Das Leben und Leiden und der Tod Jesu
Die Kreuzabnahme und der Schmerz der Gottesmutter
Joh. 19,38. Nach diesem aber bat Joseph von Arimathäa, der ein Jünger Jesu war, aber ein heimlicher aus Furcht vor den Juden, den Pilatus, daß er den Leichnam Jesu abnehmen dürfe. Und Pilatus erlaubte es. Er kam also und nahm den Leichnam Jesu ab. – 39. Es kam aber auch Nikodemus, welcher vormals bei der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte eine Mischung von Myrrhe und Aloe, gegen hundert Pfund. – 40. Da nahmen sie den Leichnam Jesu und wickelten ihn samt den Spezereien in leinene Tücher ein, wie es die Sitte der Juden beim Begraben ist.
Luk. 23,50. Und siehe, ein Mann, Namens Joseph, ein Ratsherr, ein guter und gerechter Mann, – 51. der in ihren Rat und ihr Tun nicht eingestimmt hatte, aus Arimathäa, einer Stadt in Judäa, der selbst auch das Reich Gottes erwartete, – 52. dieser trat zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. – 53. Und er nahm ihn ab und wickelte ihn in Leinwand.
Mark. 15,42. Und als es bereits Abend geworden war (es war nämlich Rüsttag, das ist der Tag vor dem Sabbat), – 43. kam Joseph von Arimathäa, ein angesehener Ratsherr, der auch selbst auf das Reich Gottes wartete, und ging herzhaft zu Pilatus hinein und begehrte den Leichnam Jesu. – 44. Pilatus aber wunderte sich, daß er schon verschieden sei. Und er ließ den Hauptmann kommen und fragte ihn, ob er schon gestorben sei. – 45. Und da er es vom Hauptmann erfahren hatte, schenkte er dem Joseph den Leichnam, – 46. Joseph aber kaufte Leinwand, nahm ihn ab und wickelte ihn in die Leinwand.
Matth. 27,57. Als es nun Abend geworden war, kam ein reicher Mann von Arimathäa, mit Namen Joseph, der auch selbst ein Jünger Jesu war. – 58. Dieser trat zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. Da befahl Pilatus, daß man den Leichnam ausliefere – 59. Und Joseph nahm den Leib und wickelte ihn in reine Leinwand.
Trostlose Lage der Mutter Gottes
Unterdessen war es um das Kreuz immer abendlicher und stiller geworden (Mark. 15,42; Matth. 27,57). Die Soldaten waren damit beschäftigt, die Leiber der erschlagenen Schächer den Hügel hinunter zu der gemeinsamen Begräbnisstätte zu schleppen. Und während dieser Zeit hing der Leichnam des Herrn, weiß, von Streifen dunklen Blutes überronnen, rührend und Ehrfurcht gebietend am Kreuz. Mit unsäglichen Schmerzen betrachtete Maria diesen heiligen Leib, vomHeiligen Geist in ihrem Schoß gebildet, aller Zier und Gestalt und selbst der Seele beraubt, zerrissen und zerschlagen und in die Knie gesunken am Kreuz. Was sollte sie nun mit ihrem toten Sohn machen? Sie konnte ihn nicht einmal herab nehmen, hatte kein Grab für ihn. Ja er gehörte ihr nicht einmal mehr an. Er war das Eigentum des Pilatus und der Juden. Alles Bitten vor ihrer Seite konnte nur noch ärgere Misshandlung zur Folge haben. So fürchtete sie jeden Augenblick, daß die Soldaten wieder kämen und auch den Leichnam ihres lieben Sohnes fort schleppten in den Verbrecher-Friedhof. Es war in Israel eine Schmach, nicht im eigenen Familiengrab beigesetzt zu werden (3. Kön. 13,22; Jer. 26,23). Arm war die Mutter immer gewesen, arm in Bethlehem, aber nie fühlte sie so bitter die Armut als hier im Anblick der Leiche ihres Sohnes.
Die Abnahme vom Kreuz
Es waren gewiß qualvolle Augenblicke. Aber Gott tröstete sie.Schon hatte er gute Männer erweckt, welche die Ehre des Begräbnisses dem Heiland erweisen sollten. Es kamen Männer mit Dienern und allem Begräbnisgerät.
Es waren diese Männer Joseph von Arimathäa und Nikodemus. –
Joseph war von Arimathäa oder Ramatha (Rentis), reich (Matth. 27,57) und ein angesehenes Mitglied des Hohen Rates (Mark. 15,43), sonst hätte ihm Pilatus sicher nicht den Leichnam geschenkt; er war zugleich fromm und gerecht (Luk. 23,50); er übte ja in der Tat die Werke der Barmherzigkeit, indem er Jesus begrub (Tob. 1,21). Er erwartete das Reich Gottes und dem Messias (Luk. 23,51; Mark. 15,43) und war ein Anhänger und Schüler Jesu, bisher zwar nur im geheimen aus Furcht vor den Juden (Joh. 19,38; Matth. 27,57); in der Ratssitzung aber hatte er dem allgemeinen Urteil gegen Jesus nicht beigestimmt (Luk. 23,51) und sich damit von der Partei der Feinde Jesu auch öffentlich losgesagt. Dieser erste Schritt und die unerhörte Ungerechtigkeit und Grausamkeit an Jesus befähigten ihn zu einem zweiten, weit wichtigeren. Er beschloß, dem Heiland ein ehrenvolles Begräbnis zu bereiten, obgleich nach jüdischem Gebrauch die Verurteilten nur ein schmachvolles Begräbnis erhielten. Er besaß in der Nähe des Kalvarienfelsens ein neues Felsengrab, und in dem wollte er den Heiland bestatten (Matth. 27,60). Deshalb ging er mutig zu Pilatus (Mark. 15,43) und bat im Namen der Freunde und Verwandten um den Leichnam Jesu und um die Erlaubnis, ihn weg zu nehmen vom Kreuz (Joh. 19,38). Nach römischem Recht war dieses zulässig. Pilatus wunderte sich nun, daß Jesus schon tot sei; denn eben noch waren die Juden da gewesen, und hatten den Befehl erwirkt, ihn am Kreuz zu töten (ebd. 19,31). Um nun sicher zu sein, ließ er sich vom Hauptmann, der die Wache bei der Kreuzigung befehligte, Bericht erstatten und hörte, daß der Heiland wirklich gestorben sei (Mark. 15,44), und so schenkte er ohne Geld den Leichnam Joseph (ebd. 15, 45), erlaubte ihn vom Kreuz zu nehmen (Joh. 19,38), und befahl, ihm denselben auszuliefern (Matth. 27,58). Pilatus tat dieses teils nach üblichem Brauch, teils aus Rücksicht gegen Jesus, teils aus Abneigung gegen die Juden. Joseph kaufte nun feine, indische Leinwand, wie Priester (Lev. 16,4) und Reiche (Luk. 16,19) sie trugen (Mark. 15,46), und ging mit Dienern sogleich ans Werk. –
Der andere Mann war Nikodemus, ebenfalls ein Schüler Jesu (Joh. 19,39) und ein angesehener Gesetzeslehrer und Vorsteher (ebd. 3,1 u. 10), schon bekannt aus der Unterhaltung mit Jesus am ersten Osterfest. Er wollte selbst auch Hand anlegen zum Begräbnis und kaufte hundert Pfund Salben, Aloe, Myrrhen und Spezereien (ebd. 19,39).
Die mutige Tat der zwei Männer
Es läßt sich nun wohl denken, wie willkommen die Ankunft der guten Männer Maria war, und wie sie die Mutter Jesu mit Ehrfurcht und mit großem Mitleid begrüßten. Mit welchen Gefühlen sahen sie erst den verblichenen, übel zugerichteten Leichnam an und bezeigten ihm ihre Ehrfurcht und Anbetung! Auf Leitern stiegen sie dann das Kreuz empor und begannen mit dem traurigen Liebeswerk. Die Dornenkrone und die Nägel wurden nacheinander herab gereicht und gingen gewiß von Hand zu Hand zur Mutter Gottes. Endlich folgte der Leichnam, in Tüchern geschlagen, langsam und sorglich aus den Armen des hl. Johannes in den Schoß der Mutter, die am Kreuz kniend ihren Sohn empfing (Joh. 19,40); Matth. 27,59; Luk. 23,53; Mark. 15,46). Das alles taten die vornehmen Männer mit großer Ehrfurcht, mit liebender Sorgfalt, mit unbeschreiblichem Mitleid. Ihre Gedanken und Herzen waren in Trauer, Anbetung und Liebe versenkt. Kein Priester kann mit dem heiligen Sakrament ehrfürchtiger und sorgsamer umgehen als diese heiligen Männer mit dem Leichnam Jesu. Wie lieb müssen uns diese Männer sein in ihrer Liebe zum Heiland und seiner heiligen Mutter, in ihrer Großmut, mit der sie nicht bloß das Ihrige geben: Nikodemus seine Schätze und Joseph sein Grab (Gen. 23,6), sondern sich selbst und ihre Hände zu persönlicher Dienstleistung, und endlich in ihrem Mut! Es ist nicht ohne Bedeutung, wenn gesagt ist, Joseph sei „mutig“ zu Pilatus gegangen (Mark. 15,43). Es gehörte wirklich Mut zu dieser Tat bei dem fanatischen Haß der Hohenpriester gegen Jesus und bei dem Sieg, den sie über ihn errungen. Es war diese Teilnahme an dem Schicksal des Gekreuzigten, ihre Verwendung für ihn und das öffentliche Begräbnis eine wahre Gegendemonstration und konnte die schlimmsten Folgen für sie haben. Sie achteten aber das alles für nichts. Es sind diese edlen Männer und ihre Tat der erste Sieg des Todes Jesu und eine Frucht der Sanftmut und Geduld des Herrn. Er nahm es nicht ungültig auf, daß diese Männer eine Zeitlang im geheimen bloß zu den Seinen zählten. Er wartete geduldig zu, und jetzt hat seine Geduld Frucht getragen, und um so wunderbarer, da sie, Johannes ausgenommen, allein von allen Jüngern und Aposteln sich offen für Jesus erklärten und für seine Sache eintraten.
Der unsäglicher Schmerz der Mutter Gottes
Die Mutter Gottes nahm also nach der Überlieferung auf ihren Schoß den toten Leichnam Jesu. – Und was tat sie? Nach einem Augenblick sprachloser Anbetung übersieht sie die grausige Verheerung, die schreckliche Misshandlung, die Wunden, tief und groß und klein. Sie durchgeht mit unendlichem Weh die ganze Passion an den schrecklichen Spuren, die sie zurück gelassen. Sie kann nun alles in nächster Nähe sehen und greifen. Sie ordnet das verwirrte Haupthaar, berührt und küßt die Wunden und schließt sie. – Und an was denkt sie? Gewiß an glücklichere Zeiten. An die glorreiche Stunde beim Abendmahl, an die Hoheit und Majestät seines Mannesalters und an die lieblichen Tage in Bethlehem und Nazareth, wo er als liebreizendes Kind auch in ihren Armen lag und wo sie ihm ähnliche Dienste erwiesen. – Und was fühlt sie? Das schreckliche Schwert Simeons, lebendig und tausendfach mit jeder Wunde in ihrem Herzen (Luk. 2,35); unsäglicher Schmerz fühlte sie, und Liebe, Liebe zu Jesus und auch Liebe zu uns. Sie zürnte uns nicht. Sie hatte ihn uns gegeben und geschenkt, das schönste und liebenswürdigste aller Menschenkinder, das Gefäß aller Schönheit, Wahrheit und Liebe, zu unserer Freude und zu unserem Nutzen. Und wie erhält sie ihn wieder? Übler zugerichtet, als der verlorene Sohn es war, arm und zerrissen, als zertrümmertes Gefäß, alles Inhaltes bar, als verstümmelte und zerrissene Leiche, von uns, die er herzustellen und zu beleben gekommen war. Siehe! Das Kindlein von Bethlehem ist wieder gekommen auf der Mutter Schoß. Aber wie anders sind jetzt seine Arme erhoben! Sie sind so grausam ausgerenkt, im Todeskampf erstarrt, daß sie sich kaum biegen lassen. In gekreuzigter Stellung liegt er auf dem Schoß und in dem Arm der Mutter (P. Faber). Aber wovon erzählen ihr alle diese Wunden als von seiner Liebe zu uns? Wir waren der Preis dieses Blutes, dieser Wunden und dieses Lebens. Wie sollte sie uns nicht lieben? Wie uns vergessen können? Durch tausend Wunden sind wir in ihrem Herzen eingegraben.
So dürfen auch wir sie nicht vergessen. Solange der Tod Jesu gepredigt wird und solange ein Kreuz in der Welt steht, stirbt auch die Andacht zur Mutter Gottes nicht aus. Jeder, der am kreuz vorbei geht, sieht auch dort die Mutter mit dem toten Sohn auf dem Schoß und benedeit Gott, daß er durch sie unsere Feinde zunichte gemacht, und spricht: „Gesegnet bist du vor allen Weibern, und gesegnet der Herr, der deinen Namen so groß gemacht, daß dein Lob nie verschwindet von den Lippen der Menschen, die eingedenk sind der Kraft Gottes. Du hast wegen der Trübsal und Drangsal unseres Geschlechtes deines Lebens nicht geschont, sondern bist zuvor gekommen unserem Untergang vor dem Angesicht des Herrn“ (Judith 13,23f). Die Ruhe der Jungfrau unter dem Kreuz ist zum Zufluchtsort für alle Betrübten geworden. Wie viele Tränen sind da schon getrocknet, wie viel Leid ist da getröstet worden? Unerschöpflicher Segen und Trost ist für die Welt von dort ausgegangen, wo Maria so namenlos gelitten. –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes in Betrachtungen Zweiter Band, 1912, S. 424 – S. 428