göttlichen Religion ankommen werde: „Der Zepter wird nicht von Juda weichen, der Heerführer nicht von seinen Lenden, bis der kommt, der gesandt werden soll, auf den die Völker warten.“ 1. Mos. 49, 10.

Das heißt: die Juden sollten so lange ein eigenes Königreich bleiben und so lange sollten sie aus ihrem eigenen Stamm Könige haben, bis der Messias kommt; wenn Judäa kein Königreich mehr sein wird, wenn die Juden keinen König und keinen Fürsten aus ihrem eigenen Volke mehr haben werden, dann wird der erwartete Heiland der Welt kommen.

Und genau diese Zeit war es, als Johannes auftrat und verkündete, der Heiland der Welt sei da, er stehe schon in ihrer Mitte. Judäa war kein Königreich mehr, es war nur mehr eine römische Provinz, da es die Römer schon lange unter ihre Gewalt gebracht hatten. Kaiser Tiberius wird deshalb auch als der Oberherr über Judäa zuerst unter den weltlichen Regenten genannt, welche damals die Herrschaft führten.

Die Juden hatten auch keinen König mehr, denn als Herodes der Große im zweiten Jahre nach Christi Geburt gestorben war, hatte auch der Schein eines Königreiches und eines Königs für Judäa ein Ende.

Das Reich wurde unter seine drei Söhne Archelaus, Philippus und Herodes Antipas geteilt, und diese nicht mehr Könige genannt, sondern Vierfürsten, d. i. Fürsten über einen Teil (den vierten oder dritten) des Reiches. Und selbst diese waren schon nicht mehr aus dem Stamme Juda, sondern Enkeln des Idumäer Fürsten Antipater, dessen Sohn jener Herodes war, der den Hyrkan, den letzten Abkömmling der Makkabäer, hatte hinrichten lassen. Endlich wurde auch dem Archelaus sein Anteil, Judäa genommen, und an seiner Statt römischen Landpflegern gegeben, von denen Pontius Pilatus der fünfte war.

Judäa war kein ganzes Reich, kein Königtum mehr, die Juden hatten keinen König mehr; das musste die Zeit sein, zu welcher der Messias kommen sollte; Johannes tritt auf, und verkündet die wirkliche Ankunft des Messias, und allen Völkern zum Zeugnis der in Erfüllung gegangenen Weissagung wird das Auftreten des Johannes so genau bestimmt, damit wir durch die genaue Übereinstimmung der Zeitumstände mit der Verkündigung der geschehenen Ankunft des verheißenen Heilandes einen unumstößlichen geschichtlichen Beweis von der Wahrheit der göttlichen Offenbarung haben.

2) Was hatte aber das Auftreten des Johannes für eine Bedeutung? Die Zeit, zu welcher Johannes auftrat, gab seinem Auftreten eine besondere Bedeutung. Es war ein Aufruf an alle Juden, die Augen aufzumachen, die Sachlage der Zeit zu betrachten, sie mit den göttlichen Verheißungen zu vergleichen, und daraus den Schluss zu ziehen: wenn je die Verheißung Gottes zur Wahrheit werden soll, wenn je unser Erwarten eines Messias befriedigt werden soll, so muss das jetzt, zu dieser Zeit geschehen.

Das Reich Juda war ganz und gar in Zerrüttung gekommen, die bürgerlichen und kirchlichen Verhältnisse waren durcheinander gemengt. Die weltlichen Fürsten, die sich in das ganze Land geteilt hatten, waren teils ungläubig und gottlos, teils lasterhaft und blutdürstig, der lebendige Ausdruck des Charakters der ganzen damaligen Zeit; die Synagoge, d. i. die Kirche des mosaischen Gesetzes, war in völliger Abhängigkeit von der weltlichen Herrschaft; die römischen Landpfleger schalteten nach Willkür über das Hohepriestertum, und setzten die Hohenpriester ein und ab nach Gunst und Geld. Daher kam es auch, dass zu dieser Zeit zwei Hohepriester waren, Annas und Kaiphas, die in ihrer amtlichen Wirksamkeit abwechselten, obgleich nur Ein Hoherpriester sein sollte.

Kurz — es ging nichts mehr zusammen, und jedermann sah ein, dass nur eine außerordentliche Hilfe von Gott kommen müsse, und keine Zeit mehr auf die Ankunft des Verheißenen hinweise als diese. Als denn Johannes auftrat, machte er auch sogleich großes Aufsehen; die Leute gingen scharenweise zu ihm an den Jordan hinaus, und waren sogar geneigt, ihn selbst für den verheißenen Messias zu halten. Das Auftreten des Johannes war aber auch eine Anmahnung zur Buße, um sich auf den Empfang und die Aufnahme des ankommenden Heilandes vorzubereiten.

Es war auch in den Propheten vorausgesagt, dass vor der Ankunft des Messias eine allgemeine Sinnesänderung und Umkehr zu Gott geschehen müsse, und dass ein Mann in der Wüste auftreten werde, der diese Sinnesänderung predigen, zu dieser Rückkehr zu Gott auffordern werde.

Diese Voraussagung war allen Juden bekannt. Da stand nun der Mann in der Wüste, und predigte in Wort und Wandel Buße. Alles, was die Augen nicht freiwillig zuschloss, musste sehen, dass diese Zeit eine außerordentliche sei, und dass man ihrer Strömung nicht ohne Gefahr, der außerordentlichen Gnaden, die nun Gott bereitet hatte, verlustig zu werden, widerstehen könne; der Herr halte nun selbst eine Ansprache an die Menschen, die man nicht überhören dürfe, wenn man des Heiles, das er anbiete, teilhaftig werden wolle.

Zu jeder außerordentlichen Zeit hält der Herr auf gewisse Weise Ansprache an die Menschen, und bedient sich dazu großer Ereignisse, die uns auf die Nähe Gottes mit seinem Gericht, aber auch mit seinen Gnaden aufmerksam machen soll, für unser Heil Sorge zu tragen. Er erweckt zu solchen Zeiten immer auch erleuchtete seeleneifrige Männer, die ihre Stimme erheben, und, je verkommener der Sittenzustand der Zeit ist, desto lauter zur Sinnesänderung auffordern und zur Buße anmahnen.

Eine ähnliche Zeit ist unsere Zeit. Sie ist nahe daran, ein schweres Gericht Gottes zu erfahren. Aber er lässt uns auch auf mannigfache Weise zur Buße einladen. Die Missionen z. B., welche nun wieder wie in früheren Zeiten gehalten werden, sind eine nicht geringe Stimme, wodurch die Menschen zur Buße und Bekehrung gebracht werden sollten. Wir leben in einer außerordentlichen Zeit, Geliebte, sehen wir zu, dass wir den Mahnungen Gottes Gehör geben.

3) Was haben wir endlich von der Art und Weise des Berufes des Johannes und von dem Inhalt seiner Predigt zu lernen?

Als Johannes von Gott berufen wurde, als Verkündiger des Reiches Gottes hervorzutreten, befand er sich in der Wüste, wohin er sich schon in seiner Jugend zurückgezogen hatte. Sieh da, in der Einsamkeit spricht Gott zu Johannes, in der Einsamkeit hört er und versteht er den Ruf, der an ihn erging. Ach warum hören so viele Gottes Stimme nicht und verstehen sie nicht? Weil sie nie aus den Zerstreuungen der Welt herauskommen. „Wird man die Wunder des Herrn in der Finsternis und seine Gerechtigkeit im Lande der Vergessenheit erkennen?“ sagt der Psalmist von den Zerstreuungen, denen man in der Welt hingegeben ist.

„Ich wollte gerne mit den Menschen reden, offenbarte Gott der heil. Theresia, ich wollte mich ihnen gerne offenbaren, allein ihr Herz ist entweder von den Geschöpfen dergestalt eingenommen, dass es mir keinen Augenblick übrig lässt, um ihm meine Gesinnungen einzuflößen, oder von dem Geräusch der Welt so sehr betäubt, dass es meine Stimme nicht hören kann.“

Wollen wir Gottes Stimme vernehmen, so müssen wir uns notwendig je zuweilen in die Einsamkeit zurückziehen. Die heilige Adventszeit bietet uns ja gerade die rechte Gelegenheit dazu dar. Wie sollen wir denn diese heilige Zeit anders zubringen als still und ruhig und zurückgezogen, um uns auf den Empfang des Herrn würdig vorzubereiten? Das lehrt uns ja auch der Inhalt der Predigt des Johannes. —

Was dieser Mann, der dem Messias vorhergehen werde, predigen würde, das hatten die Propheten schon vorausgesagt. Er werde die Stimme Gottes sein, welche in der Wüste ruft: „Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Fußsteige. Jedes Tal soll ausgefüllt, jeder Berg und Hügel soll erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade, was rauh ist, soll ebener Weg werden.“ Das heißt also: dieser Mann werde Bekehrung und Buße predigen; denn diese Ausdrücke sind lauter Bilder, durch welche die Sinnesänderung, die Bekehrung und Buße vorgestellt wird.

Durch diese müssen wir uns auch auf die heilige Feier der Geburt Christi vorbereiten, denn sie ist eine geistige Ankunft Jesu in unserem Herzen. Nach jenem prophetischen Wort muss aus unserem Herzen alles entfernt werden, was das geringste Hindernis gegen die geistige Ankunft in unserem Herzen sein könnte. Unsere Gesinnungsweise muss eine solche werden, die mit der Gesinnung Jesu Christi übereinstimmt. „Also sollt ihr gesinnt sein, wie Jesus Christus gesinnt war“, sagt der Apostel. An die Stelle des Kleinmuts muss das Vertrauen, an die Stelle des Hochmuts die Demut, an die Stelle der Unlauterkeit die Reinheit des Herzens treten, jede Begierlichkeit und Leidenschaft muss zum Schweigen gebracht werden.

Bringen wir diese heilige Zeit in solchen Übungen zu, und der Herr wird uns mit seinem Ankommen in unserem Herzen begnadigen. Amen. –
aus: Dr. Fr. Xaver Maßl, Kurz und gut über die sonntäglichen Evangelien des ganzen Jahres, 1852, S. 27 – S. 34

Siehe dazu auch den Beitrag:

Bildquellen

Verwandte Beiträge

Papst Gregor XVI. Quo Graviora
Über die Zahl der Auserwählten