Wenn Gemeinden ohne katholische Seelsorger sind
Die vollkommene Reue eine Gnadenquelle im Leben und ein Rettungsanker im Tode.
IV. Wie kann die vollkommene Reue erweckt werden?
Diese Frage ist die wichtigste. Mit Recht sagt der gottselige Thomas von Kempen: „Lieber ist es mir, Zerknirschung des Herzens zu empfinden, als erklären zu können, was sie ist.“ Manche stellen sich die vollkommene Reue zu schwer vor, als etwas, das nur für erhabene heilige Seelen erreichbar sei. Das ist irrig. Jeder Mensch, auch der einfältigste und ungelehrteste, auch der größte Sünder, kann und soll sie erwecken, ja unter Umständen hängt sein ewiges Heil davon ab. Andererseits darf man sich diese Reue auch nicht zu leicht denken. Es gehört vielmehr von Seiten des Menschen ein fester entschiedener Wille, von Seiten Gottes eine besondere, eine außerordentliche Gnade dazu. Gott versagt aber diese Gnaden Keinem, der ihn inständig darum bittet und selbst nach Kräften mitwirkt.
Viele Worte tun es nicht, die Reue muss im Herzen sein. Der hl. Franziskus seufzte einstmals eine ganze Nacht zu Gott: „O mein Gott und Alles! O mein Gott und Alles: o du allersüßester mein Gott und alles!“ Das war eine vollkommene Liebe. In ähnlichen kurzen Anmutungen kann die vollkommene Reue erweckt werden. David, welcher sich eines Ehebruches und Mordes schuldig gemacht hatte, sprach nur: „Ich habe dem Herrn gesündigt“, und gleich hörte er von Propheten die Worte: „So hat der Herr auch deine Sünde hinweg genommen.“ 2. Kön. 12. Der Zöllner schlug an seine Brust sprechend: „Herr, sei mir Sünder gnädig“, und er ging gerechtfertigt nach Hause. Lukas 18. Beide hatten in ihrem Herzen eine innige Liebe zu Gott und einen überaus großen Schmerz wegen der Beleidigung, welche sie ihm zugefügt, zugleich mit dem festen Willen, sich zu bessern und genugzutun, obschon sie nicht dieses Alles durch Worte ausdrückten.
Das sicherste Kennzeichen der vollkommenen Reue sind entsprechende Taten, nämlich baldige Beichte, wenn sie möglich, wahrhafte Lebensbesserung, Flucht der Gelegenheiten, Aussöhnung mit dem Nebenmenschen, Bußwerke, Eifer imGebet, in Erfüllung der Standespflichten, in Ausübung der Nächstenliebe usw. Die vollkommene Liebe und Reue ist kein aufflackerndes und bald erlöschendes Strohfeuer, sondern eine das Herz entzündende und andauernde Glut. Durch öftere Erweckung empfängt die innere Glut neue Nahrung und wird zur Flamme angefacht. Herzliche Reuetränen, wie bei Magdalena und Petrus, sind eine besondere Gnade, aber keineswegs notwendig.
Die vollkommene Reue ist, wie gesagt, eine Gnade, welche durch Gebet und Mitwirkung erlangt wird. Darum bete öfter und mit Inbrunst um eine wahre herzliche Liebesreue. Rufe die heiligen Büßer um ihre Fürbitte an, wende dich an Maria, die Zuflucht der Sünder. Weil man ferner seine Sünden, um sie zu bereuen, erste erkennen muss, so erforsche fleißig dein Gewissen, wo möglich jeden Abend (namentlich über deinen Hauptfehler). Die Selbstprüfung und Selbsterkenntnis wird dir die Augen darüber öffnen, wie zahllose und große Beleidigungen du seither schon deinem Gott zugefügt hast. Strafe dich selbst durch Bußwerke je nach deinen Verhältnissen und der Größe deiner Vergehungen. Solche Werke sind: Fasten oder wenigstens ein kleiner Abbruch in Speise und Trank, Abtötung der Augen, der Zunge, Enthaltung von einem erlaubten Vergnügen, ein Almosen, insbesondere die geduldige Ertragung von Leiden und Beschwerden als Buße für die Sünden. Endlich erwäge öfters die nachfolgenden Beweggründe der vollkommenen Reue. Du brauchst selbe nicht immer alle auf einmal durchzugehen, sondern kannst bei dem einen oder andern Punkt, welcher dich besonders ergreift, stehen bleiben und in herzlichen Anmutungen die Liebesreue erwecken. „Viele sind meiner Seufzer und mein Herz ist betrübt.“ Klagel. 1, 22. –
aus: Gemeinden ohne Seelsorger, Der Tod ohne Priester. Die vollkommene Reue. Ein Lehr- und Trostbüchlein für römisch-katholische Christen, Mit kirchlicher Approbation, 2. Auflage, 1874, S. 48 – S. 50
siehe dazu auch das Gebet der vollkommenen Reue