Das Geburtsfest des Herrn – ein Jahrestag in der Geschichte des christlichen Abendlandes
Weihnacht – Gründungstag des Abendlandes
Gründung des Frankenreiches
Um noch unauslöschlicher die Wichtigkeit eines so heiligen Tages dem Gedächtnis der christlichen Völker Europas, einer in den Ratschlüssen der göttlichen Barmherzigkeit bevorzugten Race, einzuprägen, hat der höchste Herr der Ereignisse es so gefügt, daß das große Reich der Franken auf Weihnachten gegründet wurde; an diesem Tage war es, wo in dem Baptisterium zu Reims, mitten unter dem Glanz der Feierlichkeiten, Clovis, der stolze Sicambre (Anm.: Chlodwig I.) sanft geworden wie ein Lamm, von dem heiligen Remigius in die Quelle des Heiles getaucht wurde, aus welcher er nur das Haupt empor hob, um unter allen neuen Reichen das erste katholische Reich zu begründen, das Reich der Franken, das schönste, hat man gesagt, nach dem des Himmels.
Ein Jahrhundert später kam die Reihe an die Angelsachsen. Der Apostel der britischen Inseln, der heilige Mönch Augustin, eroberte, nachdem er den König Ethelried zum wahren Gott bekehrt, man kann fast sagen im Sturme, die Seelen. Er zog gegen York und ließ dort das Wort des Lebens erschallen. Ein ganzes Volk verlangte auf einmal die Taufe. Der Weihnachtstag wurde zur Wiedergeburt dieser neuen Jünger Christi fest gesetzt, und als Taufbecken diente diesem Heer Neubekehrter der Fluss, der die Mauern der Stadt bespült. Zehntausend Männer, ungerechnet die Frauen und Kinder, steigen in die reinigenden Fluten hinab. Die Strenge der Jahreszeit schreckt diese neuen und glühenden Schüler des Kindes von Bethlehem nicht ab. Und doch kannten sie vor wenigen Tagen nicht einmal seinen Namen. Aus den eisigen Fluten steigt voll Freude und in Unschuld glänzend die ganze Schar der neuen Christen, und am Tag seiner Geburt zählt Christus eine Nation mehr in seinem Reich.
Gründung des Heiligen Römischen Reiches
Aber auch das war dem Herrn noch nicht genug, um den Tag der Geburt seines Sohnes zu ehren.
Eine andere, von den weittragendsten Folgen begleitete Tatsache sollte an diesem glücklichen Jahrestag ebenfalls ihre Entstehung finden. In der Basilika des heiligen Petrus zu Rom, während der Weihnachtsfeier des Jahres 800, wurde das heilige römische Reich gegründet, welchem die erhabene Aufgabe zugefallen war, das Reich Christi unter den noch rohen und wilden Völkerschaften des Nordens zu schirmen und die europäische Zusammengehörigkeit nach christlichen Grundsätzen zu bewahren. An diesem Tag setzte der heilige Leo III. Die Kaiserkrone auf das Haupt Karl`s des Großen; und die erstaunte Erde sah einen Kaiser, einen Augustus wieder, nicht mehr ein Nachfolger der Cäsaren, den Augustus des heidnischen Rom, sondern mit diesen glorreichen Titeln von dem Stellvertreter dessen bekleidet, der sich durch die Stimme der Propheten den König der Könige, den Herrn der Herren genannt hat. So hat Gott in den Augen der Menschen die Herrlichkeit des heute geborenen königlichen Kindes leuchten lassen; so hat er von Zeit zu Zeit alle Jahrhunderte hindurch reiche Gedenksteine dieser Geburt errichtet, welche Gott Ehre gibt, und Friede den Menschen. Künftige Jahrhunderte werden die Welt noch lehren, wie der Allerhöchste sich vorbehalten hat, an diesem Tage immer noch sich selbst und seinen Emmanuel zu verherrlichen.
In Erwartung dessen zählten die Nationen des Westens lange das Weihnachtsfest als den Jahresanfang. Man ersieht dies aus alten Kalendern, aus den Märtyrer-Berichten von Usuard und Ado, sowie aus einer großen Anzahl Bullen, Diplome und anderer Aktenstücke. Und es ist dies nicht ohne Begründung, wenn man einesteils die Würde eines solchen Festes, andernteils den Umstand erwägt, daß die Geburt Christi die Quelle aller auf die Wiedergeburt des Menschen bezüglichen Ereignisse ist. Dieser Gebrauch dauerte viel länger, als man gewöhnlich annimmt. Ein Konzil in Köln um`s Jahr 1318 sagt uns, daß dies noch um diese Zeit dort üblich war… –
aus: Dom Prosper Guéranger, Die heilige Weihnachtszeit, Bd. 2, 1892, S. 140 – S 142