Gnadenorte unserer himmlischen Himmelskönigin
Und wie das Gnadenbild Unserer Lieben Frau von der Stadt Soest nach Werl kam
Das Gnadenbild, welches heut zu Tage in Werl von zahlreichen Andächtigen verehrt wird, befand sich in alter Zeit in der Stadt Soest, in der Pfarrkirche zu Wiesen genannt. Damals schon hatten nicht bloß die Bewohner der Stadt, sondern auch die weite Umgegend in ihren Nöten und Anliegen bei diesem Gnadenbild Hilfe gesucht. Besonders groß aber wurde der Zulauf des Volkes durch eine wunderbare Begebenheit, welche sich mit dem edlen Junker von Schüren, der in den Jahren 1512 bis 1519 Bürgermeister der Stadt Soest gewesen, zutrug.
Dieser Herr war schon sehr alt und konnte Alters halber nicht mehr zum Bürgermeister gewählt werden, da er nicht mehr recht zu gehen vermochte. Einmal hörte er, als er in seiner Schlafkammer zu Bett lag, eine Stimme, die also sprach: Stehe auf, nimm das Bild U. L. Frau von der Wiesen und trage es nach Süstern zu dem Paradiese, dort soll man mir eine Hochmesse singen; darnach trage das Bild wieder nach Soest zurück in die Kirche zu der Wiese und stelle es an seinen Ort.
Der Bürgermeister gehorchte aber der Stimme nicht. Da hörte er ein anderes Mal dieselbe Stimme, darob er sehr erschrak. Er stand auf und ging zu seinem Beichtvater und fragte ihn, wie er sich bei dieser Sache wohl zu verhalten habe? Der gab ihm den Rat, er solle Weihwasser nehmen, wenn er zu Bette ginge, und sich damit besprengen. Sei die Sache etwas Gutes, so würde sich die Stimme schon deutlicher melden. Als nun der Bürgermeister so getan, da hörte er die Stimme zum dritten Male und weckte ihn vom Schlaf auf. Wie er die Augen aufmachte, sah er ein Licht, heller als die Sonne, und in dem Lichte das nämliche Bild vor sich stehen, wie es in der Kirche zur Wiese stand, und sprach zu ihm: „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nehmen das Frauenbild und es tragen zum Paradiese nach Süstern, wo man solle eine Messe singen, und dann sollst du das Bild wieder tragen nach Soest in die Kirche zur Wiese auf seine Stätte!“ Darauf sprach der Bürgermeister: „O ich armer sündiger Mensch, wie soll ich so etwas tun, dessen ich gar nicht würdig bin, und welchen Weg soll ich gehen?!“ Da antwortete die Stimme: „Du sollst nehmen das Bild auf deinen Nacken und gehen gen Skt. Walburgistor; da wirst du finden einen Hund, der dir den Weg zeigen wird.“
Der Bürgermeister gehorchte, nahm das Bild auf seinen Rücken, und ging eine Strecke weit. Da kam er auf einen unbekannten Weg, ganz mit Dornen bewachsen, so daß ihm davor graute. Doch sieh, der Hund stand da, und leitete ihn so sicher, daß er keinen Schaden litt. Als er vor das Paradies kam, da verließ ihn der Hund; er ward darob sehr betrübt, weil er nicht wußte, wohin er sich fürder wenden und wie er wieder nach Hause kommen könne. Doch als die Hochmesse gesungen war, da fand er den Hund wieder vor dem Paradies, und leitete ihn ebenso nach Hause, zur Skt. Walburgis-Pforte. Da sprach dieselbe Stimme zu ihm: „Dieses Umtragen meines Bildes soll alle Jahre den nächsten Sonntag nach U. L. Frauen Geburt geschehen.“ Als aber der Bürgermeister gestorben war, da achtete man nicht mehr auf den Befehl der Stimme, und das Umtragen des Bildes unterblieb.
Da begann zu Soest ein großes Sterben an der Pest, so daß man das Umtragen des Bildes sogleich wieder hielt mit großer Feier und das Sterben hörte alsbald auf. Von dieser Zeit an unterließ man die Prozession nicht mehr, wie die alten Schriften melden.
Als aber die Irrlehre Martin Luthers im Jahre 1531 auch nach Soest sich einschlich, und der größte Teil der Bürger vom heiligen katholischen Glauben abfiel, da hat auch die Andacht zu U. L. Frau abgenommen. Das heilige Bildnis, bei dem so mancher Sünder Tränen der Reue vergossen, so viele Betrübte und Unglückliche Trost und Hilfe gefunden, welches jährlich zur Verherrlichung der Gottesmutter in Prozession feierlich herum getragen wurde, ward in einen dunkeln Winkel geworfen, und dort über 100 Jahre verborgen gehalten. Mit dieser Entehrung des heiligen Bildes gingen auch die Urkunden verloren von den Wundern, welche auf Fürbitte der Lieben Frau stattgefunden. Doch von denen, welche auf der dem Kurfürsten von Köln überreichten Tafel verzeichnet standen, sind noch folgende bekannt:
Ein Junker, von einer schweren Krankheit behaftet, lag todkrank darnieder. Seine Freunde verlobten ihn mit einem reichen Opfer zu U. L. Frau in der Pfarrkirche zur Wiese und er ward von Stund an gesund. Er selbst kam nachher nach Soest und vollzog dankbar sein Gelübde.
Zu Soest war ein Kind geboren, an welchem die Eltern drei Stunden lang kein Leben fanden. Sie riefen die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau an, verlobten das Kind zur Lieben Frau zur Wiese, und sobald sie das Gelübde getan, atmete das Kind auf und ward frisch und gesund.
Ein Mann, der über sieben Jahre blind gewesen, tat das Gelübde, Maria in ihrem wundertätigen Bilde zu Soest zu besuchen, und seine Andacht dort zu verrichten. Wie er das Gelübde gemacht hat, ward er sehend. –
Wie das Gnadenbild Unserer Lieben Frau von der Stadt Soest nach Werl kam
Der Kurfürst von Köln, Max Heinrich, ein gar frommer Diener der allerseligsten Jungfrau, hatte von diesem Bild gehört und suchte es in seinen Besitz zu bekommen. Er bot dem Magistrat von Soest eine bedeutende Summe Geldes dafür an, allein man willfahrte ihm nicht. Da trat ein Ereignis ein, welches dem Kurfürsten das geliebte Bild in die Hände brachte. – Es hatten sich nämlich einige Einwohner der Stadt Soest beikommen lassen, auf der Jagd die Grenzen zu überschreiten und somit das Recht des Kurfürsten zu verletzen. Der Kurfürst fand sich dadurch gekränkt und verlangte vom Magistrat zu Soest Genugtuung. Derselbe suchte anfänglich durch Bitten um Vergebung und durch Erlegung einer großen Summe Geldes die Sache beizulegen, allein der Kurfürst ließ sich nicht anders befriedigen, als daß die Bürger von Soest ihm das wundertätige Bildnis der Lieben Frau auslieferten. Wie nun der Magistrat von Soest sah, daß auf keinem andern Weg der mißliche Handel geschlichtet werden könne, hat er auf den Rat eines Edelmannes, Hermann von Brandis, der auch Bürgermeister der Stadt Werl gewesen, das genannte, hoch verehrte Bild der Lieben Frau in ein dazu eigens verfertigtes, schön geziertes Kistchen gelegt, und mit seinem Insiegel versehen, nebst einer Tafel, auf welcher mehrere Wunder, so bei dem Bild geschahen, verzeichnet waren, im Jahre 1661 am Fest aller Heiligen dem Kurfürsten auf seinem Schloss in Werl überreichen lassen.
Groß war die Freude des frommen Kurfürsten; er empfing das ehrwürdige Bild feierlich mit seinem ganzen Hofstaat und ehrte es höchlich. Des andern Tages ließ er den Guardian des Kapuziner-Klosters P. Eleazar zu sich bescheiden und überreichte ihm das Gnadenbild mit den Worten. „Wir haben das vertrauen, daß wir und unser ganzes liebes Vaterland durch die Verehrung dieses wundertätigen Bildes der gebenedeiten Gottesmutter des Himmels reichsten Segen erlangen werden.“ Zugleich erteilte er den Befehl, daß das eilige Bild in der Kapuzinerkirche aufbewahrt und dort zur öffentlichen Verehrung aufgestellt werde. Nun wurde das heilige Bild in feierlicher Prozession durch die PP. Kapuziner in ihr kleines, armes Kirchlein übertragen und von dieser Stunde an von Hoch und Nieder hoch geehrt. Von Tag zu Tag ward der Zulauf des Volkes immer größer, da bald auf die Fürbitte der glorwürdigen Gottesmutter wunderbare Gebets-Erhörungen stattfanden. Die Kirche wurde zu klein für die immer mehr wachsende Zahl der Andächtigen. Da ließen der edle Freiherr Theodor von Landsberg und seine Gemahlin Antonetta zur größeren Ehre Gottes und der gebenedeiten Mutter Christi die jetzige schöne Kirche auf ihre eigenen Kosten erbauen. Der fromme Kurfürst Maximilian kam öfters, um der Gottesmutter seine Huldigungen darzubringen, und opferte eine große silberne Ampel. Auch sein Nachfolger Klemens August und noch viele andere hohe Herren wallfahrteten zu dem Gnadenbild und brachten kostbare Gaben dar. Tagtäglich kamen Pilger von Nah und Fern, um durch die Fürbitte der mächtigen Himmelskönigin Hilfe in ihren Anliegen zu finden und ihr Flehen war nicht vergeblich es erfolgten große Wunder, die urkundlich verzeichnet worden sind. –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Erster Teil, 1869, Sp. 1016 – Sp. 1018 und Sp. 1033 – Sp. 1034