Der hl. Johannes, Apostel und Evangelist, hat die Geheime Offenbarung geschrieben
Der Verfasser der Apokalypse nennt sich viermal Johannes (1, 1 u. 4 u. 9; 22, 8) Eines Zusatzes dazu bedurfte es für die Leser nicht. Nur ein einziger Träger dieses Namens kam in Betracht: der greise Apostel des Herrn. Von keinem andern hätten sich die „Engel“ der sieben Gemeinden so bittere Wahrheiten sagen und so eindringliche Mahnungen erteilen lassen. Es geht also nicht an (wie es Dionysius von Alexandrien tat, weil er den Apostel von den vermeintlichen Irrtümern des Buches reich waschen wollte), irgend einen Presbyter Johannes als Verfasser anzunehmen. Die Vertrautheit mit dem Alten Testament, die unleugbaren Anklänge an die Ausdrucksweise und die Gedankenwelt des vierten Evangeliums (Logos, Lamm, lebendiges Wasser, Licht, Zeugnis, Weinstock, Braut, Gesicht, Bewahren des Wortes, weiden, Wohnen im Zelt), ferner das schriftstellerische Geschick, womit im vierten Evangelium und in der Apokalypse die Szenen oft sich ganz dramatisch aufbauen, sind ebenso viele Zeugnisse dafür, daß die alte Überlieferung recht hat, wenn sie den Verfasser des letzten Evangeliums, den Apostel Johannes, auch für den Verfasser der Offenbarung hält. Zeugnis dafür geben schon Justin der Märtyrer († 215), das Muratorische Fragment (um 170), Irenäus († 202), Klemens von Alexandrien († 215) und Tertullian († 220). Bereits Melito von Sardes (um 170) hat, wie uns Eusebius meldet, einen Kommentar zur Apokalypse oder eine darüber handelnde Schrift verfaßt. Wenn dann vor allem in der Ostkirche zeitweise die Abfassung durch Johannes den Apostel bezweifelt wurde, sogar von Eusebius von Cäsarea und Dionysius von Alexandrien, so stützten sich die Bedenken nicht auf eine andere Überlieferung, sondern auf die vermeintliche Lehre des Chiliasmus in der Apokalypse und den Missbrauch des Buches durch chiliastische Schwärmer und Montanisten. In der Westkirche dagegen wurde nur vereinzelt, so von dem römischen Presbyter Cajus, ein Widerspruch gegen das kanonische Ansehen der Apokalypse laut. Und nachdem Athanasius, der große Führer der Ostkirche, während der Verbannung bei seinem Freund Maximin von Trier die Gründe für die Echtheit genauer kennen gelernt und darum das Buch als eine von den 27 neu-testamentlichen Schriften in seinem Osterfest-Brief vom Jahre 367 anerkannt hatte, verstummte mehr und mehr auch im Osten der Widerspruch. Am zähesten hielt er sich in der syrischen Kirche. Die neuerdings geltend gemachten sprachlichen und stilistischen Unterschiede zwischen der Apokalypse und dem Johannes-Evangelium erklären sich hinreichend aus der Zuziehung eines Schreibers durch den greisen Apostel. Adolf v. Harnack gesteht: „Ich bekenne mich zu der kritischen Ketzerei, die die Apokalypse und das Evangelium auf einen Verfasser zurück führt“ (Chronologie der alt-christlichen Literatur I 675) –
Herders Bibelkommentar Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/2 Die Apokalypse, 1942, S. 9 – S. 10
weitere Herders Bibelkommentare zur Geheimen Offenbarung siehe: Herders Bibelkommentare zur Apokalypse
Die Geheime Offenbarung bezeichnet sich selbst als Schrift des Johannes, des Knechtes Jesu Christi (1, 1. 4. 9.: 22, 8). Dieser Johannes ist nach der Überlieferung der ersten christlichen Jahrhunderte kein anderer als der Apostel Johannes der Lieblingsjünger Jesu. Der Apostelschüler Papias kannte das Buch und erklärte es für ein Werk des Apostels Johannes. Ebenso schreiben es der hl. Justinian, der hl. Irenäus, Melito von Sardes u. a. dem Apostel Johannes zu. Erst in späterer Zeit wollten einige diese Schrift dem hl. Johannes absprechen, weil die Chiliasten sich für ihre Meinung von einem tausendjährigen sinnlichen Freudengenuss der auferstandenen Märtyrer und Gerechten hienieden auf die Geheime Offenbarung (Kap. 20) beriefen. Sobald aber der Chiliasmus sein Ansehen verlor, verschwanden auch die Zweifel an der Echtheit dieser Schrift. –
aus: Das Neue Testament, übersetzt und kurz erläutert von P. Konstantin Rösch O.M.Cap., ausgeteilt durch Kriegshilfe Nationale Katholische Wohlfahrts Konferenz New York, 1928, S. 542