Augustinus gegen den Pelagianismus

Die Entwicklung der Lehren von Sünde und Gnade

Augustinus im Kampf gegen die Irrlehre des Pelagianismus

Nachdem die Erkenntnis des innergöttlichen, trinitarischen Lebens immer mehr geklärt und das Leben der Kirche, in welcher der Vater durch den heiligen Geist den mystischen Leib seines Sohnes aufbaut, als Fortsetzung dieses Lebens nach außen erkannt war, blieb noch übrig, auch im Seelenleben des Gerechten den Abglanz dieses innergöttlichen Lebens immer klarer zu schauen. Auch hierfür hat Augustinus die Grundlage gegeben, auf der die spätere Theologie in ihrer scholastischen und mystischen Richtung weiter gebaut hat.

Augustinus war dafür besonders befähigt, da schon seine natürliche Psychologie ihn in der Menschenseele ein Abbild des trinitarischen Lebens sehen ließ. „Gott wohnt im innersten Herzen des Menschen“ (1), sagt Augustinus. Er meint damit den dreieinigen Gott. „Wer begreift die allmächtige Dreieinigkeit? Ich wünschte, die Menschen beachteten an sich selber diese drei Dinge: Sein, Erkennen, Wollen. Denn ich bin, ich erkenne, und ich will. Wissend und wollend bin ich. Ich weiß, daß ich bin, und daß ich will. Ich will mein Sein und mein Wissen. Wer imstande ist, der mag erkennen, welch ein untrennbares Leben in diesen Dreien ist, ein Leben, ein Geist, ein Wesen. Welch untrennbare und doch wahrhaftige Unterscheidung.“ (2)

In seinem großen Werk über die Heiligste Dreifaltigkeit hat Augustinus diese Gedanken weiter ausgeführt. In der Menschenseele ist das mit dem Selbstbewusstsein verbundene Gedächtnis der Inhalt der Fülle des Geistes. Aus ihm als dem Abbild des Vaters im trinitarischen Leben empfängt der Verstand in der Erkenntnis seinen Inhalt. Er ist das innere Wort des Geistes und somit ein Abbild des Logos, während der Wille, das seelische Vermögen der Liebe, als Verbindung beider und aus neiden hervorgehend ein Symbol der dritten trinitarischen Person darstellt. Der Inhalt von allen dreien aber ist bei der Selbsterkenntnis und Selbstliebe ein und dieselbe Wesenheit der Seele. Wir haben also in der Menschenseele selber die Einheit in der Dreiheit, die Gegensätze der Beziehungen bei der Einheit der Natur; „denn der Geist, der sich kennt und liebt, ist in seiner Liebe und Erkenntnis. Und die Liebe des sich liebenden und erkennenden Geistes ist im Geist und in seiner Erkenntnis. Und die Kenntnis des sich erkennenden und liebenden Geistes ist im Geist und seiner Liebe, weil er sich erkennend liebt und sich liebend erkennt.“ (3)

In dieser natürlichen Ebenbildlichkeit der Menschenseele mit dem dreieinigen Gott liegt ihre Anlage für die Gestaltung der übernatürlichen Ebenbildlichkeit. Den Anlass, die Wahrheit von der übernatürlichen göttlichen Ebenbildlichkeit der Menschenseele zur Entfaltung zu bringen, bot der Pelagianismus.

Pelagius war ein Laienmönch aus Irland, ein Mann von starkem Willen und strengster Aszese, der seiner ganzen Veranlagung nach zu einer Überbewertung der menschlichen Willenskräfte neigte und philosophisch einem flachen Rationalismus huldigte, den er auf das theologische Gebiet übertrug. Kurz vor dem Jahr 400 kam er nach Rom, wo er durch sein strenges Leben und seine ernsten Bußpredigten Eindruck machte und in dem Advokaten und späteren Mönch Cölestius einen begeisterten Anhänger gewann. Die Erstürmung Roms durch die Goten unter Alarich im Jahr 410 ließ beide nach Afrika fliehen. Von dort reiste Pelagius bald nach Palästina weiter, wo er von Bischof Johannes von Jerusalem freundlich aufgenommen wurde, aber bald dem gelehrten Hieronymus, den er persönlich beleidigt hatte (3), in die Hände fiel. Während Pelagius mit seinen Irrlehren möglichst zurück hielt, trat der radikalere Cölestius in Afrika damit öffentlich hervor und gewann den Bischof Julian von Eklanum in Süditalien als Bundesgenossen. Im Jahr 411 exkommunizierte eine Synode zu Karthago den Cölestius und verurteilte folgende sieben grundlegende Sätze der pelagianischen Irrlehre:

Adam ist von Gott sterblich geschaffen und wäre auch ohne Sündenfall gestorben;
die Sünde Adams hat nur ihm, nicht auch dem Menschengeschlecht geschadet;
die neugeborenen Kinder befinden sich in dem Zustand, in dem Adam vor der Sünde war;
die Kinder erlangen deshalb auch ohne Taufe das ewige Leben;
der Mensch kann aus eigener Kraft ein sündenloses Leben nach Gottes Geboten führen;
das jüdische Gesetz führt ebenso zum Himmel wie das Evangelium;
auch vor Christus (d. h. unabhängig von ihm) gab es Menschen ohne Sünde.

Mit Pelagius trat die Freigeisterei zum ersten Mal in die Geschichte der Kirche ein. Pelagius war der erste Aufklärer, der die christliche Glaubens- wie Sittenlehre auf der bloßen Vernunft aufzubauen versuchte. Dabei sollen die gute Absicht und sein sittenreines Leben, zwei Dinge, die wir bei späteren Aufklärern so oft vergebens suchen, nicht mißkannt werden. Auch Augustinus erkennt an, daß Pelagius aus Erbitterung über die, „welche bei ihren Sünden, statt ihren Willen anzuklagen, lieber die menschliche Natur anklagen und sich so zu entschuldigen suchen“ (4), in das entgegen gesetzte Extrem geraten war. Der Systematiker der pelagianischen Irrlehre war der erwähnte, weniger mönchisch gesinnte, früh verwitwete Julian von Eklanum, ein spitzfindiger Rabulist, der sich persönlich sehr unfein gegen den großen Bischof von Hippo benahm.

Obwohl die Vertreter des Pelagius die Leugnung der Erbsünde in den Mittelpunkt stellten, war es doch offensichtlich daß sie die übernatürliche Gnadenordnung überhaupt abstritten und einem deistischen Gottesbegriff sowie einer rein naturalistisch-moralistischen Lebensauffassung zuneigten und dadurch das Werk der Erlösung wie die Grundidee der christlichen Religion entwerteten. Die Gefahr dieser Irrlehre war umso größer, als der ihr zugrunde liegende Rationalismus in manchem noch das Gewand eines kirchlichen, übernatürlichen Denkens trug, dem sich die Vertreter dieser Häresie nicht ganz zu entwinden vermochten. Auch schien dieses optimistische System die stärkste Gegenströmung gegen den pessimistischen Manichäismus zu bilden, der die Natur als vollständig verderbt hinstellte. Wegen dieser Gefahr hat Augustinus seine gewaltige Geisteskraft in den Dienst dieses Kampfes gestellt und sich durch die Klärung der in Betracht kommenden Wahrheiten den Ehrentitel eines „doctor gratiae“ erworben.

Allerdings müssen wir uns hüten, in diesen Fragen bei Augustinus jene Terminologie zu suchen, die das Werk der Scholastik ist. Wir dürfen seine Ausdrücke nicht im Sinne der scholastischen Terminologie, sondern müssen sie im Sinne seines gesamten Systems und aus dem Zusammenhang deuten. So gebraucht Augustinus beispielsweise den Ausdruck Natur für den ursprünglichen Zustand der Menschen im Paradies, im Unterschied zum Zustand des Nur-Mensch-Seins, während wir diesen letzteren Zustand als den der Natur, jenen als den der Übernatur bezeichnen. Den Ausdruck peccatum = Sünde verwendet er auch im Sinne von Sündenfolge und Sündenursache und stellt ihm dann den Ausdruck reatus = sittliche Schuld im Sinne von Sünde zur Seite. Auch hebt er aus taktischen Gründen bei dem ursprünglichen paradiesischen Zustand jene Gaben Gottes an dene rsten Menschen besonders hervor, die wir als präternaturale bezeichnen, wie die Gabe der Unsterblichkeit, des Freiseins von der bösen Begierde usw., ohne diese von der rein übernatürlichen Gabe der heilgmachenden Gnade und der Berufung zur Anschauung Gottes scharf zu scheiden und letztere besonders zu betonen. (6) Dabei ist sich Augustinus des rein übernatürlichen Charakters des paradiesischen Zustandes klar bewußt und spricht diese Wahrheit in seiner Art aus, wenn er sagt, daß die ersten Menschen mit dem „Gewand der Gnade“ (7) umkleidet waren und „durch die Sünde innerlich entblößt wurden, da die Gnade sie verließ“. (8) Er spricht über den „wunderbaren Stand“ der ersten Menschen, der durch die Sünde verloren ging (9), so daß in Folge davon der Leib der animalischen Schwäche und Sterblichkeit anheim fiel, der Mensch aber doch den Adel der vernünftigen Seele behielt. Der Sündenfall führte den Tod der Seele herbei, die Rechtfertigung ist die Überführung in ein anderes Leben. (10)

Anmerkungen:

(1) De mus., VI, 48.
(2) Conf., XIII, 11.
(3) De trin.
(4) „Nuper indoctus calumniator erupit, qui commentarios meos in epistulam Pauli ad Ephesios reprehendendos putat“, sagt Hieronymus (praef. Libri I. in Jerem.) über Pelagius.
(5) De nat. et gratia, 1.
(6) Die Tatsache dieser präternaturalen Gaben beim ersten Menschen ist aus dem Wortlaut der Bibel so offenkundig, daß durch ihre Betonung die Irrlehre des Pelagianismus besonders deutlich zurückgewiesen werden konnte. Daß Adam und Eva die Gabe der Unsterblichkeit und des Freiseins von der bösen Begierde vor dem Sündenfall besaßen, aber nach dem Sündenfall nicht mehr hatten, ist in der Bibel ganz klar ausgesprochen. Daß seitdem alle Menschen ohne diese Gaben zur Welt kommen, zeigt die Erfahrung.
(7) „Indumento gratiae“; De civ. Dei, XIV, 17; vgl. zum ganzen Jos. Mausbach, Die Ethik des hl. Augustinus II. (1929), 113ff. Mausbach führt außer den hier zitierten noch weitere Belegstellen an.
(8) Den Gen. ad litt., 11, 41.
(9) „Amisso statu mirabili.“
(10) „Translatio in aliam vitam“; De spir. et litt. 48. –
us: Konrad Algermissen, Konfessionskunde, 1939, S. 246 – S. 249

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